Freitag, 9. Januar 2015

Streitzeit: Arm-Reich-Schere immer größer

 Streitzeit - DGB Bayern  8.1.2015 beschäftigt sich in der aktuellen "Streitzeit" mit der wachsenden Arm-Reich-Schere:

Wir dokumentieren diesen Beitrag, weil wir der Auffassung sind, dass die Problematik auch in der Tarifkommission der Caritas eine Rolle spielen sollte, denn unser Eindruck ist: wo und insoweit die AVR Caritas von den Regelungen des öD -  den Dienstgeberwünschen folgend - abweicht,  tut sie dies in einer Weise, die in der Regel auch in den AVR die Spaltung zwischen Oben und Unten weiter auseinandertreibt.

Hier nun zum Streitzeit-Beitrag:

Arm-Reich-Schere immer größer

„Armer Mann und reicher Mann, standen da und sah’n sich an. Da sagte der Arme bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Das schrieb Bertolt Brecht vor vielen Jahrzehnten. Alles alter Käse?

Leider nein. Die Ungleichheit in Deutschland nimmt zu. Reiche werden immer reicher, die Vermögensschere zwischen oben und unten spreizt sich weiter.
Die aktuellen Befunde zeigen das klar: 2012 hatte Deutschland in der Euro-Zone die größte Vermögensungleichheit. Das IMK schätzt, dass die reichsten 10 % der Haushalte in Deutschland im Schnitt ein Vermögen von rund 1,4 Mio € pro Kopf haben.
Um auf die gleiche Summe zu kommen, müsste ein Durchschnittsverdiener 80 Jahre arbeiten. Von den privaten Einkommen flossen an das reichste Zehntel aller Haushalte 37,2 %, 1995 waren es „nur“ 31,5 %.

Wer ärmer lebt, ist eher tot

Die Kehrseite dieser Medaille zeigt sich in der Gesundheitspolitik. Die Bundesregierung will mit einem „Präventionsgesetz“ die Unterschiede der Lebenslagen angehen. Die sind gewaltig. Reiche leben in Deutschland erheblich länger als Arme. Arme Frauen sterben im Schnitt acht Jahre früher als reiche. Bei Männern sind es gar elf Jahre Unterschied. Die Lebenserwartung hängt vom ökonomischen Wohlstand ab. Und der wird immer ungleicher auf die oberen Schichten verteilt.

Reichtumspflege

Diese zunehmende Ungleichheit fällt nicht vom Himmel sondern ist das Ergebnis langfristiger Politik. Bis zu den 1970er Jahren schoben die Regierungen über relativ hohe Steuern und ausgebaute Sozialsysteme viele Mittel von Reich zu Arm. Das war auch ausschlaggebend dafür, dass es ein makroökonomisches Gleichgewicht gab.
Seit den 1970er Jahren gibt es eine gegenteilige Politik, nämlich eine Beschneidung des Sozialstaates und auf der anderen Seite Privatisierung, Steuerprivilegien für Reiche und eine Liberalisierung der Finanzmärkte. Das Ergebnis: Reichtumspflege statt gesellschaftlicher Ausgleich.

Jetzt gegensteuern


Die Frage „Armer Mann und reicher Mann…“ muss wieder auf die Tagesordnung. Um eine gerechtere Gesellschaft durchzusetzen, braucht es einen entwickelten Sozialstaat, eine Austrocknung des Niedriglohnsektors, die steuerliche Entlastung von Arbeitnehmerhaushalten, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Anhebung der Erbschaftssteuer und eine wirkliche Regulierung der Finanzmärkte.




