Mittwoch, 28. Juni 2023

§ Kirchenaustritt als Kündigungsgrund?

Wir hatten Gestern auf einen "neuen Fall" aus den Spezialitäten des Arbeitsrechts bei kirchlichen Arbeitgebern hingewiesen:
ERZIEHERIN AUS BUXTEHUDE-OTTENSEN MUSSTE GEHEN
Kirche knallhart: Nach dem Austritt kam die Kündigung
Nach Rückfragen möchten wir den juristischen Hintergrund auf Grundlage des "Fall Egenberger" entsprechend klarstellen.
Was für eine Einstellung gilt. muss selbstverständlich auch und gerade für die Kündigung gelten. Da greift nicht nur die "Fürsorgepflicht des Arbeitgebers" für seine MitarbeiterInnen.
Dass es keine unterschiedlichen Maßstäbe geben kann wird deutlich wenn man bedenkt, dass u.U. eine "wegen Kirchenaustrittskündigung" vakante Stelle nur mit einer Person besetzt werden kann, die gar nicht erst getauft oder bereits vor der Einstellung aus der Kirche ausgetreten war.

In diesem "Fall Egenberger" war eine Bewerberin wegen des vor der Einstellung liegenden Kirchenaustritts nicht aufgenommen worden. Die Bewerberin hatte daraufhin auf Schadensersatz geklagt. Aufgrund einer Voranfrage des Bundesarbeitsgerichts hat dazu der EuGH entschieden, dass die Kirchenzugehörigkeit nur dann ein Kriterium sein kann, wenn diese Zugehörigkeit für die jeweilige Tätigkeit zwingend ist. Diese Voraussetzung sei (zur Vermeidung von Willkür) durch die weltlichen Gerichte überprüfbar, oder mit den Worten des Gerichts:
1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist in Verbindung mit deren Art. 9 und 10 sowie mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass für den Fall, dass eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend macht, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, ein solches Vorbringen gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss, damit sichergestellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.

2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass es sich bei der dort genannten wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderung um eine Anforderung handelt, die notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist und keine sachfremden Erwägungen ohne Bezug zu diesem Ethos oder dem Recht dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie umfassen darf. Die Anforderung muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

3. Ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den Art. 21 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. EuGH, Urt. vom 17.4.2018 - C-414/16, BeckRS 2018, 5386 - Egenberger
Quellen:
Info Curia - Links zum Urteil und zu den Schlussanträgen
Hensche.de - Wiedergabe des Urteils des EuGH
Beck Community: EuGH zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen - Fall "Egenberger" von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 25.04.2018
Prof. Dr. Friedemann Kainer - Rechtsgrundlagen im Fall Egenberger
PETER STEIN, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg und Richter am Arbeitsgericht Hamburg a.D.

Das BAG hatte daraufhin im Sinne der Klägerin entschieden (Urt. vom 25.10.2018 - 8 AZR 501/14, BeckRS 2018, 30589).
Beck Community: Entscheidungsgründe des BAG in Sachen "Egenberger" liegen vor von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.04.2019

Hiergegen hat die Beklagte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erhoben. Strittig ist insbesondere, ob den staatlichen Gerichten ein Prüfungsrecht hinsichtlich der von den Kirchen festgestellten beruflichen Anforderungen zusteht.
Linkhinweise: Heiko Sauer, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn im Verfassungsblog
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Läßle, Beratung konfessioneller Arbeitgeber in der Meides Rechtsanwaltsgesellschaft

Dieses Verfahren vor dem BVerfG - 2 BvR 934/19 ist noch anhängig.

Wir haben unter den Stichworten "Eigene Angelegenheiten", "Schrankenvorbehalt" und "kirchliche Rechtsetzungsbefugnis" schon mehrfach deutlich gemacht, was wir von dem als "Selbstbestimmungsrecht" bezeichneten, überdehnten Anspruch der Kirchen auf "Selbstordnung und Selbstverwaltung" halten.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 1985, wonach es den Kirchen selbst überlassen bleiben soll
verbindlich zu bestimmen, was ‚die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert‘, was ‚spezifisch kirchliche Aufgaben‘ sind, was ‚Nähe‘ zu ihnen bedeutet, welches die ‚wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre‘ sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist.“
mag zum damaligen Zeitpunkt noch vertretbar gewesen sein. Sie war schon damals strittig. Und seither ist spätestens mit dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot auch eine neue Rechtslage entstanden. Dass diese Rechtslage dann auch für die Kirchen und ihre Arbeitsverhältnisse gelten muss ergibt sich aus dem Schrankenvorbehalt - es ist der Staat, der letzendlich die Schranken der kirchlichen Regelungsmöglichkeiten festlegt. Und die Geltung dieser "Schranken" ergibt sich für kirchliche Arbeitsverhältnisse schon infolge einer Entscheidung der kirchlichen Arbeitgebr für die Privatautonomie - wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung von 1985 bereits (zutreffend) festgestellt hat.
Oder anders formuliert: wenn sich die Kirchen für Arbeitsverträge entscheiden, dann muss auch das komplette Arbeitsvertragsrecht gelten.

