Samstag, 3. Januar 2015

Mindestlohn greift auch bei der Caritas in der Region Ost

Obwohl die Situation bekannt gewesen sein müsste, hat es die Regionalkommission Ost am 10. Dezember 2014 unterlassen, mit ihren Beschlüssen ein Wirksamwerden der Mindestlohnregelung für die Beschäftigten der Anlage 23 (Fahrdienste) zu vermeiden.


Nach den Bestimmungen der AVR erhalten Beschäftigte der Anlage 23 gemäß § 3 dieser Anlage im Jahr 2015 87,8 % der Stufe 1 der Vergütungsgruppe 11. Die Regionalkommission Ost hat die Tabellenwerte der Anlage 3 in den VG 9a bis 12 auf 89 % der BK-Tabellen zum 1.7.2014 festgelegt.
Dh. der dort zu findende Wert von 1691,46 muß auf 87,8 und dann noch einmal auf weitere 89 % reduziert werden, was einem Gesamtabschlag von 78,142 % ergibt.

78,142 % von 1691,46 € sind 1321,74 €.

Bei einer 40 Stundenwoche ergibt sich bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro nach den AVR-Rechenregeln 40 x 4,348 (Wochen) x 8,5 = 1478.43 €, die bei einer 40 Stunden-Woche nicht unterschritten werden dürfen. (Die 1321,74 € ergeben lediglich einen Stundenlohn von 7,60!)

Caritasbeschäftigte der Anlage 23 sind im Osten dem entsprechend seit 1. Januar 2015 nicht mit der dort vorgesehenen Bezahlung, sondern mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten.

Spannend dürfte die Frage sein, ob die Regionalkommission Ost ihren Redaktionstermin im Januar auch dazu nutzen wird, die Vergütung der Fahrdienste zu korrigieren...




Gestern hat die DGB-Mindestlohn-Hotline übrigens gestartet. Wir zitieren aus der Pressemitteilung des DGB vom 1. Januar 2015:

DGB-Mindestlohn-Hotline startet am 2. Januar 2015
 Ab heute, dem 1. Januar 2015, gilt der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland. Morgen, am ersten Werktag des neuen Jahres, startet die DGB-Mindestlohn-Hotline. Dazu sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Donnerstag in Frankfurt am Main: „Wir freuen uns, dass Deutschland jetzt den gesetzlichen Mindestlohn hat. Mit dieser unteren Haltelinie wird endlich jenen Arbeitgebern ein Strich durch die Rechnung gemacht, die ihr Geschäft jahrelang auf Lohndumping aufgebaut haben. Die Gewerkschaften begleiten den Mindestlohn-Start mit einer eigenen DGB-Info-Hotline. Wer wissen will, was ihm zusteht, kann ab dem 2. Januar 0391/4088003 anrufen.“ Die DGB-Mindestlohn-Hotline ist unter 0391/4088003 montags bis freitags von 7 bis 20 Uhr und samstags von 9 bis 16 Uhr erreichbar. Eine individuelle Rechtsberatung wird über die Hotline nicht angeboten. Bei Bedarf werden Ansprechpartner aus den Gewerkschaften vermittelt. Informationen sind auch in neun weiteren Sprachen erhältlich, Kontakte werden über die DGB-Beratungsstellen von „Faire Mobilität“ und „Arbeit und Leben“ hergestellt. Die Hotline wird betrieben durch das gewerkschaftsnahe Callcenter „FACTS“ in Magdeburg. Sie ist zunächst bis Ende März 2015 geschaltet. Weitere Informationen zum Mindestlohn unter www.mindestlohn.de


Am 23. Dezember 2014 hat sich übrigens auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf mit dem Thema Sittenwidrige Vergütung für Schulbusbegleiterin befaßt.

Der Streitfall illustriert auch einige (rechtlich zweifelhafte) Gestaltungsmöglichkeiten zur Umgehung zwingender Mindestlohnregelungen.

Wir dokumentieren im folgenden die:

Pressemitteilung des LAG Düsseldorf vom 23.12.2014:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 10.02.2012 bis zum 31.10.2012 als Busbegleitung beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand darin, während einer morgendlichen Tour gemeinsam mit einer Busfahrerin geistig und körperlich behinderte Schüler an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur Schule zu bringen. Nachmittags waren die Schüler nach Beendigung des Unterrichts wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Die Klägerin erhielt hierfür zwei Tourpauschalen pro Arbeitstag in Höhe von jeweils 7,50 Euro. Das Arbeitsentgelt erhielt die Klägerin nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Feiertage und Arbeitsunfähigkeit erhielt sie nicht. Bezahlter Erholungsurlaub wurde nicht gewährt. Die Klägerin verlangt eine Vergütung gemäß dem Tarifstundenlohn für das private Omnibusgewerbe in Nordrhein-Westfalen von 9,76 Euro brutto, weil die ihr gezahlte Vergütung sittenwidrig sei. Die Beklagte meint, sie habe die Klägerin rechtmäßig vergütet.


Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat der Klägerin weitere 3.982,12 Euro brutto an Vergütung und 369,00 Euro brutto Urlaubsabgeltung zugesprochen. Der der Klägerin gezahlte Lohn von 15,00 Euro pro Arbeitstag (zwei Tourpauschalen), war sittenwidrig niedrig, weil die Klägerin täglich eine Arbeitsleistung von 4 Stunden und 25 Minuten erbrachte. Entgegen der Ansicht der Beklagten begann die Arbeitszeit morgens um 06.45 Uhr an ihrem Wohnort und endete dort um 08.50 Uhr. Die Nachmittagstour dauerte von 13.30 Uhr bis 15.50 Uhr. Die Arbeitszeit erfasste nach der tatsächlichen Handhabung der Parteien und der Art der geschuldeten Tätigkeit die Zeit ab der Abholung von der Wohnung und der Rückkehr dorthin sowie die Standzeiten an der Schule, welche für eine geordnete Übergabe und Aufnahme der beförderten Schüler erforderlich waren. Der tatsächliche Stundenverdienst der Klägerin an Einsatztagen von 3,40 Euro war sittenwidrig niedrig. Der objektive Wert der Arbeitsleistung betrug 9,76 Euro brutto pro Stunde. Das allgemeine Lohnniveau wird durch den Tarifstundenlohn des privaten Omnibusgewerbes in Nordrhein-Westfalen bestimmt, weil mehr als 50 % der Arbeitgeber kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert sind. Die subjektive Verwerflichkeit ist gegeben. Die Klägerin hat auf die zugesprochenen Ansprüche weder wirksam verzichtet noch waren sie verfallen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.


Arbeitsgericht Essen, 3 Ca 2940/12, Urteil vom 25.04.2013
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 8 Sa 764/13, Urteil vom 19.08.2014


5 Kommentare:

  1. Diesselbe Caritas, die so stolz auf den Pflegemindestlohn ist - siehe http://www.diag-mav-pb.de/diag-mav/medium/140905-pmdgdnak-pflegemindestlohn.pdf?m=129713 - , ist nicht einmal in der Lage, den gesetzlichen Mindestlohn in ihrer eigenen Zuständigkeit in ihren doch so dienstgemeinschaftlichen paritätischen Kommissionen sicherzustellen? Wie peinlich ist das denn? Und hat die Mitarbeiterseite der AK nicht vor ca. 2 Jahren für einen gesetzlichen, allgemeinen Mindestlohn von 9,70 plädiert? Warum findet sie für die aktuellen Verhältnisse im Osten nicht ein Wort der Kritik?

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  2. Das Urteil wäre kein Problem, wenn endlich der "Dritte Weg" als den Tarifverträgen gleichwertig anerkannt werden würde, wie da die Dienstgeberseite der Caritas fordert https://www.caritas-dienstgeber.de/ (Quote):
    Unser Ziel:
    Die Gleichwertigkeit der kirchlichen Arbeitsvertragsbedingungen mit Tarifverträgen.
    (/Quote)
    Denn dann wäre die AVR Caritas selbst der Referenztarif, und der kann schon durch die Definition nicht "sittenwidrig" sein.

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    1. Vielen Dank für den satirischen Beitrag, der uns den Verzicht auf einen eigenen Beitrag zum Thema im samstäglichen Gerücht der Woche ermöglicht!
      Aber ist die Gleichwertigkeit des 3. Wegs mit Tarifverträgen nicht auch ein Projekt der Mitarbeiterseite in AK, KoDAen, Zentra-Koda, ARA, BAG-MAV, IgMiCK?

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    2. Stimmt - die katholischen Arbeitnehmer setzen auf den "Dritten Weg" und gegen die Gewerkschaften http://www.evangelisch.de/themen/wirtschaft/katholische-arbeitnehmer-setzen-auf-dritten-weg51973

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  3. Der 3. Weg kann nie einem Tarifvertrag gleich gestellt sein!

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