Dienstag, 11. September 2018

Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-68/17 - wiederverheirateter Chefarzt

Zitat aus der Pressemitteilung des EuGH:
Die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung kann eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen

Hier - auf der homepage des EuGH - gibt es auch schon das Urteil:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass

– zum einen eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete Klinik betreibt, nicht beschließen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, ohne dass dieser Beschluss gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein kann, damit sichergestellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie genannten Kriterien erfüllt sind, und

– zum anderen bei Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne des genannten Ethos eine Ungleichbehandlung zwischen Beschäftigten in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit nur dann mit der Richtlinie im Einklang steht, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

2. Ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts wie insbesondere dem nunmehr in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegten Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der sich daraus ergebenden Rechte zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt.

Mit Spannung hatte die katholische Welt in Deutschland das für heute 09:00 Uhr angekündigte Urteil des EuGH (Chefarzt) erwartet - geht es doch um nichts anderes als den Anspruch der Kirche, auch bei normalen Arbeitnehmern intensive Anforderungen bis in das Privatleben hinein zu stellen.

Wir haben auf die Problematik immer wieder hingewiesen. Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer aus religiösen Gründen diskriminiert werden. Wir haben uns dazu schon früh gegen die von Rechtfertigungsjuristen aus dem klerikalen Umfeld geprägte herrschende Meinung gestellt.
So hat noch am 18. April der vom Kirchenamt geschätzt Professor Thüsing die letzte Entscheidung des EuGH, wonach man nicht zwangsläufig einer Konfession angehören müsse, wenn man sich bei einem kirchlichen Arbeitgeber bewirbt, als "überraschende Entscheidung" bezeichnet.

Quelle: Domradio 18.04.2018: "Eine unerwartete Entscheidung", findet der Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing

Dabei genügt ein unvoreingenommener Blick in die verfassungsrechtlichen Normen *), um zu einer anderen Bewertung zu kommen. Auch die Religionsgemeinschaften und besonders die Kirchen sind in das staatliche Gemeinwesen integriert. sie dürfen weder rechtswidrig noch - auch das ist eine besondere Form der Rechtswidrigkeit - willkürlich handeln.

Bei der Gelegenheit erinnern wir an unseren Beitrag vom 20. April des Jahres - besondere Anforderungen mögen bei der Besetzung kanonischer Ämter gerechtfertigt sein. Aber ansonsten gilt, was das deutsche Verfassungsgericht schon 1985 (-- 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 -- ) festgestellt hat. Wenn sich die Kirchen infolge einer Rechtswahl für die Anwendung des weltlichen Arbeitsvertrags-/Dienstrechts entscheiden, dann ist auch das für alle geltende weltliche Arbeitsvertragsrecht uneingeschränkt anzuwenden bzw. genauestens zu beachten, wie es im CIC steht.

Die Entscheidungen des EuGH sind alles andere als unerwartet.


Medienberichte zur Entscheidung des EuGH:
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/eugh-kuendigung-wegen-wiederheirat-kann-diskriminierung-sein,R3K5zVR
EuGH: Kündigung wegen Wiederheirat kann Diskriminierung sein
Wenn ein katholischer Arbeitgeber einem Mitarbeiter wegen dessen zweiter Ehe kündigt, kann das nach EU-Recht eine verbotene Diskriminierung darstellen. Das entschied der EuGH im Fall eines deutschen Chefarztes.
https://www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2018-09-11/zwischenstopp-im-rechtsstreit-eugh-kuendigung-durch-kirche-wegen-wiederheirat-kann-diskriminierung
EuGH: Kündigung durch Kirche wegen Wiederheirat kann Diskriminierung sein
Zwischenstopp im Rechtsstreit
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Die Kündigung eines Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen Wiederheirat kann eine "verbotene Diskriminierung" aufgrund der Religion darstellen. Der Fall ist aber noch nicht beendet.
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/bischofe-kritisieren-eugh-urteil-zum-arbeitsrecht
Bischöfe kritisieren EuGH-Urteil zum Arbeitsrecht
Der Europäische Gerichtshof sagt: Die Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederheirat kann "verbotene Diskriminierung" sein. Das sieht die Deutsche Bischofskonferenz anders - und beruft sich auf die verfassungsrechtliche Position der Kirche.
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/eugh-urteil-schrankt-kirchliches-arbeitsrecht-ein
EuGH-Urteil schränkt kirchliches Arbeitsrecht ein