Dienstag, 27. Juni 2023

Wie war das im AGG - Benachteiligung aus religiösen Gründen ist verboten?

 ERZIEHERIN AUS BUXTEHUDE-OTTENSEN MUSSTE GEHEN

Kirche knallhart: Nach dem Austritt kam die Kündigung

berichtet das Neue Buxtehuder Wochenblatt am 23.06.2023 und führt aus:

Einer Erzieherin der Kita "Wilde Hummeln" in Ottensen wurde fristlos gekündigt. Der Grund: Sie war aus der Kirche ausgetreten. Die Kita gehört zum Evangelischen Kindertagesstättenverband Buxtehude. Damit gelten dort Regeln, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder Artikel zwölf des Grundgesetzes (Freiheit der Berufswahl) aushebeln. Viele Eltern der "Wilden Hummeln" sind entsetzt: "Wie kann es sein, dass eine Erzieherin, die von den Eltern, aber vor allem von den Kindern, geschätzt wurde, gehen musste?" Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels müsse man für jede gute Erzieherin dankbar sein.

Die Elternvertreter haben sich an Pastor Thomas Haase, den Vorsitzenden des Kitaverbands, gewandt. Sie haben sich bei der Stadt gemeldet, um die für sie nicht nachvollziehbare Entscheidung der Kirche rückgängig zu machen. Vergeblich: ...

und weiter

Jenseits kirchenrechtlicher Fragen gibt es noch etwas, was die Eltern erzürnt: Die Kinder hätten nicht einmal die Möglichkeit gehabt, sich von der gefeuerten Erzieherin zu verabschieden. Was in anderen Kitas Standard ist, Abgänge pädagogisch aufzufangen, den Kindern zu erklären, scheint in diesem Fall unwichtig gewesen zu sein. Vielleicht deshalb, weil es einfach keine überzeugende kindgerechte Erklärung gibt. Kirchenrecht ist Kindern schnuppe.

Und noch etwas verstehen Eltern (und vermutlich auch Kinder) nicht: Es gibt bei den "Wilden Hummeln" Mitarbeiter, die nicht Mitglied der evangelischen Kirche oder einem anderen Mitglied der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) sind. ....

 

Sollte es während eines bestehenden Anstellungsverhältnisses einer Erzieherin/eines Erziehers zu einem Kirchenaustritt kommen, so sieht das Kirchengesetz der Landeskirche Hannovers eine fristlose Kündigung vor. In diesen Fällen ist keine Ausnahmeregelung vorgesehen. Daher wird nach Bekanntwerden das Gespräch gesucht und erläutert, dass aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts eine Weiterbeschäftigung in unserem Kindertagesstättenverband nicht mehr möglich ist, so dass der Mitarbeiterin/dem Mitarbeiter die arbeitsrechtlichen Konsequenzen immer auch bewusst sind."

 

 

Montag, 26. Juni 2023

Evangelische Kirche und Diakonie Bayern: Dritter Weg wird weiter eiskalt zur Reduzierung der Vergütungen genutzt

 Am 28. April hatten wir unter der Überschrift

"Nach dem Abschluss im öffentlichen Dienst ... folgt die Umsetzung bei den Kirchen?"
auch auf die Petition "Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie bei der Diakonie Bayern und der ELKB" hingewiesen  und diese u.a. am 13. Mai mit einem weiteren Blogbeitrag genwürdigt.

Zum Stand vom Sonntag liegen über 11.000 Unterschriften vor, die weit überwiegend aus Bayern kommen. Dennoch "schaut es nicht so aus", als ob die Arbeitsrechtliche Kommission der evangelischen Kirche noch in diesem Jahr zur Auszahlung der "Inflationsausgleichsprämie" positiv beschließen würde. Die im Wettbewerb mit anderen Wohlfahrtseinrichtungen stehende Diakonie Bayern nutzt den Dritten Weg wieder als "Wettbewerbsvorteil" gegenüber anderen Wohlfahrtsverbänden - und die evangelische Kirche nimmt das für sich gleich mit.

Sonntag, 25. Juni 2023

Sonntagsnotizen - Das Kreuz mit den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden

