Samstag, 23. April 2022

Samstagsnotizen: Abkehr vom kirchlichen Arbeitsrecht - was bedeutet das (2.5.) "Dritter Weg" - Art. 7 GrO

Heute - ausgerechnet am Karsamstag - ist in unserer wöchentlichen Reihe eine besondere Regelung des kirchlichen Arbeitsrechts im Focus: der "Dritte Weg", der auf einer historisch besonderes belasteten Begrifflichkeit (Dienstgemeinschaft) aufbaut.

Mit einer Vielzahl ausschweifender und langatmiger Kommentare haben sich diverse Arbeitsrechtsprofessoren sozialethische und theologische Gedanken gemacht, wie man diesen "Dritten Weg" begründen könnte. Der Absatz 1 der Grundordnung (GrO) fasst dieses "Herumeiern" zusammen. Und schafft es dabei, auch verfassungsrechtliche Irrtümer zu wiederholen. Das dort beschworene "verfassungsgemäß gewährleistete Recht ein eigenes Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu schaffen" ist kein "kirchliches Sonderrecht". Es beruht auf dem Recht der "negativen Koalitionsfreiheit", also sich gem. Art. 9 GG gegen die Mitgliedschaft in einer Vereinigung (z.B. einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband) zu entscheiden. 
Mit der Umsetzung von Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) hat die Weigerung, Tarifverträge zu schließen, zumindest bei der katholischen Kirche nichts zu tun. Da steht schon das päpstliche Lehramt mit den päpstlichen Sozialenzykliken dagegen. Diese "negative Koalitionsfreiheit" steht verfassungsrechtlich jedermann zu - auch den kirchlichen Arbeitgebern. Jeder Arbeitgeber kann den Abschluss von Tarifverträgen verweigern. Das ist kein "Sonderrecht der Kirchen". Und jeder Arbeitgeber kann sich mit willfährigen Personen aus der Reihe der Arbeitnehmer zusammen tun, um mit diesen Allgemeine Vertragsrichtlinien (AVR) zu erstellen. 
Freilich ist mit diesen einseitig gestellten Arbeitsvertragsrichtlinien nicht alles möglich, was vom Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien zugestanden ist. Da steht dann im Gesetz eine Regelung wie "durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages" - und dann sind meistens Abweichungen von gesetzlichen Schutzvorschriften genannt *)
Daher ist das "Tarifvertragsgesetz" (TVG) auch nur ein Angebot - auch für die Arbeitgeber - , aber keine gesetzliche Verpflichtung. Lediglich die Arbeitnehmer können - ggf. mit Arbeitskämpfen - den Abschluss von Tarifverträgen erzwingen.

Die Kirchen haben sich - für die katholische Kirche entgegen der eigenen Soziallehre - woa mit irreführendem Geschwurbel gegen vertragliche Vereinbarungen mit einer Gewerkschaft entschieden. Absatz 2 der Grundordnung stellt dann kurz und schmerzlos die angebliche Konsequenz des Geschwurbels dar:
Kirchliche Dienstgeber (schließen) keine Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.
Satz 1 ist klar:
>Wir wollen nicht< (Basta)

Satz 2 ist dagegen schlicht - falsch:
Jeder Arbeitgeber behauptet doch gerne, dass in seinem Betrieb nicht gestreikt werden dürfe. Auch Arbeitgeber aus Caritas- und Diakonie sind dieser Meinung. Aber selbst, wenn ein Pfarrer oder ein Bischof das behaupten, wird noch lange keine Glaubenswahrheit aus dieser Behauptung. Da steht Art. 9 Abs. 3 GG dagegen. Und das dort genannte absolute Verbot gilt genauso für die Kirchen. Wir haben letzte Woche schon herausgearbeitet, dass diese Beschränkungen der Koalitionsrechte verfassungsrechtlich schwierig - und aufgrund der eigenen katholischen Soziallehre für die katholische Kirche schlichtweg nicht - zu begründen sind **)
Genauso, wie es allen Arbeitnehmern in weltlichen Betrieben möglich ist, sich zusammen zu schließen um den Abschluss von Tarifverträgen zu erzwingen, ist das in kirchlichen Einrichtungen der Fall ***).

