Freitag, 27. September 2019

Grundsatzreferat von Frank Werneke, ver.di Vorsitzender (Mittwoch)

Auszug
Wir leben in einer Zeit von rasanten Veränderungen. Und das ist chancenreich und bedrohlich zugleich. Fest steht, dass der technische Fortschritt, der Klimawandel und die zunehmende soziale Ungerechtigkeit von uns zukunftsgerechte Antworten erfordern.
… Wir wollen als ver.di Gute Arbeit für alle Beschäftigten. Es gilt, eine ökologische Katastrophe abzuwenden. Und dafür braucht es einen massiven Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. ...

In Deutschland sind die Einkommen sehr ungleich und auch vielfach ungerecht verteilt. Und das hat Gründe: Es gibt zu viele zu niedrige Löhne in den Teilen der Arbeitswelt, in denen Tarifverträge ein Fremdwort sind. Die Zonen ohne Tarifschutz werden größer, weil Arbeitgeber, ihre Verbände und ihre politischen Handlanger das so wollen. Und zusätzlich ist es so, dass ein hohes Maß an prekärer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt spaltet.

… Und ich will diese zusätzlichen politischen Weichenstellungen und unsere Forderungen dazu in dieser Rede noch einmal konkret machen.
Erstens: Wir fordern eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen darf nicht länger an dem faktisch gegebenen Vetorecht der Arbeitgeberverbände scheitern. Das ist unser Ziel (Beifall) Und wir kämpfen aktuell insbesondere für die Allgemeinverbindlichkeit im Einzelhandel. Und das machen wir als gesamte ver.di
Zweitens: Eine ganze Reihe von Branchen leidet an akuter Zergliederitis. Da werden Unternehmen gegen jede Rationalität in viele Unterbetriebe zerlegt. …. Und das Ganze hat nur ein Ziel. Bei jedem Betriebsübergang versuchen die Arbeitgeber, Tarifschutz wie einen nassen Mantel abzuwerfen, indem sie zum Beispiel versuchen, Beschäftigte zu tarifersetzendne Einzelarbeitsverträgen zu bringen, ihnen die abzupressen.
Und auch deshalb ist unsere Forderung auch hier klar: Bei Ausgründungen und Betriebsübergängen darf ein bestehender Tarifvertrag nur noch durch einen neuen Tarifvertrag ersetzt werden, nicht durch individuelle Verträge. Tarifvertrag first. Das ist unsere Botschaft! (Beifall) Bund, Länder und Kommunen sowie öffentliche Unternehmen vergeben jedes Jahr Aufträge im Volumen von über 400 Milliarden Euro. Das sind 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Also wirklich eine Menge. Wir wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Aufträge ausschließlich nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Ohne Ausnahmen. Und damit kann durch die Marktmacht des öffentlichen Dienstes, der öffentlichen Hand mehr Tarifschutz durchgesetzt werden. Dafür treten wir an. (Beifall)
Und einen letzten Punkt will ich nennen, der mir auch sehr am Herzen liegt. Ich kann mich noch gut an Tarifverhandlungen … erinnern … Und wenn es dann so dem Ende zuging … dann haben uns in diesen Gesprächen die jeweiligen Brachenarbeitgeberverbände erklärt, sie hätten da nochmal eine Information. Sie hätten ihre Satzung geändert. Ab jetzt gebe es bei ihnen auch OT-Mitgliedschaften. Aber wir sollten uns mal gar keine Sorgen machen … Heute wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, das war erstunken und erlogen. Denn in der Praxis nehemn die Mitgliedsbetriebe ohne Tarifbindung längst entscheidend Einfluss auf das tarifpolitische Handeln der Arbeitgeberverbände. Und deshalb gehören OT-Mitgliedschaften abgeschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen. (lebhafter Beifall)
Und als praktischen ersten Schritt: Arbeitgeberverbände, deren Mehrzahl von Mitgliedern gar nicht mehr tarifgebunden sind, sind kein Arbeitgeberverband. Sie sind eine Rechtsanwaltskanzlei, um Tarifflucht zu organisieren. Und deshalb gehört diesen Verbänden der Arbeitgeberverband-Status abgesprochen und dann sollen sie auch gefälligst volle Steuern bezahlen, was sie jetzt nicht machen müssen. (starker Beifall)
Aus meiner Sicht befinden wir uns hier an einem absolut kritischen Punkt.
….
Lasst mich im Zusammenhang mit der Tarifpolitik noch einen weiteren Gedanken formulieren. Wir haben in den vergangenen Jahren die Privatisierung und Liberalisierung vieler Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge erleben müssen. Im Ergebnis sind heute viele Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge unterfinanziert und auch nicht mehr tarifgebunden.
Ich will das am Beispiel der Altenpflege konkret machen. Die Altenpflege war bis Mitte der 1990er Jahre in Hand der Kommunen und der Wohlfahrtsverbände. Und die Tarifabschlüsse des BAT - des Bundesangestelltentarifvertrages - waren Maßgabe für die Refinanzierung. 1995 wurde die Pflegeversicherung eingeführt. Eine gute Sache. Die damalige Bundesregierung war aber auf dem Trip der Privatisierung, der Entstaatlichung. Und hat die Altenpflege für privates Kapital geöffnet. Und mittlerweile sind insbesondere Hegdefonds groß in den Markt der Altenpflege eingestiegen. Die privaten Pflegeunternehmen verschaffen sich systematisch über Lohndumping und schlechtere Arbeitsbedingungen Wettbewerbsvorteile. Und haben so einen tarifpolitischen Flächenbrand ausgelöst.
Das Ergebnis ist bekannt. Die Löhne in der Altenpflege sind viel zu niedrig. Und es fehlt in der Folge an Beschäftigten, an Interessierten, die in den Beruf gehen wollen. Heute müssen wir - auch das war schon Gegenstand dieses Kongresses - mit Hilfe der Politik für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Altenpflege streiten, damit die Altenpflegerinnen und Altenpfleger halbwegs fair bezahlt werden. Und das gegen den vehementen Widerstand der privaten Pflegeheimbetreiber und ihrer Lobbyisten, damit die ihre Profite weiterhin sichern.
Ich frage euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört es nicht zu den besonders verantwortungsvollen Aufgaben, die würdevolle Begleitung der Älteren im letzten Lebensabschnitt sicherzustellen? Ich meine ja. Und ich frage euch: Gehört es nicht weiter zu den besonders wichtigen Aufgaben, die Betreuung und die Pflege unserer kranken Mitmenschen sicherzustellen? Auch hier - aus meiner Sicht ein klares Ja.
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Wir wollen die Altenpflege und die Krankenversorgung wieder der Verwertungslogik des Kapitals entziehen. (Beifall) Gemeinwohl statt Profite auf Kosten der pflegenden Menschen und zu Lasten der Beschäftigten. Und übrigens auch für Bildung und Erziehung liebe Kolleginnen und Kollegen. Nicht nur für die Pflege und die Krankenversorgung. Um das mit dem, finde ich wirklich gelungen, Slogan unseres Fachbereiches Gesundheitswesen und soziale Dienste zuzuspitzen: Wir als ver.di sind radikal sozial. Und das mit Stolz. (Beifall)
...

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