Mit diesem Beitrag setzen wir unsere kleine Reihe der (vielfach sonntäglichen) Literaturhinweise fort. Dr. Robert Hinke, Landesfachbereichsleiter für Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft hat in einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag *) Fragen angesprochen, denen wir uns unter dem "Stichwort Dienstgemeinschaft" seit Jahren immer wieder widmen.
Hinke erläutert insbesondere, wie es unter dem Subsidiaritätsgrundsatz zur Bildung der kirchlichen Wohlfahrtskonzerne unter gleichzeitiger Insanspruchnahme von Sonderregelungen (keine Geltung des Betriebsverfassungsrechts) kam, und wie mit der wettbewerblichen Neuausrichtung in Richtung eines "nationalen Wettbewerbsstaates" und dem Umbau der kirchlichen Einrichtungen zu Sozialunternehmen die kirchlichen "Sozialeinrichtungen" in die Falle der "Verbetriebswirtschaftlichung" geraten sind.
Die tätige Verkündigung der "frohen Botschaft" ist längst den Handbüchern des BWL zum Opfer gefallen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die kirchlichen Sozialunternehmen - welcher Rechtsform auch immer - noch den Voraussetzungen für die Befreiung vom Betriebsverfassungsgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz oder den Personalvertretungsgesetzen unterliegen. Denn diese Befreiung gilt - so etwa das Betriebsverfassungsgesetz - für (Zitat) "Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform. (§ 118 Abs. 2 BetrVG)" (Zitat Ende).
Eine privatrechtlich konstituierte Einrichtung die nicht mehr karitativ, also selbstlos, sondern nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen bzw. gewerblich tätig ist, unterliegt damit dem Betriebsverfassungsrecht.
Gewerblich tätig - da kommt es nicht einmal auf die Gewinnerzielungsabsicht an, sondern lediglich auf die Betätigung am Markt (vgl. unser Beitrag vom 01.08.2015 unter Bezug auf Hanau / Thüsing, »Grenzen und Möglichkeiten des Outsourcings aus dem kirchlichen Dienst« in KuR 2002, RNr. 350, S. 119 ff).
Und dass auch für gewerbliche tätige Betriebe eines öffentlich-rechtlich konstituierten Trägers keine Befreiung vom Personalvertretungsgesetz vorliegt, hat die Rechtsprechung anhand der Klosterbrauerei Andechs längst entschieden (vgl. unser Beitrag "Countdown" vom 30.07.2020 unter Bezug auf VGH München: Entscheidung vom 13.09.1989 - 17 P 89 00759)

Der Aufsatz von Hinke passt in die aktuelle Diskussion zum "Gleichen Recht für kirchlich Beschäftigte". Es kann wohl als "Pflichtlektüre auch für diejenigen bezeichnet werden, die sich für einen Erhalt der kirchlich beanspruchten Sonderrechte einsetzen.

*)
Sozialismus.de - Heft Nr. 6 | Juni 2023 | 50. Jahrgang | Heft Nr. 484

Samstag, 24. Juni 2023

Gleiches Recht für kirchliche Beschäftigte - beanspruchen die Kirchen zurecht eine Sonderrolle im Arbeitsrecht?

Wer unseren Blog regelmäßig verfolgt wird feststellen, dass wir seit einigen Tagen auf die Petition "Gleiches Recht für kirchliche Beschäftigte" verweisen. Dahinter steckt die Tatsache, dass die Kirchen weitestgehend eigenständige Regelungen für Arbeitsverhältnisse in kirchlichen Einrichtungen beanspruchen. Sie haben faktisch ein Eigenleben, eine kirchenrechtlich begründete Regelungsbefugnis als "Staat im Staat" geschaffen.

Zu Recht?

Wir haben die verfassungsrechtlichen Grundlagen des behaupteten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts schon mehrfach angesprochen. Wir brauchen also nur daran zu erinnern, dass die Kirchen
  • kein Selbstbestimmungsrecht haben sondern lediglich ein Recht zur Selbstordnung (= strukturelle Organisation) und Selbstverwaltung (Art. 140 GG i.V. Art. 137 Abs. 3 WRV)
  • dass diese Regelungsbefugnis nur für die eigenen Angelegenheiten (res sacra) und nicht für den Bereich der gemeinsamen (res mixta) oder staatlichen Angelegenheiten besteht (Art. 140 GG i.V. Art. 137 Abs. 3 WRV) - während das Arbeitsrecht schon wegen der Beschäftigung von säkulären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anderer Religionszugehörigkeit nicht mehr zu den nur eigenen, internen Angelegenheit der Kirche zählt, 
  • dass diese Regelungsbefugnis nur in den "Schranken der für alle geltenden Gesetze" möglich ist (Art. 140 GG i.V. Art. 137 Abs. 3 WRV) und
  • dass diese Regelungsbefugnis durch das fortgeltende Reichskonkordat (Art. 123 Abs. 2 GG) für die katholische Kirche nur hinsichtlich der eigenen Mitglieder (Art. 1 Abs. 2 RKonk) besteht, was aber aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, C.-I Nr. 2 im Urteil vom 14.12.1965 - 1 BvR 413/60) auch für die evangelischen Kirchen wie auch für alle anderen Religionsgemeinschaften gilt.
Was die Kirchen beanspruchen ist nun insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts mehr, als ihnen zusteht

Freitag, 23. Juni 2023

§ Leiharbeit im Bereich der Kirche

Kirchliche Einrichtungen sind immer wieder mit dem Phänomen "Leiharbeit" konfrontiert. Da gibt es einerseits die "klassische Leiharbeit" etwa im Bereich der caritativ tätigen Einrichtungen.
Für diese Formen der Leiharbeit gibt es längst Entscheidungen der jeweiligen Kirchengerichte, die solche "klassische Leiharbeit" mit der Grundlage der "Dienstgemeinschaft" als weitgehend unvereinbar und damit weitgehend als unzulässig betrachten (zu den Grundsatzentscheidungen des Kirchengerichtshofes der EKD - KGH EKD - vgl. von Tillig in öAT 2019, Heft 9, S. 10027 ff - der KAGH hat für die katholische Kirche eine vergleichbare Rechtsprechungspraxis - vgl. auch 2011 Deutscher BundestagWissenschaftliche Dienste Nr. 6 – 3000-186/11).