2009 wurde der Chefarzt einer katholischen Klinik wegen seiner Wiederheirat entlassen. Neun Jahre später urteilt der Europäische Gerichtshof: Diese Kündigung kann eine "verbotene Diskriminierung" sein.

http://www.spiegel.de/karriere/europaeischer-gerichtshof-entscheidet-zugunsten-von-katholischem-arzt-a-1227494.html
Europäischer Gerichtshof
Kündigung eines katholischen Arztes wegen erneuter Heirat kann Diskriminierung sein

Darf der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses entlassen werden, weil er nach einer Scheidung wieder geheiratet hat? Nicht unbedingt, hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/eugh-urteil-zum-arbeitsrecht-es-geht-ums-religioese-kerngeschaeft-1.4125091
11. September 2018, 13:17 Uhr
EuGH-Urteil zum Arbeitsrecht
Machtwort gegen das religiöse Kerngeschäft

  • Der EuGH stärkt in einem bemerkenswerten Urteil die Rechte von Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen.
  • Es geht um den Fall eines katholischen Chefarztes, dem die Kirche nach seiner Wiederheirat kündigen wollte.
  • Der EuGH urteilt nun: Die katholische Kirche kann auch dann glaubwürdig ihre Position zur Ehe aufrechterhalten, wenn sie Chefärzte beschäftigt, die in zweiter Ehe verheiratet sind.
  • Das Urteil ist auch eine Zurechtweisung des Bundesverfassungsgerichts, das bislang kirchenfreundlich geurteilt hat.
  • https://www.tagesschau.de/inland/kuendigung-chefarzt-101.html
    EuGH zum kirchlichen Arbeitsrecht
    Zweite Ehe ist kein Kündigungsgrund Stand: 11.09.2018 13:36 Uhr

    Ist es notwendig, dass ein Chefarzt für seine Arbeit auch das katholische Eheverständnis akzeptiert? Nein, sagen die EU-Richter und stärken damit die Rechte von Arbeitnehmern in krichlichen Einrichtungen.
    Das oberste EU-Gericht schränkt die Rechte der Kirchen deutlich ein: Jedenfalls dann, wenn es um Diskriminierung geht, dürfen die staatlichen Gerichte sich in die Welt der Kirche einmischen. Sie müssen, so sagt der EuGH, wirksam kontrollieren dürfen, ob die Mitarbeiter korrekt behandelt werden. Selbst wenn in dem Grundlagenvertrag zur Europäischen Union steht, dass die EU Kirchen und religiöse Gemeinschaften achtet.
    https://www.welt.de/wirtschaft/article181491540/EuGH-Urteil-Katholische-Kirche-diskriminierte-offenbar-Chefarzt-weil-er-katholisch-ist.html
    Katholische Kirche diskriminierte offenbar Chefarzt – weil er katholisch ist
    Der EuGH hat entschieden, dass die Entlassung eines wiederverheirateten Chefarztes eine Diskriminierung sein kann.
    Für die katholische Kirche ist das eine schwere Schlappe nach einem jahrelangen Streit.


    Anmerkungen:
    *)
    Die Auffassung, Kirche könnte autark alles mögliche regeln, resultiert aus der irrigen Verwendung des Begriffes "Selbstbestimmungsrecht". Dieser Begriff stammt aus einer gerichtlichen Entscheidung, in der die verfassungsrechtlichen Regelungen verkürzt und vereinfacht wiedergegeben ist.
    Tatsächlich besteht kein Selbstbestimmungsrecht sondern - ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung -
    1. ein Recht auf Selbstordnung und Selbstverwaltung
    2. der eigenen Angelegenheiten
    3. in den Schranken der für alle geltenden Gesetze.

    Dass Arbeitsrecht keine Angelegenheit ist, die nur die Kirchen etwas angeht, belegt jeder Kündigungsschutzprozess. Und dass das Diskriminierungsverbot der EU für alle geltendes Gesetz ist, werden wohl nur sehr kreative Rechtfertigungsjuristen bestreiten.

    Traurig, aber wahr: anscheinend braucht es den EuGH, um deutschen Gerichten zu zeigen, was in der Verfassung (und nebenbei auch im damit korrespondierenden Konkordat) steht. Allerdings hat kürzlich ein Arbeitsgericht für den Caritasverband Hagen bereits im Tenor des EuGH entschieden - wir haben darüber am 21. August berichtet: "Kündigung eines Mitarbeiters der Caritas in zweiter Ehe glücklich gescheitert".

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