Samstag, 26. März 2022

Samstagsnotizen: Abkehr vom kirchlichen Arbeitsrecht - was bedeutet das (2.2.) Präambeln und Rechtsgrundlagen

Wenn man die Präambel 1) der 
  • theologischen "Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst"
  • kirchlichen Rechtsnorm "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" (GrO - Fassung vom 27.04.2015)
  • kirchlichen Rechtsnorm "Mitarbeitervertretungsordnung" (MAVO - Rahmenordnung vom 20.06.2011)
genauer anschaut, dann fällt jeweils eine unterschiedliche Formulierung für die beanspruchte Rechtsgrundlage auf.

In Ziffer I. Nr. 2. der Erklärung heißt es:
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Kirche durch das Grundgesetz die Freiheit garantiert, ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten.

In der Präambel zur Grundordnung heißt es:
Die katholischen (Erz-)Bischöfe in der Bundesrepublik Deutschland erlassen ...
- in Wahrnehmung der der Kirche durch das Grundgesetz garantierten Freiheit, ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze zu ordnen ...
("verwalten" fehlt)

In der Mitarbeitervertretungsordnung heißt es:
Deshalb wird aufgrund des Rechts der katholischen Kirche, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, unter Bezugnahme auf die Grundordnung ....vom 22. September 1993 die folgende Ordnung für Mitarbeitervertretungen erlassen
(aus "ordnen und verwalten" wird "regeln")

Die Formulierungen zur Rechtsgrundlage sind in den Präambeln der Regelungen also unterschiedlich. Und wenn in einer gemeinsamen Veröffentlichung vom Dezember 2015 1) die MAVO auf die Grundordnung vom 22. September 1993 verweist, während gleichzeitig im gleichen Band eine Fassung der Grundordnung vom April 2015 abgedruckt ist, dann sind die Bezüge der einzelnen Normen zueinander zumindest juristisch unsauber - oder soll die MAVO weiterhin auf einer überholten Fassung der Grundordnung aufbauen?

Es kann daher nicht schaden, sich die in Bezug genommenen Bestimmungen selbst anzusehen.
Art. 140 des Grundgesetzes übernimmt die einschlägigen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919. Dort heißt es in Art. 137 Abs. 3:
Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
Hier wird eine Menge auch an "unbestimmten Rechtsbegriffen" verwendet. Was etwa "ihre Angelegenheiten" sind, setzt die Verfassung als "bekannt" voraus. 
Nun ist es normal, dass der Staat mit seiner Regelungskompetenz in Konkurrenz zu einer Religionsgemeinschaft steht, die für sich beansprucht, von der Zeugung bis nach dem Tode ebenfalls die Beziehungen der Menschen untereinander zu regeln. Die beste und fairste Möglichkeit zur Konkordanz der jeweiligen Kompetenzen sind daher Konkordatsverträge.
Es ist auch durchaus üblich, im Rahmen einer "systematischen Interpretation" auch andere Normen heranzuziehen, die den gleichen Regelungsgehalt haben. Und das ist bei der Interpretation der verfassungsrechtlichen Grundlage zunächst das sogenannte "Reichskonkordat", das über Artikel 123 GG auch weiterhin in Kraft ist. Dort heißt es in Artikel 1:
Das Deutsche Reich ...
anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen.

Daraus ergibt sich nun:
Die Präambeln der unterschiedlichen kirchengesetzlichen Regelungen sind zumindest schlampig formuliert. 
Die juristisch sauberste Inbezugnahme erfolgt durch die "Erklärung der deutschen Bischöfe" - die aber gerade keine kirchenrechtliche Relevanz hat sondern "lediglich" die theologische Grundlage für die entsprechenden Kirchengesetze sein soll. 
Und in allen kirchengesetzlichen Regelungen fehlt die im Konkordat enthaltene Beschränkung der kirchlichen Rechtsetzungsbefugnis auf die "eigenen Mitglieder".
Diese Beschränkung der Rechtsetzungsbefugnis gilt auch unter dem Grundgesetz weiter. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich schon am 14.12.1965 (Az 1 BvR 413/60, 1 BvR 416/60) 2) geurteilt:
Das Grundgesetz verbietet dem Staat einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die dieser Religionsgesellschaft nicht 3) angehören. 
Diese Beschränkung ist nicht ohne Bedeutung: denn woher nimmt die katholische Kirche dann den Anspruch, für Nichtkatholiken bindende Normen in Kraft zu setzen - wie das in der GrO (vgl. Art. 4 Abs. 2 bis 4) oder MAVO praktiziert wird?

Die Rechtsnormen des kirchlichen Arbeitsrechts der katholischen Kirche in Deutschland, die auch für Nichtkatholiken gelten sollen, stehen somit auf "tönernen Füßen". Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Rechtsnormen einer gerichtlichen Normenkontrolle nicht standhalten. 
Damit stellt sich die Frage nach den Folgen dieser Erkenntnis.
(wird fortgesetzt)


Anmerkungen:
1) Quellen jeweils: "Die deutschen Bischöfe" Nr. 95 - Kirchliches Arbeitsrecht vom 1.Dezember 2015
2) Fundstellen u.a.: Beck-online Datenbankopen jur; DFR BVerfGE 19, 206; dejure.org m.w.N.
3) Im Urteil steht verkürzend "keiner Religionsgesellschaft angehören". Gemeint ist aber "dieser Religionsgesellschaft nicht angehören". Denn sonst könnte etwa die islamische Religionsgesellschaft auch Normen für Katholiken und andere Christen erlassen. 

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