Dazu kommt aber auch noch eine Besonderheit im Bereich der verfassten Kirche. Viele Tätigkeiten von Priestern werden bei zunehmendem Priestermangel durch angestellte Laientheologen, durch Sozialpädagogen oder Katecheten und Religionslehrer ausgeübt. Diese Mitarbeiter*Innen - z.B. Pastoral- und Gemeinde- assisten*Innen oder -referent*Innen - sind bei den jeweiligen Erz-Diözesen angestellt, im Kern also Mitarbeiter der jeweilgen Diözese, aber über einen (meist unbestimmten) Zeitraum hin fest für einen Einsatz bei einer örtlichen kirchlichen Einrichtung, einer oder mehrerer Kirchenstiftungen, Pfarreien, ja sogar in privaten oder staatlichen Altenheimen, Krankenhäusern und Schulen als Klinikseelsorger oder eben als Religionslehrer tätig. Die Ausübung der beruflichen Aufgaben erfolgt infolge einer Abordnung bei einem anderen Rechtsträger als dem Anstellungs- und Arbeitsvertragspartner. Die Tätigkeit dort wird dann auch unter mehr oder weniger intensiver Aufsicht und nach Weisung des örtlichen Pfarrers durchgeführt.

Eine klassische Leiharbeit?
Üblicherweise gibt es bei einem Arbeitsverhältnis eine Zweierbeziehung, so gibt es Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Bei der Leiharbeit besteht jedoch eine Dreiecksbeziehung. Arbeitnehmer sind bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. Diese Zeitarbeitsfirmen stellen ihre Mitarbeiter gegen Entgelt einem Dritten zur Arbeitsleistung zur Verfügung. Dieses Prinzip wird auch als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet.
Der Verleiher ist in diesem Fall der Arbeitgeber, der Dritte, der die Arbeitsleistung in Anspruch nimmt, wird als Entleiher bezeichnet. Während der Dauer der Überlassung in den Betrieb des Entleihers, sind die Leiharbeiter in diesen eingegliedert und müssen sich nach den Weisungen des Entleihers richten, § 1 Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Es besteht somit zwischen Entleiher und Leiharbeiter kein regulärer Arbeitsvertrag. Vielmehr erfolgt die Anstellung über den Verleiher, mit dem auch der Arbeitsvertrag aufgesetzt wird.
Definition zitiert aus dem Juraforum

Mittwoch, 21. Juni 2023

AWO Bayern - Übernahme des Tarifergebnisses aus dem öffentlichen Dienst

Die AWO Bayern hat auf unsere Forderung reagiert, die Inflationsausgleichszahlungen zu erhöhen: Die Inflationsausgleichszahlung wird auf 3.000 € erhöht. Mit dem Nachvollzug der Tabellensteigerungen TVöD haben wir zudem einen historischen Tarifabschluss erzielt. Bei den unteren Einkommen gar um die 17%. Gewerkschaft lohnt sich!
Quelle und mehr: ver.di Tarifinfo für die Beschäftigten der AWO Bayern

Dienstag, 20. Juni 2023

AWO Baden Württemberg - Übernahme des Tarifergebnisses aus dem öffentlichen Dienst

Das ist eine tolle - und dazu noch schnelle - Einigung, die die Kolleg*innen bei der AWO in Baden-Württemberg vor dem Wochenende erreicht haben!
Schon in der zweiten Verhandlungsrunde stimmten die Arbeitgeber bei der AWO der Übernahme des Tarifergebnisses des öffentlichen Dienstes zu, das aus durchschnittlich 11,5 Prozent mehr Lohn und der Inflationsausgleichszahlung von 3000 Euro für Vollzeitbeschäftigte besteht.
📈 Aber es geht noch weiter: In allen Stufen werden die Entgelttabellen auf das Niveau des TVöD erhöht. Dazu kommen Strukturanpassungen in Höhe von weiteren 3 Prozent mehr Lohn. Mit diesem Ergebnis schließt die AWO BaWü endlich zu den Löhnen im öffentlichen Dienst auf. Wir gratulieren zu diesem Top-Ergebnis!
Alle Infos zum Abschluss 👉 https://kurzelinks.de/pqff
Quelle: Pressemitteilung von ver.di, Zitat Facebook



Montag, 19. Juni 2023

AK Caritas (Bundeskommission) beschließt weitgehende Übernahme der Ergebnisse des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst

Die Mitarbeiterseite der AK Caritas informiert auf ihrer Internetseite über das Ergebnis der Sitzung der Bundeskommission vom 15. Juni 2023:

TARIFEINIGUNG IN DER CARITAS: STARKES SOZIALES SIGNAL, WICHTIG FÜR TARIFLANDSCHAFT

Am 15. Juni haben die Dienstgeber- und die Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas in den beiden laufenden Tarifrunden eine Einigung erzielt. Die Gehälter der rund 700.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 25.000 zur Caritas gehörenden Einrichtungen und Dienste steigen zeitlich und in der Höhe gleich wie in den Tarifrunden des Öffentlichen Dientes.

