Damit wird der Kern der Skandalwelt in unserer katholischen Kirche angesprochen: es ist der Unterscheid von der Lehre der "frohen Botschaft" zu einem Verständnis von Amtskirche, das den klerikalen Machtmissbrauch erst ermöglicht - weil Abweichungen vom Idealbild (dass es dazu kommen kann, hat die Kirche immerhin sogar schon in der Grundordnung konzidiert) bei Klerikern grundsätzlich vertuscht wurden, damit "das eigene Nest nicht beschmutzt werde". Dieses "klerikale Amts- und Machtverständnis" führt auch zu den vielen Finanzskandalen, die wir in den letzten Jahrzehnten "am Rande" immer wieder aufgegriffen haben. Und dieses "klerikale Amts- und Machtverständnis" ist auch die Ursache dafür, dass die klerikale Amtskirche entgegen der eigenen Soziallehre die Verhandlung "auf Augenhöhe" mit den Gewerkschaften verweigert.
haben wir gestern festgestellt.
Stattdessen ist mit dem "Dritten Weg" eine (historisch schwer belastete) Alternative entstanden, die mehrfache Absicherungen der Amtsmacht enthält.
Schon in den arbeitsrechtlichen Kommissionen ist eine Beschlußfassung nur möglich, wenn ein Mindestanteil der Arbeitgebervertreter einem solchen Beschluß auch zustimmt. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Form der Tarifverhandlung als "kollektives Betteln" bezeichnet (
bestätigt durch BUNDESVERFASSUNGSGERICHT, - 1 BvR 719/19 - und - 1 BvR 720/19 - vom 09.07.2020, Ziffer II.Nr. 3 der Begründung):
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Abwägung zudem Art. 9 Abs. 3 GG Rechnung getragen. Das Grundrecht schützt die individuelle Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen. Geschützt ist damit auch das Recht der Vereinigungen selbst, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen, wobei die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, grundsätzlich ihnen selbst überlassen ist (vgl. BVerfGE 92, 365 <393 f.="">; 100, 271 <282>; 116, 202 <219>; 146, 71 <114>; stRspr). Dabei ist der Schutz der Koalitionsfreiheit nicht etwa von vornherein beschränkt, sondern erstreckt auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Art. 9 Abs. 3 GG umfasst also nicht nur die Gründung von Koalitionen und die Mitgliederwerbung (vgl. BVerfGE 93, 352 <358>), sondern insbesondere mit der Tarifautonomie den Abschluss von Tarifverträgen und Arbeitskampfmaßnahmen, jedenfalls soweit sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen, einschließlich des Streiks (vgl. BVerfGE 84, 212 <224 f.="">; 88, 103 <114>; 92, 365 <393 f.="">; 146, 71 <115 131="" rn.="">). Dem entspricht es, wenn die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung davon ausgeht, dass eine eigenständige Lösungsfindung der Koalitionsparteien unabhängig von staatlicher Einflussnahme nur möglich ist, wenn beide Parteien in der Lage sind, Druck auf die jeweils andere Partei auszuüben. Auf Seiten der Gewerkschaften bedarf es des Streiks, um ihre strukturelle Verhandlungsschwäche auszugleichen. Ohne diese oder gleich effektive Eskalationsstufen zur Herstellung von Kompromissfähigkeit wären Kollektivverhandlungen nur „kollektives Betteln“ (grundlegend BAG, Urteil vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, juris, Rn. 96). Ein fairer und ausgewogener Ausgleich gegensätzlicher Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen beruht insoweit auf annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 146, 71 <127 164="" f.="" rn.="">). 127>229>115>393>114>224>358>114>219>282>393>
In einem weiteren Sicherungsschritt haben sich die Bischöfe dann auch noch vorbehalten, selbst über die Inkraftsetzung von Beschlüssen zu entscheiden. Erst mit der Inkraftsetzung im Amtsblatt
(als bischöfliches Gesetz) werden die Kommissionsbeschlüsse rechtswirksam.
Und damit das auch wirklich hält, sind sämtliche Mitarbeitergremien - von der Mitarbeitervertretung über die jeweilige arbeitsrechtliche Kommission bis hin zum kirchlichen Arbeitsgericht -
verpflichtet, die bischöfliche Gesetzgebung mit der verfassungswidrigen Verweigerung von Tarifverträgen zu akzeptieren. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretung genauso wie jede MAV (Art. 8 S. 3 GrO, vgl. Art. 1 S. 2 MAVO) oder auch eine Arbeitsrechtliche Kommission wie die Zentral-KODA (Art. 7 Abs. 1 S. 5 GrO) würde ihre Kompetenz überschreiten, wenn Sie Verhandlungen zur Überleitung in das Tarifvertragssystem fordern und an diesen teilnehmen würden. Und einem kirchlichen Arbeitsgericht bliebe es verwehrt, dieses Verbot zu hinterfragen (§ 2 Abs. 4 KAGO). Diese Gremien und ihre Mitglieder
müssen sich also zum "3. Weg" bekennen.
