Seit der Rechtsprechung des EuGH zu den Loyalitätspflichten liegt die Frage auf der Hand: Was ist kirchenspezifisch - und zwar in unserem Kontext speziell für die katholische Kirche.
Der EuGH - und mit ihm das BAG - haben vorgegeben, das gerichtlich überprüfbare *) religiöse Selbstverständnis, das spezifische der jeweiligen Kirche, zum Ausgang der gerichtlichen Entscheidung über die Anwendung kirchliche Normsetzung zu machen.
Damit ist eine Abkehr der bisher in der Literatur geprägten "herrschenden Meinung" eingeläutet. Nicht immer, wenn kirchliche Vertreter behaupten, ein Fall der "Selbstverwaltung" liege vor, ist das tatsächlich so. Die Kirchen müssen vielmehr hinreichend begründen, warum eine bestimmte Regelung gerade nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Kirche eine spezifisch kirchliche, notwendige Regelung sei.
Tatsächlich bewegen wir uns im Bereich des kirchlichen Arbeitsrecht doch im Überschneidungsbereich von kirchlichem und staatlichem Rechtskreis. Und zwar infolge einer Rechtswahl, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahrzehnten **) festgestellt hat. Das kirchliche Arbeitsrecht ist damit gerade keine eigene Angelegenheit, die den Kirchen Konkordats- und verfassungsrechtlich zur autonomen Selbstordnung und Selbstverwaltung überlassen wurde. Es beansprucht Geltung auch im staatlichen Rechtskreis und ist daher als "res mixta" zu bezeichen, für das eben keine Selbstordnungs- und Selbstverwaltungskompetenz besteht.
Nachgedacht:
Konkret:
Ist es wirklich kirchenspezfisch, dass sich die katholische Kirche - nur in Deutschland und entgegen der eigenen Soziallehre und dem universell geltenden Kirchenrecht - weigert, sich mit der einschlägigen Gewerkschaft im DGB zu vertragen?
Ist es wirklich kirchenspezifisch katholisch, dass - entgegen dem Ämterrecht der Canones 145 ff (149 § 1) des CIC - die Mitgliedschaft in der Katholischen Kirche nicht nur für die Inhaber kirchlicher Ämter sondern umfassend für alle Mitarbeiter*innen gefordert wird? Wieso soll es Gott verwehrt werden, sich in deutschen Bistümern der Dienste von Nichtkatholiken zu bedienen?
Ist es wirklich kirchenspezifisch katholisch, dass beispielsweise Katholiken (Chefarzt-Urteil) oder auch Nichtkatholiken (Einstellung) aufgrund Ihres religiösen Bekenntnisses benachteiligt werden ("Schrankenvorbehalt" - hier: AGG).
Ist die Höhe der zu zahlenden Vergütung (etwa durch abgesenkte oder verspätete Übernahme einer tarifvertraglichen Einigung) wirklich eine kirchenspezifisch notwendige Regelung?
Die vom emeritierten Arbeitsrechtsprofessor Richardi u.a. geprägte, und durch die höchstrichterliche Rechtsprechung längst überholte Rechtsmeinung unterstellt aus dem verfassungsrechtlichen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der "eigenen Angelegenheiten" eine Befreiung der Kirchen vom weltlichen Arbeits- und Sozialrecht. Das ist Quatsch, wie wir bei jeder Gelegenheit immer wieder belegen. Wenn dem so wäre, wie Richardi und seine Thesenabschreiber gerne behaupten, gäbe es die eingangs genannte Rechtsprechung sowie die das "Streikrecht" bestätigenden Urteile so nicht.
Selbst wenn es aber so wäre - dann müsste die katholische Kirche auch und gerade aus kirchenspezifisch katholischem Kirchenrecht das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens einhalten (c. 1286 1° CIC).
Der "Dritte Weg" jedenfalls ist gerade vor dem Hintergrund der päpstlichen Sozialenzykliken und dem universellen Kirchenrecht nicht "kirchenspezifisch katholisch". Er kann damit keine theologische Rechtfertigung beanspruchen, grenzt in seiner theologischen Überhöhung an Häresie. Ein Verbot umfassender gewerkschaftlicher Betätigung bis hin zum Arbeitskampf ist vor diesem Hintergrund jedenfalls für die katholische Kirche theologisch nicht zu begründen.