Quelle: https://www.akmas.de/

Die Beschlüsse der Bundeskommission gelten nicht unmittelbar, sie müssen noch durch die Regionalkommissionen umgesetzt werden. Die Termine sind folgende:

  • NRW: 28. Juni 2023
  • Ost: 29. Juni 2023
  • Baden-Württemberg: 29. Juni 2023
  • Bayern: 6. Juli 2023
  • Nord: 6. Juli 2023
  • Mitte: 13. Juli 2023

Samstag, 17. Juni 2023

Presseschau - GLEICHES RECHT für kirchlich Beschäftigte

Die Petition von ver.di "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte" ist seit einem Monat zur Unterstützung frei geschaltet (wir berichteten am 19. Mai um 08:00 Uhr). Das Anliegen sahen auch fast 95 Prozent der von ver.di befragten Besucher*innen des evangelischen Kirchentags so. Sie sprachen sich dafür aus, dass die etwa 1,8 Millionen Beschäftigten von Kirchen, Diakonie und Caritas die gleichen Rechte haben sollten wie wie Arbeitnehmer*innen in weltlichen Betrieben. Die Petition hat mittlerweile knapp 4.000 Unterstützende erreicht (Stand 15.06.2023). Daher kann nach einem Monat eine erste Zwischenbilanz einschließlich einer Medienrundschau gezogen werden.

Zwischenbilanz:
Mit 698 Unterschriften bis zum 19. Mai und dem bislang stärksten Unterschriftstag am 22. Mai wurde bereits zum "Start" eine hohe Akzeptanz der Forderung belegt. Die meisten Unterzeichner sind von den Arbeitsverhältnissen selbst betroffen. Die Bundesländer Hamburg, Nordrhein-Westfahlen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern sind bei den Unterzeichnern am stärksten vertreten. Die Statistik differenziert leider nicht zwischen den Konfessionen, also katholischen und protestantischen Einrichtungen. Man wird aber durchaus annehmen dürfen, dass die überwiegend katholischen Gebiete im Rheinland (Köln), Baden-Württemberg und Bayern nicht unerheblich vertreten sind.

Presseschau:
Die Petition hat in den größeren säkularen Medien bisher kaum Widerhall gefunden. Das aktuelle (welt-)politische Geschehen und die zuverlässig ständig auleuchtenden Skandalmeldungen über kirchliche Einrichtungen und das (durch strukturell Mängel begünstigende) Fehlverhalten einer Vielzahl von Personen im kirchlichen Dienst und in kirchlichen Einrichtunge (Finanzskandale, Diskriminierung, Missbrauch) produzieren mehr Schlagzeilen als die Bemühungen um Normalität im kirchlichen Leben.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass insbesondere kirchliche Medien auf die Kritik am kirchlichen Sonderrecht reagieren. Unmittelbar nach unserer Veröffentlichung hat "katholisch.de" am 19. Mai um 12:46 Uhr ebenfalls einen Artikel publiziert: "Gewerkschaft ver.di startet Kampagne gegen kirchliches Arbeitsrecht". Dort wird über das Faktum der gestarteten Petition berichtet, ohne über die Gründe für diese Petition näher zu informieren. Zugleich wird kritiklos die Gegenposition wiedergegeben, ohne deren Gehalt zu hinterfragen.
Befürworter des "Dritten Wegs" verweisen auf die fast flächendeckende Anwendung der kirchlichen Tarifwerke und den im Vergleich zum Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes deutlich höheren Anteil von Einrichtungen mit Mitarbeitervertretung.
Über die "flächendeckende Anwendung der kirchlichen Tarifwerke" hatten wir schon mehrfach Beiträge im Blog. Und der "höhere Anteil von Mitarbeitervertretungen" ist von uns mehrfach angesprochen und u.a. hier einem Faktenchcek unterzogen worden. Die Argmentation der Gegenposition fällt also bei näherer Sicht haltlos zusammen.

In der Zeitschrif "Sozialismus.de" wird dagegen eine Zusammenstellung der Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts und Gründe für die Petition durch Berno Schuckart-Witsch, ehemals Gewerkschaftssekretär von ver.di, abgedruckt. Ob diese Gründe zutreffen, können die kirchlichen MitarbeiterInnen selbst am Besten beurteilen.