Eine Gewerkschaft, die entsprechende Verhandlungen einfordert,
kann daher zunächst nur auf die Bischöfe als kirchliche Gesetzgeber und obersten Verwalter des Kirchenvermögens in den Diözesen zugehen
.
Wir wissen, dass es vehemente Befürworter des "Dritten Weges" gibt:
Die stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros Berlin, Uta Losem, verteidigt das kirchliche Arbeitsrecht als notwendigen Rahmen, um den Sendungsauftrag der Kirche zu erfüllen. In der aktuellen Sonderausgabe der Zeitschrift "Herder Korrespondenz" betonte Losem außerdem, dass das kollektive kirchliche Arbeitsrecht trotz des Wettbewerbsdrucks im Sozial- und Gesundheitswesen ausgesprochen gute Ergebnisse erziele: das Lohnniveau sei vergleichsweise hoch, eine gute betriebliche Altersvorsorge sei Standard und es herrsche eine "nahezu hundertprozentige" Tarifbindung in kirchlichen Einrichtungen.
(
Quelle: katholisch.de unter Bezug auf eine
Sonderausgabe der renommierten "Herder Korrespondenz").
Wir möchten diese Meinung auch nicht einfach als
Erfüllung des beruflichen Auftrags zum Schalmeienklang abtun. Aber bereits der erste Blick zeigt, dass es bei den viel gepriesenen Leistungen nicht viel Eigenständiges gibt. Das "vergleichsweise hohe Lohnniveau" und die "gute betriebliche Altersversorgung" sind vom TVöD (kommmunal) abgeschrieben - mit zunehmender Verzögerung und Absenkungen insbesondere in den untersten Vergütungsgruppen. Dieses Niveau wird nur gehalten, weil die Arbeitgeber sonst bei der Personalgewinnung gegenüber anderen Trägern zunehmend Nachteile hätten.
Und die "gute betriebliche Altersversorgung" erweist sich bei näherem Hinsehen dann auch noch teilweise als von den Beschäftigten selbst finanziert - anders als bei anderen Wohlfahrtsverbänden wie etwa dem BRK. Während im entsprechenden (kommunalen) Tarifvertrag eine Eigenbeteiligung der MitarbeiterInnen nur bei den wenigen
(ausdrücklich genannten) sanierungsbedürftigen Versorgungskassen vereinbart ist, bei denen der verantwortliche Aktuar einen Sanierungsbedarf testiert hat
(§ 15 a Abs. 1 ATV-K), sind - etwa in Bayern - sogar
bei der finanziell hervorragend ausgestatteten Bayerischen Versorgungskammer entsprechende
Eigenleistungen in der entsprechenden Regelung von § 15a ABD Teil D / 10a auch ohne diesen Notlagenbezug ausdrücklich vereinbart. Und was im ABD geregelt ist, gilt im Grundsatz auch nach der ohnehin schon schwer verständlichen AVR-Caritas (vgl.
Anlage 8, Versorgungsordnung A, § 1 a AVR Caritas).
So kann man versteckt die "teuerste Kopieranstalt Deutschlands" (die arbeitsrechtlichen Kommissionen) durch die Beschäftigten selbst finanzieren lassen und sich dann noch auf den fremden Federn der gewerkschaftlichen Errungenschaften ausruhen.
Und selbst mit der viel beschworenen "nahezu hundertprozentigen Tarifbindung" ist es - trotz dieser versteckten Absenkungen - nicht weit her. Wir hatten auch darüber schon mehrfach berichtet.
In unserem Beitrag vom 16. März haben wir dennoch ausgeführt:
Ein theologisch seriöser Umgang mit der Thematik könnte so aussehen, dass die Bischöfe einen gemeinsamen Diskussionsprozess mit den Gewerkschaften starten, in dem die Beschäftigten, die kirchlichen Arbeitsrechtsfunktionäre beider Seiten und die kirchlichen Sozialethiker, sowie politisch Verantwortliche einbezogen sind und die anstehenden Fragen diskutieren - inklusive der Frage, wie ein Übergang ins weltliche System aussehen könnte.
Dazu müssten die Bischöfe aber durch eine Beseitigung der jetzigen Blockadenormen die Voraussetzungen schaffen.