Die einzige Frage, die sich stellt, ist, wie der Umstieg vom "Dritten Weg" zu den lehramtlich geforderten Tarifverträgen erfolgen kann.
Denn das BAG hat hier anlässlich eines Betriebsübergangs ein entscheidendes Urteil gefällt
Ist im Arbeitsvertrag das in Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) geregelte kirchliche Arbeitsrecht dynamisch in Bezug genommen, gilt diese dynamische Verweisung ... gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB weiter.
BAG, Urteil vom 23.11.2017, 6 AZR 683/16 - vgl. HEISE ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/296

Wie kann nun damit umgegangen werden? Die "bürokratische Methode" wäre, allen - d.h. zigtausenden bzw. sogar Millionen - von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue Arbeitsverträge anzubieten. Versehen mit einem "Bonus" (welcher Art auch immer) könnte dann ein großer Teil der Arbeitnehmer in ein neues Arbeitsrechtssystem überführt werden. Diese Methode wurde etwa im Bereich der verfassten katholischen Kirche angewandt, als man vor Jahrzehnte die alten, auf den BAT verweisenden Arbeitsverträge, durch die Einführung des "Arbeitsvertragsrechts der Bayerischen (Erz-)Diözesen - ABD" ersetzte. Neue Arbeitsverträge wurden nurmehr mit Verweis auf das ABD abgeschlossen, alte Arbeitsverträge sukzessive bei sich bietender Gelegenheit umgestellt.
Methode "Brechstange" wäre (ggf. infolge eines Erzwingungsstreiks) Artikel 7 zu streichen (oder gar durch den Hinweis auf die nach der eigenen Soziallehre geforderten Tarifverträge zu ersetzen), die entsprechenden Kommissionen zumindest nicht mehr mit seitigen Vertretern zu besetzen und möglicherweise dennoch folgende Beschlüsse nicht mehr in Kraft zu setzen. Wer dann weiter auf seinen bestehenden Arbeitsverträgen beharrt, muss wissen, dass diese nurmehr statisch weiter gelten. Spätestens bei der ersten Erhöhung von Entgelten oder der Einführung von besonderen Bonusregelungen würde die Frage nach einer Änderung der Bezugsregelung im einzelnen Arbeitsvertrag virulent werden.
Eine dritte Methode "einvernehmliche Partnerschaft" würde die Mitwirkung der jeweiligen Kommissionen verlangen. Diese könnten durch Beschlussfassung festlegen, dass bestimmte Elemente des Arbeitsvertrages durch einen "Anwendungstarifvertrag" nach dem TVöD zu ersetzen sind. Das könnte etwa für Themen wie Arbeitsentgelt und Arbeitszeit bis hin zur Zusatzversorgung gelten. Für andere Themen - für die es etwa im TVöD keine Regelungen gibt - würde die Zuständigkeit der Kommission weiterhin fortbestehen. Das können kirchenspezifische Regelungen sein (Tätigkeiten der Gemeinde- und Pastoralreferenten, Küster bzw. Mesner, Katecheten oder Religionslehrer, Sterbebegleiter in Hospizen ... und deren Bewertung) oder spezifische Qualitätsvorgaben, wie z.B. erhöhte Fachkraftschlüssel in katholischen Einrichtungen. Die Kommissionen würden dann nicht etwa ein "rudimentäres Restedasein" haben, sondern gerade für die kirchenspezifische Ausgestaltung der kirchlichen Einrichtungen eine besondere Bedeutung erhalten.


Anmerkungen:
*)
Eine solche Tariföffnungsklausel findet sich beispielsweise in § 19 Abs. 1 BetrAVG. Offensichtlich traut der Gesetzgeber nur den starken, tariffähigen Gewerkschafen zu,  solche Öffnungsklauseln ohne erhebliche Nachteile für die Arbeitnehmer zu füllen.
Das Narrativ von der Gleichwertigkeit der kirchlichen Vertragsrichtlinien mit Tarifverträgen dient wohl nur dazu, die "Schranken des Gesetzes" zu Lasten der Arbeitnehmer zu überschreiten. 

**)
Wir brauchen hierzu nur beispielhaft auf "Mater et magistra" (Tarifverträge) sowie die Ausführungen zum Streikrecht in den lehramtlichen päpstlichen Sozialenzykliken sowie in Nr. 2435 des Katechismus zu verweisen. 

***)
Das Koalitionsrecht umfasst auch das Recht zum Arbeitskampf und darf nach Art. 9 Abs. 3 GG nicht eingeschränkt werden. Darüber brauchen nicht einmal Verhandlungen geführt zu werden.


(wird fortgesetzt)

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