Freitag, 16. Juni 2023

§ Versicherungsschutz auch während des Unterrichts per Videoübertragung

Die Situation wurde durch die Corona-Pandemie akut - kann aber auch weiterhin jederzeit auftreten. Was ist, wenn im homeoffice (etwa bei einer Videokonferenz) ein Unfall passiert. Bei einer Unterrichtsstunde "per Videoübertragung" hat das SG München zu Arbeitsunfall nun eine klare Entscheidung getroffen:
Das Sozialgericht München hat entschieden, dass bei einem Unfall während des Unterrichts per Videoübertragung der gesetzliche Unfallversicherungsschutz greife – selbst dann, wenn Kameras und Mikrofone ausgeschaltet sind. Das Gericht gab damit einer Schülerin Recht, die während der pandemiebedingten Schulschließung beim Holen eines Buches gestürzt war. Durch die Ergänzung des § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII habe der Gesetzgeber mittlerweile klargestellt, dass auch die Arbeit zuhause in gleicher Weise versichert sei wie die Arbeit im Betrieb. Deshalb sei auch der Unfall der Schülerin als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urt. 22.05.2023, Az. S 9 U 158/22). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
LTO.de - Legal Tribune Online - Aktuelles aus Recht und Justiz berichtet unter der Überschrift: "Sturz beim Homeschooling zählt als Arbeitsunfall" zugunsten einer klagenden Schülerin.
Durch die Ergänzung des § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII habe der Gesetzgeber mittlerweile klargestellt, dass auch die Arbeit zuhause in gleicher Weise versichert sei wie die Arbeit im Betrieb. Aus diesem Grund sei auch der Unfall der Schülerin als Arbeitsunfall anzuerkennen, so das Gericht.

Das kann dann bei der Tätigkeit im "Home-Office" auch außerhalb eines Unterrichts im Grundsatz nicht anders sein.

Donnerstag, 15. Juni 2023

§ Kann ein MAV-Vorsitzender zugleich betrieblicher Datenschutzbeauftragter sein?

Wir möchten an dieser Stelle auf die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) Nr. 27/23 vom 06.06.2023 verweisen. Dort wird unter Hinweis auf einen potentiellen Interessenkonflikgt ausgeführt:
Die Aufgaben eines Betriebsratsvorsitzenden und eines Datenschutzbeauftragten können danach typischerweise nicht durch dieselbe Person ohne Interessenkonflikt ausgeübt werden. Personenbezogene Daten dürfen dem Betriebsrat nur zu Zwecken zur Verfügung gestellt werden, die das Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich vorsieht. Der Betriebsrat entscheidet durch Gremiumsbeschluss darüber, unter welchen konkreten Umständen er in Ausübung seiner gesetzlichen Aufgaben welche personenbezogenen Daten vom Arbeitgeber fordert und auf welche Weise er diese anschließend verarbeitet. In diesem Rahmen legt er die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten fest. Inwieweit jedes an der Entscheidung mitwirkende Mitglied des Gremiums als Datenschutzbeauftragter die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten des Datenschutzes hinreichend unabhängig überwachen kann, bedurfte keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls die hervorgehobene Funktion des Betriebsratsvorsitzenden, der den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertritt, hebt die zur Erfüllung der Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten erforderliche Zuverlässigkeit iSv. § 4f Abs. 2 Satz 1 BDSG aF auf.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Juni 2023 – 9 AZR 383/19 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 19. August 2019 – 9 Sa 268/18 –
Auch wenn das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht weniger Mitwirkungsmöglichkeiten als das Betriebsverfassungsgesetz bietet: die Interessenlage ist vergleichbar, zumal das BAG auch noch auf die europarechtliche Grundlage verweist:
Ein abberufungsrelevanter Interessenkonflikt ist anzunehmen, wenn der Datenschutzbeauftragte innerhalb einer Einrichtung eine Position bekleidet, die die Festlegung von Zwecken und Mitteln der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat. Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Diese vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH 9. Februar 2023 – C-453/21 – [X-FAB Dresden]) zu einem Interessenkonflikt iSv. Art. 38 Abs. 6 Satz 2 DSGVO vorgenommene Wertung gilt nicht erst seit Novellierung des Datenschutzrechts aufgrund der DSGVO, sondern entsprach bereits der Rechtslage im Geltungsbereich des BDSG aF.
Daher ist die Entscheidung des BAG auch für die Vorsitzenden einer kirchlichen MAV von Bedeutung. Abweichende kirchliche Regelungen könnten gerade vor dem Hintergrund der europarechtlichen Grundlage und einer zwingenden europarechtskonformen Auslegung von Rechtsnormen keinen Bestand haben.

ergänzend:
Unsere Auffassung wird auch von Felix Neumann, Herausgeber und Kommentator des Blog "Artikel 91" geteilt. Dort schreibt er:
Nach Jahren gibt es eine höchstrichterliche Entscheidung dazu, ob Betriebsratsvorsitzende Datenschutzbeauftragte sein können. Das Bundesarbeitsgericht sagt nein (BAG, Urteil vom 6. Juni 2023 – 9 AZR 383/19). Im kirchlichen Arbeits- und Datenschutzrecht gibt es keinen Grund, das nicht analog zu sehen. Weiterhin offen sind Konflikte bei einfachen Mitgliedern und stellvertretenden Vorsitzenden.

