Aus der Produktbeschreibung
Im "Dritten Weg" erfolgt die Gestaltung der Arbeitsbedingungen kirchlicher und diakonischer Mitarbeiter mithilfe Arbeitsrechtlicher Kommissionen, die paritätisch mit Dienstnehmern und Dienstgebern besetzt sind. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bewegt sich dieser "Dritte Weg" im Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der verfassten Kirchen und der Koalitionsfreiheit. Während die Zuordnung beider Gewährleistungen nach tradiertem Verständnis vom Grundsatz der praktischen Konkordanz beherrscht wird, greift Benjamin Weller auf das kirchengemäße Untermaßverbot zurück. Er zeigt, dass sich die Koalitionsfreiheit bereits auf Tatbestandsebene den Besonderheiten des kirchlichen Dienstes öffnen kann. Den Kern der Untersuchung bilden die nach wie vor umstrittenen Voraussetzungen, die das Grundgesetz sowie internationale Regelungen wie das Unionsrecht und die EMRK für einen kirchlichen Streikausschluss und die kirchengesetzliche Ausgestaltung des "Dritten Weges" bestimmen. Um diesen zu bewerten, ist es unerlässlich, sämtliche Arbeitsrechtsregelungsordnungen aus dem evangelischen und katholischen Bereich im Wege einer vergleichenden Gegenüberstellung darzustellen und zu systematisieren.
Schon der Titel macht neugierig - sollte man doch meinen, seit der Entscheidung der höchsten deutschen Gerichte zum Thema "Streikrecht im Dritten Weg" sei alles geklärt. Wir haben die BAG-Urteile vom 20.11.2012 und das bestätigende Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 15.7.2015 - 2 BvR 2292 / 13 - : www.bverfg.de) in mehreren Blogbeiträgen ausführlich gewürdigt und auch selbst kommentiert.
Dennoch legt Benjamin Weller eine insgesamt über 400seitige Dissertation aus dem Sommersemester 2017 bei der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen mit altbekannten Thesen vor, wobei er sich für die katholische Kirche - und nur die interessiert uns besonders - auf Rechtsquellen auf dem Stand von April 2015 (also vor der das Streikrecht bestätigenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) bezieht.
Ein Blick in das Literaturverzeichnis macht die Tendenz der Veröffentlichung deutlich. Weller zitiert seinen Doktorvater Reichold immerhin mit 18 Veröffentlichungen. Kirchenfreundliche Juristen wie Richardi (27 Veröffentlichungen), oder Dütz (11 Publikationen), Joussen (9 Publikationen) und Rüfner (7 Veröffentlichungen) bilden eine umfassende Grundlage der Dissertation. Dabei ist spätestens seit den höchstrichterlichen Entscheidungen klar, dass insbesondere die Meinung von Richardi (einem emeritierten Professor für Arbeitsrecht von der Universität Regensburg) allenfalls noch für historische Betrachtungen von Relevanz ist. Denn wenn Richardi mit seinen verfassungsrechtlichen Ausflügen richtig gelegen hätte, dann wären die beiden Entscheidungen anders ausgegangen. Insbesondere die Bestätigung des Bundesverfassungsgerichts, dass "derzeit in keiner kirchlichen Einrichtung ein Streikverbot" bestünde, steht völlig quer zur Lehrmeinung von Richardi, der allerdings die bis dahin "herrschende Meinung" geprägt hat.
Eher kritische Autoren (Hammer U. 2 Veröffentlichungen; Kühling 2 Veröffentlichungen; Lührs: 1 Publikation; Schubert/Henner: 2 Publikationen) bilden dagegen einen minimalen Bodensatz an Quellen, aus denen Weller zitiert. Manche - wie z.B. ein Tagungsreferat von Prof. Dr. Heide Pfarr - fehlen sogar völlig. Auch Sozialethiker und Theologen wie Nell-Breuning SJ, Hengsbach SJ oder sogar der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Marx (Das Kapital) fehlen.
Eher kritische Autoren (Hammer U. 2 Veröffentlichungen; Kühling 2 Veröffentlichungen; Lührs: 1 Publikation; Schubert/Henner: 2 Publikationen) bilden dagegen einen minimalen Bodensatz an Quellen, aus denen Weller zitiert. Manche - wie z.B. ein Tagungsreferat von Prof. Dr. Heide Pfarr - fehlen sogar völlig. Auch Sozialethiker und Theologen wie Nell-Breuning SJ, Hengsbach SJ oder sogar der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Marx (Das Kapital) fehlen.
Da ist es dann nicht verwunderlich, wenn Weller auf Grundlage der Meinung seines protestantischen Doktorvaters die kirchenrechtlichen, sozialethischen und theologischen Grundlagen der katholischen Kirche schlicht negiert und - wie bei Protestanten - ein theologisch begründetes Streikverbot voraus setzt.
Wer wissen will, was katholische Lehrmeinung ist, sollte nicht bei Richardi oder Reichold sondern im Katechismus nachlesen. Das Streikrecht wird dort unter Nr. 2435 als "sittlich berechtigt" bezeichnet, ohne spezielle Ausnahme für kirchliche Einrichtungen. Und eine universalkirchenrechtliche Grundlage findet sich im Canon 1286 des Codex Iuris Canonici.
Can. 1286 — Die Vermögensverwalter haben:
1° bei der Beschäftigung von Arbeitskräften auch das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen zu beachten;
2° denjenigen, die aufgrund eines Vertrages Arbeit leisten, einen gerechten und angemessenen Lohn zu zahlen, so daß sie in der Lage sind, für ihre und ihrer Angehörigen Bedürfnisse angemessen aufzukommen.