Und sozialethisch?
Wir möchten dazu auf einen Blogbeitrag vom November 2013 verweisen und aus einem Buch von Reinhard Marx, derzeit Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zitieren:
… Erst die staatliche Arbeiterschutzgesetzgebung, die Entstehung der Gewerkschaften und die gesetzliche Anerkennung des Arbeitskampfrechts und die Tarifautonomie haben die Arbeitnehmerseite in den Stand versetzt, auf gleicher Höhe mit den Arbeitgebern Verträge auszuhandeln. …
Tatsächliche Arbeitsvertragsfreiheit ist deshalb erst mit der rechtlichen Anerkennung und Garantie der Tarifautonomie erreicht worden.
Zitat Reinhard Marx "DAS KAPITAL" - S. 78 f
Die Tarifautonomie hat sich bewährt. Und ich appeliere an die Tarifparteien, dieses bewährte Instrument durch eine beiderseitige Bereitschaft zum Kompromiss am Leben zu erhalten. Wer versucht, eine vorübergehende Schwäche des Tarifpartners bis zum Äußersten auszunutzen, mag einem kurzfristigen Kalkül entsprechend schlau handeln, aber er schadet dem Gemeinwohl und mittel- bis langfristig auch sich selbst. Man hört durchaus Klagen von Arbeitnehmern verschiedener Branchen, dass in einzelnen Tarifbezirken Arbeitgeber nicht bereit wären, sich mit den Gewerkschaften an einen Tisch zu setzen... Wer sich so verhält, darf sich dann auch nicht beklagen, wenn ihm die Politik irgendwann einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreibt.Der Autor, Reinhard Marx, hat hier sehr genau beschrieben, was den "Dritten Weg der Kirchen" ausmacht. Dieser verweigert den kirchlichen Mitarbeiter*Innen die tatsächliche Arbeitsvertragsfreiheit. Und Marx hält weiterhin an dem historisch schwer belasteten Begriff und der theologischen Schimäre der "Dienstgemeinschaft" fest. Ist das "kirchenspezifisch katholisch"?
Reinhard Marx, a.a.O., S. 123)
Eine provokante Frage:
Beschränkt sich dann das "kirchenspezifische" auf die Frage, ob zu persönlichen kirchlichen Feiern (Eheschließung, Taufe, Firmung, Exequien …) eine Arbeitsbefreiung gewährt wird?
Ein Gedanke zur Lösung:
Ist es vielleicht nicht eher kirchenspezifisch, über die medizinische Notwendigkeit hinaus eine besondere, intensivere persönliche Zuwendung zu ermöglichen, also eine (wie?) höhere Fachkraftquote (z.B. für die Sterbebegleitung) vorzusehen als in einer vergleichbaren Einrichtung der öffentlichen Hand.
Man könnte das möglicherweise auch unter den Begriff der "Seelsorge" subsummieren - womit zugleich klar wäre, wie dieses zusätzliche Personal zu finanzieren wäre. Dem Kaiser also was des Kaisers, Gott aber was Gottes ist?
Wäre es nicht auch Aufgabe der kirchlichen Arbeitsrechtsgremien, diese Frage "was ist kirchenspezifisch" fair und nach objektiven Kriterien gemeinsam mit Gewerkschaftsvertretern ***) zu klären, und gemeinsam tragbare Lösungen für die Bischöfe zu erarbeiten, bevor es andere machen? (c. 212 §§ 2 und 3, c 221 § 1, c. 227 CIC)Bisher verzetteln sich die kirchlichen Gremien in unzähligen Debatten bei diversen Kommissionssitzungen auf Bundes- und Regionalebene stattdessen mit Fragen, ob, wann und wie der Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes übernommen werden kann (abgesenkt, unvollständig, verschleppt und verzögert ****). Ist diese Handhabung - um zur Eingangsfrage vor dem Hintergrund des universell geltenden Kirchenrechts zurück zu kommen - wirklich "kirchenspezifisch katholisch"?