Mittwoch, 14. Juni 2023

Sozialdemokratische Politiker*innen positionieren sich am Rande des Hamburger SPD-Parteitags klar für gleiche Rechte für kirchlich Beschäftigte.

»Eine Selbstverständlichkeit«
Sozialdemokratische Politiker*innen positionieren sich am Rande des Hamburger SPD-Parteitags klar für gleiche Rechte für kirchlich Beschäftigte.
berichtet ver.di.
Mitglieder von Mitarbeitervertretungen, ver.di und der SPD haben beim Hamburger SPD-Parteitag am Samstag (3. Mai 2023) im Stadtteil Wilhelmsburg auf die Diskriminierung kirchlich Beschäftigter beim Arbeitsrecht aufmerksam gemacht. Bei der Aktion, die der NDR in seiner Nachrichtensendung vorab ankündigte, unterschrieben etliche Parteitagsdelegierte die Petition »Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte«. Eine Reihe namhafter SPD-Politiker*innen positionierte sich klar für die Abschaffung des kirchlichen Sonderrechts. Ihre Partei fordere dies ebenso wie die Gewerkschaften »seit Jahrzehnten«, betonte die Präsidentin des Hamburger Abgeordnetenhauses, Carola Veit. »An dieser Stelle ist es in Ordnung, sich in die Kirchenbelange einzumischen und diese Forderung zu unterstützen – ich bin dafür!«
Der Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi nannte gleiche Rechte für kirchlich Beschäftigte »eine Selbstverständlichkeit«. »Wir müssen alle Voraussetzungen schaffen, dass das tatsächlich der Fall ist«, so der SPD-Politiker. Sein Parteikollege Ole Thorben Buschhüter, Mitglied des Abgeordnetenhauses und Parlamentarischer Geschäftsführer, sagte: »Ich bin voll dafür!« Es sei »völlig anachronistisch, dass die Kirchen solche Sonderrechte genießen. Egal wo man arbeitet – die Rechte müssen überall die gleichen sein.«
...
Unser Kollege Andreas Schlutter ergänzt auf Facebook:
❗Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte❗
.... Etliche Parteitagsdelegierte unterschrieben unsere Petition »Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte«. Auch #Bundeskanzler Olaf Scholz haben wir vor Ort über unsere Forderungen informiert.
Hier geht es direkt zur Petition. Mach mit: https://www.openpetition.de/.../gleiches-recht-fuer...
Unterzeichne jetzt unsere Petition! Schluss mit der Diskriminierung kirchlich Beschäftigter und volle Mitbestimmung im Betrieb, statt Sonderregeln. Der Gesetzgeber muss handeln.

Dienstag, 13. Juni 2023

Niemand kann erwarten, dass die katholische Kirche schon morgen Tarifverträge abschließt - übermorgen reicht.

Niemand kann erwarten, dass die katholische Kirche schon morgen Tarifverträge abschließt - übermorgen reicht. Aber zumindest Gespräche darüber, wie das Tarifrecht gemeinsam gestaltet und der Kosten- und Verdrängungswettbewerb in der Branche beendet werden kann, wären dringendst - und auch im Interesse der kirchlichen Einrichtungen längst überfällig.
Wir möchten zur Verdeutlichung eine Diskussion aus Facebook *) wiedergeben, und damit unsere pflingstliche "Nachdenkpause" beenden:
Andreas Schlutter: Ungebremst gegen die Wand?
Diakonie Bayern fürchtet um den Fortbestand sozialer Dienste

Nürnberg, 30.05.2023 Der Personalmangel gefährdet zunehmend den Bestand sozialer Einrichtungen in Bayern. Dies befürchtet das Diakonische Werk Bayern, der zweitgrößte bayerische Wohlfahrtsverband im Freistaat. „Die Situation ist im wahrsten Sinne des Wortes todernst“, sagte die Präsidentin der Diakonie Bayern, Dr. Sabine Weingärtner im Rahmen einer Pressekonferenz heute in Nürnberg. Es gehe nicht mehr um die Frage, wie gut die Versorgung in den Einrichtungen sei, sondern um die Frage: „Wird es diese Einrichtungen morgen noch geben?“
Erich Sczepanski
Wer jahrelang über Lohndumping die Personalkosten mit Auswirkungen in der gesamten Branche drückt, der darf sich über Personalmangel zuletzt beschweren
Andreas Schlutter
Dass die kirchlichen Träger mit ihrem Festhalten am "Dritten Weg" mit zur Misere beigetragen haben, erkennen sie leider nicht. Bessere Arbeitsbedingungen hat nie zuerst der Gesetzgeber auf den Weg gebracht, sondern die müssten von Arbeitnehmer:innen und ihren Gewerkschaften erkämpft werden. Unsere Branche dagegen ist tief gespalten - nicht zuletzt, weil 1,4 Mio. Beschäftigte bei Diakonie und Caritas in Bezug auf die Arbeitsbedingungen klein gehalten werden
Erich Sczepanski
Andreas Schlutter es gab und gibt wohl immer noch kirchliche Träger, die einen Preiswettbewerb in der Branche befürworten und den Dritten Weg als Wettbewerbsvorteil sehen.
Sie übersehen, dass gerade im Dienstleistungssektor die sogenannten Personal"kosten" den größten Anteil der Gestehungskosten einnehmen, weit vor der Industrie. Ein "Kostenwettbewerb" geht damit zu Lasten der eigenen Mitarbeiter'Innen und über Arbeitsverdichtung usw. auch zu Lasten der Qualität.
Das können gerade die kirchlichen Einrichtungen mit geringer Größe auch nicht durch Rationalisierungen ausgleichen.
Das Ergebnis ist reihenweise die Schließung kirchlicher Häuser
*)
Andreas Schlutter ist der Vertreter der MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen im Gewerkschaftsrat, dem höchsten ehrenamtlichen Gremium unserer ver.di
Erich Sczepanski war sein Vorgänger in diesem Amt