Heimerl/Pree (Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche, Pustet-Verlag, Regensburg, 1993 führen dazu aus
(Zitat, Rd. Nr. 6/93 unter Bezug auf VaII GS 68):
Eines der grundlegenden Rechte der menschlichen Person ist das Recht der im Arbeitsverhältnis stehenden Menschen, in voller Freiheit Organisationen zu gründen, die sie echt vertreten und im Stande sind, zur rechten Gestaltung des Wirtschaftslebens einen wirksamen Beitrag zu leisten, wie auch in diesen Organisationen sich frei zu betätigen, ohne Gefahr zu laufen, deswegen irgend welchen Nachteilen ausgesetzt zu sein ...
(Zitat, Rd. Nr. 6/30 ff)
So kann zB aus der Tatsache, dass das kirchl Lehramt den Katholiken niemals den Beitritt zu Gewerkschaften verboten, sondern vielmehr die Ausübung des Koalitionsrechts der Arbeitnehmer zum Schutz ihrer Rechte befürwortet hat und daß ferner die innerkirchliche Wahrnehmung des Koalitionsrechts niemals verboten wurde, geschlossen werden, daß auch im Rahmen des geltenden KR (KR = Kirchenrecht) ... die freie Ausübung des Koalitionsrechts kirchl. Dienstnehmer als rechmäßig anzusehen ist.
Für das kirchl. Dienst- und Arbeitsrecht einschlägig sind namentlich die Aussagen der päpstlichen Soziallehre zum Verhätlnis Arbeitgeber-, Arbeitnehmer bzw. zu den entsprechenden Rechten und Pflichten beider ... und zum Recht der Arbeitnehmer auf entsprechende Wahrnehmung ihres Rechtsschutzes, auch in kollektiver Form (Gewerkschaften).
Auf folgende Dokumente sei hier lediglich hingewiesen:
Enzyklika "Rerum Novarum" ...
MP Ous X. "Fin Dalla Prima" ...
Enzyklika "Quadragesimo Anno" ...
VatII GS 64 - 72 ...
Enzyklika "Laborem Exercen" ...
Enzyklika "Mater et Magistra" ...
All diesen von der Kirche überlieferten Grundsätzen ist das Gewerkschaftsprinzip und sogar (Mater et Magistra) die Befürwortung des Tarifvertrages inhärent. Weil aber sowohl das universelle Kirchenrecht wie auch die katholische Soziallehre - namentlich in den päpstlichen Lehrschreiben (Enzykliken) - auf theologischer Grundlage aufbauen, kann es keine theologische Grundlage für ein Streikverbot in Einrichtungen der katholischen Kirche in Deutschland geben.
Die kirchliche Weigerung, sich mit Gewerkschaften zu "vertragen", erweist sich somit als nichts anderes als die Ausübung des in Deutschland jedermann - und damit auch der katholischen Kirche - zustehende Rechts der "negativen Koalitionsfreiheit". Wie jeder andere Arbeitgeber auch muss sich dann aber die katholische Kirche, die sich gerade nicht auf eine theologische Begründung berufen kann, der gewerkschaftlichen Betätigung bis hin zum Erzwingungsstreik stellen.
Das kirchengesetzlich vorgeblich vorhandene Streik"verbot" der Grundordnung (GrO) kann daher auch verfassungskonform nur so interpretiert werden, dass die Grundordnung (die sich als kirchliches Gesetz primär an die kirchlichen Arbeitgeber wendet und deren Geltung für Nichtkatholiken keinesfalls erzwungen werden kann) diese kirchlichen Arbeitgeber dazu verpflichtet, von sich aus alles zu tun, damit ein Streik der Beschäftigten in ihren Einrichtungen gar nicht erst erforderlich wird ("geltungserhaltende Reduktion").
Damit ist das ganze handwerklich durchaus sauber gearbeitete Lehrgebäude Wellers, sein "rechtsdogmatischer Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Diskussion" (S. 391) für die katholische Kirche unbrauchbar und steht auf tönernen Füßen. Ist es also wirklich so, wie Weller meint (S. 390 f)?
"Im Unbestimmten liegt die künftige Rolle der Gewerkschaften im Kontext des kirchlichen Lohnfindungsverfahrens.
...
Ob Kirchen und Gewerkschaften ihrer gesellschaftlichen Gesamtverantwortung eingedenk in der Lage sein werden, einen wie auch immer gearteten gemeinsamen Ordnungsanspruch zu formulieren, bleibt abzuwarten."
Die Kirchengewerkschaft im DGB, ver.di, bietet beiden Kirchen immer wieder an, die desaströse Konkurrenzsituation in der Wohlfahrtsbranche durch allgemein verbindliche Vereinbarungen zu beenden. Das geht auf der Grundlage des Tarifvertragsgesetzes. Wer sich solchen Regelungen veweigert, ninimmt die mit dem Kostenwettbewerb einhergehenden prekären Arbeitsverhältnisse billigend in Kauf. Diesen Vorwurf müssen sich auch die Bischöfe, die kirchlichen Arbeitgeber und ihre Vermögensverwalter der katholischen Kirche gefallen lassen.
Vor diesem Hintergrund mutet es direkt prophetisch an, dass Weller die katholischen KODA-Ordnungen mit der Abkürzung "KO" und etwa die Bistums-KODA-Ordnung Freiburg als BisKO-Freiburg bezeichnet.
Fazit:
Ein Buch, das man im katholischen Bereich nicht unbedingt lesen und in seinem Bücherschrank verwahren muss.
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