Samstag, 5. März 2022

Samstagsnotizen: Wie weiter mit dem Staatskirchenrecht?

Nach unserer Reihe "Samstagsnotizen: Wie weiter mit unserer Kirche"
(ein Beitrag zuletzt am Samstag) scheint eine Neuorientierung angebracht. Schließlich entwickelt sich die Diskuission zusehends nicht mehr in der innerkirchlichen Auseinandersetzung zur Umsetzung der eigenen, katholischen Soziallehre - sondern entlang der Frage, welche Grenzen der Staat den Kirchen aufzeigt.
Beispielhaft sei ein Twitter-Beitrag der Grünen zitiert:
Die Kirchen gehören in die Zivilgesellschaft
Deutschland braucht ein neues Religionsverfassungsrecht


... "Wer Aufarbeitung und Schutz vor Diskriminierung ernsthaft voranbringen will, darf diese archaische Verklammerung von Staat und Kirchen nicht länger als gottgegeben hinnehmen ..."
(Bezug)

Daher nun also: Wie weiter mit dem Staatskirchenrecht?
Die "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" können bereits durch einfachgesetzliche Regelungen enger oder auch erweitert werden. Und Gesetzgeber ist nicht nur der Bundestag - das sind auch die Landesparlamente. Die katholische Kirche hat sich in einer Vielzahl von Konkordatsvereinbarungen dieser "Schrankenziehung" unterworfen. Dabei ist eine zunehmende Konkretisierung der Bereiche für die kirchlichen Selbstordnung und Selbstverwaltung festzustellen. Was ursprünglich also wohl als "bekannt" vorausgesetzt wurde, musste zunehmend normiert werden. Das ist nur auf den ersten Blick irritierend - eine Kirche, die den Anspruch erhebt, das menschliche Leben von der Zeugung bis zur Totenruhe zu beeinflussen, gerät zwangsläufig in eine Konfliktsituation mit dem Staat, der den gleichen Anspruch erhebt.
Die beste Konkordanz zwischen den beiden Sphären stellen die Konkordatsverträge *) dar, in denen die Grenzen der jeweiligen Befugnisse definiert werden.
Einige Beispiele:
- Artikel 1 § 2 Bayer.Konkordat von 1924:
Der Bayerische Staat ... anerkennt das Recht der Kirche, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze zu erlassen und Anordnungen zu treffen, die ihre Mitglieder binden; er wird die Ausübung dieses Rechtes weder hindern noch erschweren.
Der Verweis auf den Rahmen der kirchlichen Zuständigkeit ist sehr allgemein. In den weiteren Normen erfolgt eine Konkretisierung hinsichtlich der Vermögensverwaltung (einschließlich der Gewährleistung staatlicher Leistungen aufgrund der Säkularisation), des theologischen Studiums und des Religionsunterrichtes sowie der Voraussetzung für die Betätigung von Geistlichen in diesen Feldern (Art. 13). Von einem eigenständigen kirchlichen Arbeitsrecht ist dagegen nicht die Rede.

- Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden Art. IV von 1932 (betrifft im Wesentlichen das Erzbistum Freiburg):
1. Hinsichtlich der Errichtung und Umwandlung kirchlicher Ämter ist der Erzbischof von Freiburg völlig frei, falls für ihre Errichtung oder Umwandlung nicht neue Aufwendungen aus Staatsmitteln beansprucht werden. Die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden erfolgt nach Richtlinien, die mit dem Erzbischof vereinbart werden.

2. Der Erzbischof besetzt sämtliche kirchlichen Ämter frei und unabhängig, vorbehaltlich der auf Privatrechtstiteln beruhenden Patronate, welche künftig den zur Zeit geltenden Bestimmungen des kirchlichen Gesetzbuches unterstehen. Die Bestimmung von can. 1435, § 1, Ziff. 1 u. 2 findet bezüglich der Kanonikate in der Erzdiözese Freiburg i. Br. keine Anwendung.

3. Der Erzbischof ist berechtigt, die Vermögensangelegenheiten der Katholischen Kirche in Baden sowie ihrer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen durch eigene Satzung selbständig zu ordnen und nach Maßgabe dieser Satzung zu verwalten. Über die Bestimmungen des Badischen Kirchenvermögensgesetzes vom 7. April 1927 und des Badischen Stiftungsgesetzes vom 19. Juli 1918 hinaus wird im Rahmen der verfassungsmäßigen Bestimmungen eine Einschränkung der kirchlichen Rechte in bezug auf die Vermögensverwaltung nicht erfolgen.

4. Die Katholische Kirche in Baden hat das Recht, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der Verfassung des Deutschen Reiches und der Verfassung des Freistaates Baden sowie der landesrechtlichen Bestimmungen Kirchensteuern zu erheben.