Und was ist wenn ...:
Es gibt tatsächlich eine verfassungsrechtliche Grundlage für das bisherige kirchliche Verhalten, die von den Kirchenjuristen (wohlweislich) nicht genannt wird. Der "Dritte Weg" ist genauer betrachtet nichts anderes als die Umsetzung der - jedem Arbeitgeber und damit auch kirchlichen Einrichtungen - verfassungsrechtlich zugestandenen "negativen Koalitionsfreiheit" *****). Damit liefern sich die Kirchen aber - wie jeder andere Arbeitgeber auch - der gewerkschaftlichen Betätigung bis hin zum Erzwingungsstreik aus. Und auch der wäre dann (kirchenspezifisch katholisch) jedenfalls nach dem Katechismus der katholischen Kirche gerechtfertigt.
Natürlich behauptet jeder Arbeitgeber gerne, dass in seiner Einrichtung keine Arbeitskämpfe erfolgen dürfen. Aber wenn das ein Pfarrer für eine kirchliche Einrichtung sagt, dann wird daraus nichts kirchenspezifisch katholisches, sondern beim Versuch einer theologischen Begründung allenfalls Häresie mit der Tendenz zum Schisma. Niemand - auch kein Bischof - darf Gott zum Vorwand nehmen, um Mauern zu errichten und Brücken einzureißen. Es ist vielmehr nötig, im Kontext des kirchlichen Arbeitsrechts und der kirchlichen Soziallehre mit dem verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsrecht, Brücken zu bauen.
Anmerkungen:
*)
Stichworte: Diskriminierungsverbot/AGG, Koalitionsfreiheit, Willkürverbot, staatliche Justizgewährleistungspflicht ….
**)
1. Leitsatz im Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Juni 1985 -- 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 -- BVerfGE 70, 138
***)
Der Papst hat jetzt ausdrücklich auf deutsch erklärt: "Die Laien sind die Kraft der Kirche". Das gilt auch und gerade für die kirchlichen Arbeitnehmer. Und:
Es sind die Gewerkschaften, die ihre Mitglieder gegenüber den Arbeitgebern vertreten. Die Gewerkschaften sind ihren Mitgliedern jederzeit zur Rechenschaft verpflichtet. Die Mitglieder bestimmten die Forderungen gegenüber den Arbeitgebern und stimmen über die Akzeptanz des Verhandlungsergebnisses ab. Sie können sogar die Verhandlungsführer, mit deren Verhandlungsführung sie nicht einverstanden sind, jederzeit wieder abberufen. Das ist eine unmittelbare demokratische Legitimation, und damit allemal besser legitimiert als ein Gremium, dessen Mitglieder sich alle Jubeljahre zur Wiederwahl stellen und selbst im Interessenskonflikt kirchengesetzlich verpflichtet sind, den "Dritten Weg" zu verteidigen. Daher ist eine solche Diskussion auch zwingend mit den Gewerkschaftsvertretern zu führen. Wir haben keine Angst vor entsprechenden Diskussionen in der Kirche.****)
Das ist ausdrücklich kein Vorwurf gegenüber der Mitarbeiterseite in den Kommissionen, insbesondere nicht gegenüber den gewerkschaftlich engagierten Kolleg*Innen, die sich ausdauernd bemühen, den Anschluss an den öffentlichen Dienst zu halten. Es ist ein Vorwurf gegenüber den Vertreter*Innen der Arbeitgebern dort, insbesondere aber gegenüber dem System "Dritter Weg", das solche Handlungen und Ergebnisse erst ermöglicht - und damit auch gegenüber den kirchlichen Gesetzgebern, die dieses System in dieser Form im Interesse der kirchlichen Arbeitgeber geschaffen haben.
*****)
Weshalb seitens der katholischen Kirche in Deutschland bisher entgegen den päpstlichen Sozialenzykliken die Kooperation mit Gewerkschaften verweigert wurde, kann nur vermutet werden. Angesichts der Entwicklung vor dem letzten Weltkrieg, während der mit dem Reichskonkordat auch die christlichen Gewerkschaften zugunsten der schillernden Dienstgemeinschaft faktisch geopfert wurden, mag auch das schlechte Gewissen der Bischöfe mit ursächlich gewesen sein. Man konnte den überlebenden Gewerkschaftern, denen man vorher mit dem Konkordat den kirchlichen Schutz entzogen und damit (sicher unabsichtlich) den Nazi-Schergen für die Konzentrationslager ausgeliefert hatte, um im Gegenzug etwa die Staatsleistungen weiter zu sichern, nicht mehr in die Augen sehen.
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