Soeben hat das Bundesarbeitsgericht folgende Pressemitteilung herausgegeben
Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung
Ein der römisch-katholischen Kirche verbundenes Krankenhaus darf seine Beschäftigten in leitender Stellung bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des katholischen Selbstverständnisses zu verhalten, nur dann nach ihrer Religionszugehörigkeit unterschiedlich behandeln, wenn dies im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
...
Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der die GrO 1993 in Bezug genommen wurde, ist gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt ist. Diese Regelung benachteiligte den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, war im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.
Nationales Verfassungsrecht (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -) steht dem nicht entgegen. Das Unionsrecht darf die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten. Es handelt sich nicht um einen „Ultra-Vires-Akt“ oder einen solchen, durch den die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt wird.
Nationales Verfassungsrecht (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -) steht dem nicht entgegen. Das Unionsrecht darf die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten. Es handelt sich nicht um einen „Ultra-Vires-Akt“ oder einen solchen, durch den die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt wird.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Februar 2019 - 2 AZR 746/14 -
Quelle: Pressemitteilung Nr. 10/19
Wir haben über den Kündigungsfall schon öfter berichtet:
Bei einer erste Kurzanalyse der Pressemitteilung fällt auf, dass das Bundesarbeitsgericht die arbeitsvertragliche Inbezugnahme der Grundordnung im Kontext mit § 7 Abs. 2 AGG als unwirksam betrachtet. Das könnte zweierlei bedeuten:
1.
Die Grundordnung verstößt gegen das "für alle geltende Gesetz" und überschreitet damit den "Schrankenvorbehalt" der Verfassung. Das ist nicht überraschend. Denn es sollte zweifelsfrei sein, dass das Diskriminierungsverbot (in seiner europarechtskonformen Interpretation) zum "für alle geltenden Gesetz" gehört.
2.
Die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Grundordnung hat den Charakter einer "Allgemeinen Geschäftsbedingung". Die Bestimmung der Grundordnung könnte daher eine "unangemessene Benachteiligung" i.S. von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB sein, was nach § 307 Abs. 1 BGB i.V. mit § 306 Abs. 1 BGB zur Unwirksamkeit der konkreten Vereinbarung führen würde.
Für eine endgültige Bewertung muss das Urteil selbst ausgefertigt und begründet sein. Weltliche Gerichte haben dazu mehrere Monate Zeit. Wir werden die Veröffentlichung des Volltextes mit Spannung erwarten.
Weitere Meldungen zum Thema:
Domradio (Köln): Interview mit Pfr. Dr. Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros NRW)
FAZ: Kündigung von katholischem Chefarzt nach Wiederheirat unwirksam
Katholisch.de: Das Erzbistum Köln kündigte eine Prüfung der Entscheidung an
Spiegel online: Kündigung von katholischem Chefarzt nach Wiederheirat unwirksam
Süddeutsche Zeitung: Ein Chefarzt rüttelt am Sonderstatus der Kirche
Tagesschau: Zweite Heirat kein Kündigungsgrund
Ver.di Pressemitteilung: Beschäftigtenrechte gestärkt
WELT: Kündigung von katholischem Chefarzt nach Wiederheirat unwirksam
ZEIT: Willkommen im Grundgesetz, liebe Kirche!
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