- Reichskonkordat Art. 1 Abs. 2 von 1933 **):
Die Bundesrepublik ... anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen.
Im Reichskonkordat wurde - nun entsprechend der Textierung der Weimarer Reichsverfassung, die im Grundgesetz übernommen wurde - dem Staat die Möglichkeit eingeräumt, durch das "für alle geltende Gesetz" dem kirchlichen Handlungsbereich Grenzen und Schranken aufzuzeigen.

- Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Lande Niedersachsen (Konkordat ND) vom 1.7.1965
Artikel 3
(1) Für die Besetzung der kirchlichen Ämter ***) im gesamten Gebiet des Landes Niedersachsen gelten die Vorschriften des Konkordats vom 14. Juni 1929.

Artikel 13
Die Vorschriften über die staatliche Mitwirkung bei der vermögensrechtlichen Vertretung der Diözesen, der Kirchengemeinden und Kirchengemeindeverbände sowie der sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen der katholischen Kirche werden durch die in der Anlage getroffene Regelung abgelöst.

Artikel 14
(1) Die Diözesen und Kirchengemeinden sind berechtigt, nach Maßgabe der staatlichen Gesetze auf Grund von Steuerordnungen von den Angehörigen der katholischen Kirche Kirchensteuern zu erheben.
...
Artikel 17
(1) Das Eigentum und andere Rechte der in Artikel 13 bezeichneten Institutionen sowie der katholischen religiösen Vereine an ihrem Vermögen werden im Umfange des Artikels 138 Absatz 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 gewährleistet. ...

Derzeit ist der Staat dabei, seine Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften wie dem Islam neu zu ordnen und ebenfalls vertraglich zu gestalten. Das ist nach dem Vorbild der Konkordatsvereinbarungen zu erwarten.
= formal wird es zumindest einer (landes-)gesetzlichen Ermächtigung zum Abschluss eines solchen "Staatskirchenvertrages" bedürfen;
= materiell werden die Regelungen sich dann auch an den Zugeständnissen für die christlichen Kirchen orientieren.
Denn was der religiös neutrale Staat einer Religionsgemeinschaft gewährt, kann er einer anderen schlecht verwehren - oder andersrum: was der Staat einer Religionsgemeinschaft verwehrt, kann er anderen nicht einfach erlauben. Und darauf achten dann natürlich auch die Landesparlamente als zuständige gesetzgebende Organe.
Als Beispiel kann die Evaluation des Islam-Staatsvertrags im Parlament der Hansestadt Hamburg gelten:
Die Hamburgische Bürgerschaft soll nach dem Willen der rot-grünen Koalition an der Evaluation des umstrittenen Islam-Staatsvertrags beteiligt werden. In einem am Sonntag gemeinsam veröffentlichten Antrag für die Parlamentssitzung am 2. März wollen SPD und Grüne eine ergänzende Begleitung der Evaluation durch die Abgeordneten ermöglichen. Bislang sind nur die islamischen und alevitischen Religionsgemeinschaften und der Senat an der Auswertung der im November 2012 unterzeichneten Verträge beteiligt.
(Quelle - klick).

Daraus ergeben sich dann diverse Fragen. Etwa:
= Kann der Einsatz von Imamen oder islamischen Predigern von deren deutscher Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 13 Bay.Konkordat) oder nun der Staatsangehörigkeit in einem EU-Staat (Freizügigkeit) abhängig gemacht werden?
= Wäre es zulässig, dass eine islamische Gemeinde arbeitsvertraglich als Loyalitätsverpflichtung die Normen der Scharia festlegt?



Anmerkungen:
*) Einige Konkordate mit der katholischen Kirche sind auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) nachlesbar - zur BMI-Internetseite

**) Die ursprünglich umstrittene (und von der katholischen Kirche gewünschte) Weitergeltung des Reichskonkordats sowie der darin in Bezug genommenen Länderkonkordate ist durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter Hinweis auf Art. 123 GG längst geklärt
Art. 123 Abs. 2 GG bedeutet nicht, daß der Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich an die Schulbestimmungen des Reichskonkordats gebunden ist, also kein entgegenstehendes Recht setzen darf. Art. 123 Abs. 2 GG sagt für die Schulbestimmungen des Reichskonkordats vielmehr nur aus, daß sie, sofern sie beim Inkrafttreten des Grundgesetzes noch galten, in Kraft bleiben, obwohl sie einem Vertrag entstammen, der nicht von den nunmehr zur Verfügung über den Gegenstand ausschließlich befugten Ländern geschlossen worden ist.
***) Der Begriff der "kirchlichen Ämter" erschließt sich aus dem Kirchenrecht, hier aus Can. 145 ff CIC

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