Wir haben mehrfach - zuletzt Anfang März d.J. - auf die Verhandlungsbereitschaft der Kirchengewerkschaft im DGB (ver.di) hingewiesen. *) Solange sich die Bischöfe
- wie bisher - konstruktiven Gesprächen verweigern, gibt es für eine starke Gewerkschaft nur zwei Wege:
die politisch-gesetzgeberische Initiative oder/und
(als "ultima ratio", wenn sich alle andere Bemühungen als erfolglos zeigen) der Rückgriff auf die eigene Organisationsmacht der Mitglieder - bis hin zu Arbeitskampf oder gar einem Erzwingungsstreik
**). Wer bei einem solchen "ultima ratio" Vorgang dann die gesellschaftliche Öffentlichkeit und auch den finanziell längeren Atem auf seiner Seite hätte, sollte
angesichts des desolaten Erscheinungsbildes der Amtskirche keine Frage sein.
Und genauso wenig sollten darüber Zweifel bestehen, wer dann in der stärkeren Position wäre.
(weiter dann wieder am kommenden Samstag)
*) vgl. unseren Blogbeitrag vom 2. März d.J.
**) Dazu schon der
Arbeitsrechtler Olaf Deinert in einem Beitrag der Hans-Böckler-Stiftung Ausgabe 05/2013:
„DAS WIRD NOCH EINIGEN STREIT GEBEN“
...
Könnten sich die Gewerkschaften Beteiligungsregeln erstreiken?
Das möchte ich meinen. Solange eine kirchenrechtliche Regelung den Anforderungen des BAG nicht genügt, so lange hat die Gewerkschaft das Recht, zu streiken. Ich denke, dass man deshalb auch einen Arbeitskampf um die Ausgestaltung des dritten Wegs führen darf – auch wenn das Gericht selbst dazu wieder einmal nichts gesagt hat. Die Mehrheitsmeinung im Arbeitsrecht geht allerdings davon aus, dass ein Streik nur um Tarifverträge geführt werden kann. Der Streik müsste in diesem Fall also darauf gerichtet sein, dass die Verfahrensfragen des dritten Wegs in einem Tarifvertrag geregelt werden.
Formal haben ver.di und der Marburger Bund die Verfahren vor dem BAG gewonnen, weil deren Streiks für zulässig erklärt wurden. ...
vgl. auch
Dr. jur. Eva Kocher im Verfasssungsblog vom 13.08.2020:
Parität und Asymmetrie im Arbeitskampf
Gegen die Dynamik von „Aussitzen“ gegen „kollektives Betteln“
...
Der Streik sei das Mittel der Wahl, um Parität überhaupt erst zu ermöglichen. Aus Rn. 22 dieser Entscheidung (Anm.: BAG (GS) 10.6.1980 (1 AZR 168/79)) stammt das berühmte, Roger Blanpain zugeschriebene Zitat: „Bei diesem Interessengegensatz wären Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik im allgemeinen nicht mehr als ‚kollektives Betteln‘ (Blanpain)“.1)
An diese Feststellung knüpft das BVerfG nun in der Entscheidung vom 19. Juni mit der Feststellung an, die von den Gegnerinnen und Gegnern der Regelung „suggerierte Symmetrie entspricht nicht den Tatsachen.“ (Rn. 32). Denn die Arbeitgeberseite sei nicht in gleicher Weise wie die Gewerkschaften darauf angewiesen, durch den Einsatz von Arbeitskampfmitteln ausreichend Druck auf die Gegenseite erzeugen zu können. Hier weist das BVerfG auf die Möglichkeit hin, einen Streik „auszusitzen“ (Rn. 30) und versteht, dass der Gesetzgeber es nicht sehenden Auges zulassen könne, wenn Arbeitgeber*innen „die Folgen eines Arbeitskampfes nahezu folgenlos abfangen“ könnten (Rn. 27), wie dies mit Leiharbeit „insbesondere in Bereichen wie Lager und Einzelhandel“ möglich sei (Rn. 32).
Vor diesem Hintergrund ist es umso interessanter, dass die zweite Entscheidung vom 9. Juli in Rn. 14 den Satz vom „kollektiven Betteln“ nun sogar wörtlich zitiert, um die Erforderlichkeit des Streiks (oder „gleich effektive[r] Eskalationsstufen zur Herstellung von Kompromissfähigkeit“) zu visualisieren. Auch die Begründung des Ungleichgewichts mit der „Verfügungsgewalt [der Arbeitgeberseite] über Produktionsmittel, Investitionen, Standorte und Arbeitsplätze“ (19. Juni, Rn. 32) wird nun wiederholt (9. Juli, Rn. 10). Das BVerfG differenziert damit implizit und zutreffend zwischen dem Ungleichgewicht im Arbeitsverhältnis (auf individueller Ebene) und dem Ungleichgewicht in Tarifverhandlungen und im Arbeitskampf (auf kollektiver Ebene).