Montag, 12. Juni 2023

Gemeindereferentin: Pastorales Personal leidet unter Machtmissbrauch

Unter dieser Überschrift berichtet katholisch.de auch darüber,
dass das ganze System unserer Kirche machtmissbräuchlich ist
(das berichten auch das Domradio sowie "Kirche und Leben")

In einer zutreffenden Analyse werden zwei unterschiedliche "Missbrauchsebenen" dargestellt:
Wenn zum Beispiel eine Gemeindereferentin genial predigen kann und der Pfarrer verbietet es ihr in der Eucharistiefeier, weil das Kirchenrecht sagt, dass Predigen ohne Weihe nicht geht, dann ist das kein Machtmissbrauch durch diesen Pfarrer, sondern es ist gedeckt durch eine machtmissbräuchliche Regelung des Systems. Wenn hingegen ein dienstvorgesetzter Pfarrer Mitarbeitende demütigt oder sie in ihren Kompetenzen oder auch ihrer Spiritualität nicht respektiert, eventuell sogar sexuell übergriffig wird, dann missbraucht er seine Macht, denn solche Verhaltensweisen sind weder kirchen- noch arbeitsrechtlich legitimiert.
Beide Arten beruhen auf realen Erfahrungen, wie von Mitgliedern aus den Mitarbeitervertretungen in den (Erz-)Diözesen oder auch Pfarrsekretär'Innen bestätigt werden kann.
Das kann auch nicht verwundern. Denn schon im Studium der künftigen Priester fehlt jeder Bezug zu arbeitsrechtlichen Standards, wie es etwa unter dem Stichwort "Personalführung" bei Student'Innen der Betriebswirtschaft der Fall ist. Stattdessen wird den Priesteramtskandidaten ein elitäres Selbstbewusstsein eingetrichtert, das es mit der Arroganz von Volljuristen nach einem abgeschlossenen Studium der Rechtswissenschaft aufnehmen kann. Nur - Theologen sind noch "weltfremder" als Volljuristen, die wenigstens in der täglichen Arbeit mit den realen Nöten und Sorgen der Mandanten konfrontiert werden.
Daraus resultieren dann Unsicherheiten im Umgang mit Mitarbeiter'Innen und deren eigener Meinung, die vielfach im zitierten hilflosen Satz
Ich bin hier der Chef und so läuft es."
münden.
Diese Unsicherheit und die Angst vor Konflikten kann auch ein Grund dafür sein, dass die katholische Kirche - sich gegen das päpstliche Lehramt stellend - in Deutschland am "Dritten Weg" und eigenen kirchlichen Arbeitsrechtsmodalitäten festhält. Man will Konflikte vermeiden - wählt aber mit dem Verbot, Konflikte auch konträr auszutragen, einen Weg, der genau das Gegenteil dessen erreicht, was bezweckt werden soll.
Und mit manipulierten oder zumindest manipulierbaren Wahlgängen zu- und Abstimmungsquoren in arbeitsrechtlichen Kommissionen, diversen Regional- und Untergruppen und letzlich dem entscheidenen Inkraftsetzungsakt durch einen Bischof, der abseits der Auseinandersetzungen residiert, sorgt man dafür, dass die Energie derjenigen, die etwas ändern wollen, verpufft. Das Ergebnis ist entweder die Resignation bis hin zum (zumindest innerlich vollzogenen) Kirchenaustritt - oder aber das Engagement außerhalb der kirchlichen Strukturen.
Niemand kann erwarten, dass die katholische Kirche schon morgen Tarifverträge abschließt - übermorgen reicht. Aber zumindest Gespräche darüber, wie das Tarifrecht gemeinsam gestaltet und der Kosten- und Verdrängungswettbewerb in der Branche beendet werden kann, wären dringend - und auch im Interesse der kirchlichen Einrichtungen längst überfällig.