Anmerkung:
Über die "wachsende Schere zwischen Arm und Reich" haben auch schon wertkonservative und Wirtschafts-Medien wie der FOCUS (April 2014), die Wirtschaftswoche (Dezember 2014), oder das Handelsblatt (Dezember 2014) berichtet. Das Handelsblatt hat in diesem Artikel und schon in einem Bericht vom Januar 2011 auf das volkswirtschaftlichen "Problem der Schere zwischen Arm und Reich" verwiesen:
Ungleichheit zwischen Arm und Reich war Volkswirten lange egal. Die meisten Ökonomen hielten die Einkommensunterschiede gar für eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft. Jetzt entdecken sie die Verteilungsfrage neu.
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Inzwischen denken viele Volkswirte um. Denn es mehren sich die Belege dafür, dass krasse Gegensätze zwischen Arm und Reich nicht nur eine moralische Dimension haben, sondern handfesten ökonomischen Schaden anrichten. Einige Forscher sehen in der drastisch gestiegenen Einkommensungleichheit gar eine Ursache für die Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009.
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„Große Einkommensungleichheit verursacht in reichen, hochentwickelten Volkswirtschaften zahlreiche Probleme“, ist zum Beispiel Adair Turner, Chef der britischen Finanzmarktaufsicht FSA, überzeugt. Die Ignoranz für Einkommensungleichheit sei einer der entscheidenden Fehler, den das Fach in den vergangenen Jahrzehnten gemacht habe. „Ungleichheit“, betont auch der Mannheimer Ökonom Hans Peter Grüner, „ist eine ganz zentrale volkswirtschaftliche Größe. Über die dürfen wir nicht einfach hinwegsehen.“
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Wer vor 2011 Volkswirtschaft studiert hat, könnte diese Erkenntnis verschlafen haben. Allerdings gab es schon seit jeher einen namhaften Ökonomen, der das eindeutlich belegt hat:
"Wirtschaftswachstum generiert sich aus der Nachfrage".
Wer sein Geld zuhause im Kopfkissen bunkert, erzeugt keine Nachfrage. Dieses Geld ist für die Wirtschaft "tot". Es könnte genauso gut verbrannt oder vergraben werden. Es kommt also nicht auf den Reichtum an sich an, sondern darauf, dass mit dem Vermögen auch entsprechende Nachfrage generiert wird.
Was aber passiert, wenn immer mehr Menschen die Möglichkeit zur Nachfrage genommen wird? Wenn die Armen und die Mittelschicht immer ärmer und die Reichen immer reicher werden?
Wirtschaftskrisen gibt es überall dort, wo genau diese Voraussetzung besteht. Und das hat die fatale Eigenschaft, dass sich diese Entwicklung selbst beschleunigt, wenn eine Regierung die Wirtschaftspolitik nicht nach Volks-, sondern nach Betriebswirtschaftlichen Konzepten gestaltet. Über das "abschreckende Vorbild" Japan hat erst vor wenigen Tagen die Süddeutsche Zeitung berichtet:
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In den Boom-Jahrzehnten bis 1991 glichen die Regierung und die Unternehmen die Unterschiede zwischen Stadt und Land aus. Es gab kaum Arm und Reich, fast alle Japaner zählten sich zum Mittelstand.
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Seit dem Platzen der japanischen Blase 1991 haben Nippons Unternehmen ihre einstige Großzügigkeit schrittweise zurückgefahren, die Loyalitätsansprüche dagegen nicht reduziert. Mit dem Argument, sie bräuchten mehr Flexibilität, um im globalisierten Wettbewerb zu bestehen, setzten sie neue Gesetze durch, die es ihnen erlaubten, mehr und mehr Leute nur in Zeitverträgen zu beschäftigen: zu schlechten Löhnen, oft fast ohne Sozialleistungen, ohne Weiterbildung und Aufstiegschancen. Mittlerweile haben 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung nur solche Verträge, die meisten zu Stundenlöhnen zwischen sechs und acht Euro. Vor allem Frauen und junge Leute sind betroffen.
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... seit dem Jahr 2001 ... baut die Regierung ... ab, was der Staat den Japanern einst an Wohlfahrtsleistungen bot.
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Japan ist im Begriff, wieder zu einer dualistischen Ökonomie zu werden, wie es in den 1930er-Jahren eine war: mit globalisierten Metropolen und einem bedürftigen Hinterland.
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Wollen auch wir diesen Weg gehen?


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PS. Die Hoffnung in die Politik zu setzen, halten wir für unzureichend: dort wo sie zuständig ist, hat sie ihren eigenen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet und eher nicht dagegen. Und wir Arbeitnehmer, die wir selber die Verantwortung für unsere Angelegenheiten übernehmen können und sollen, lassen uns z.B. im Sozialbereich tariflich spalten in die nicht gut organisierten Beschäftigten im Bereich des öffentlichen Dienstes und bei den privaten Anbietern sozialer Dienste und denen, die sich zu fein sind für ordinäre Tarifkämpfe und stattdessen den 3. Weg pflegen (und noch schlechter bzw. überhaupt nicht organisiert sind.)



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