Mittwoch, 2. März 2022

Abschaffung kirchlicher Privilegien im Arbeitsrecht: Arbeitsnehmer:innenrechte ausnahmslos stärken! Arbeitnehmer:innen beteiligen!

Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition sieht vor, dass „gemeinsam mit den Kirchen“ geprüft werden
soll, inwieweit das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angeglichen werden kann. Es ist überfällig, dass das geschieht. Doch wer sind „die Kirchen“? Kürzlich hat die Bundeskonferenz der diakonischen Mitarbeitervertretungen gefordert, dass sie als betriebliche Interessenvertretungen ebenso so wie ver.di dabei einzubeziehen sind.

Der Kirchenfachrat von ver.di unterstützt diese und erhebt darüber hinausgehende Forderungen:

Arbeitnehmer:innenrechte ausnahmslos stärken! Arbeitnehmer:innen beteiligen!

In den vergangenen 70 Jahren hat sich die kirchliche Nebenrechtsordnung im Arbeitsrecht mit staat- licher Gewähr zu Ungunsten der kirchlich Beschäftigten verselbständigt. Die Gewerkschaft ver.di und der DGB zeigen seit Jahrzehnten die arbeitsrechtlichen Verwerfungen bei kirchlichen Arbeitgebern auf und fordern die Stärkung der Arbeitnehmer:innenrechte. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland findet in einem Koalitionsvertrag das kirchliche Arbeitsrecht Erwähnung. Wir bewerten es als einen wichtigen Fortschritt, dass die Regierungskoalition die kirchlichen Privilegien im Arbeitsrecht auf den Prüfstand stellen will.

Die Ampelparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag formuliert, gemeinsam mit den Kirchen prüfen zu wollen, inwieweit das kirchliche an das staatliche Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündigungsnahe Tätigkeiten sollen ausgenommen bleiben. Leider handelt es sich lediglich um eine Prüfabsicht, doch wir fordern echten Veränderungswillen. „Die Kirchen“ sind selbst Arbeitgeber, ebenso wie ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas und die zehntausenden Betriebe und Unternehmen unter ihrem Dach. Sie selbst haben den heutigen Sonderstatus im Arbeitsrecht in den vergangenen Jahrzehnten befördert, profitieren von ihm und haben kein Interesse an seiner Einschränkung. Demzufolge ist ein entschiedenes politisches Vorgehen und ein säkularer Veränderungswille erforderlich. Das Arbeitsrecht ist vor allem ein Arbeitnehmerschutzrecht. Es ist also zwingend erforderlich, dass diejenigen beteiligt werden, deren Rechte es zu stärken gilt: Unsere rund 1,8 Millionen Kolleg*innen in kirchlichen Betrieben. Sie werden durch ihre Gewerkschaft ver.di und ihre betrieblichen Interessenvertretungen repräsentiert.

Wir fordern von der Regierungskoalition:

  • Die Rechte der kirchlich Beschäftigten müssen gestärkt werden, indem die kirchliche Nebenrechtsordnung im Arbeitsrecht eingeschränkt bzw. bisherige gesetzliche Ausnahmen abgeschafft werden.
  • Es ist unverzüglich ein transparenter Roadmap-Prozess zur Angleichung des kirchlichen Sonderstatus an das staatliche Arbeitsrecht zu starten.
  • Die Gewerkschaft ver.di sowie die betrieblichen Interessenvertretungen sind in den Prozess einzubeziehen.

Rund 1,3 Mio. der insgesamt rund 1,8 Mio. Beschäftigten arbeiten in Wirtschaftsbetrieben und -unternehmen unter dem Dach von Diakonie und Caritas. Diese Einrichtungen erbringen Leistungen, die weit überwiegend nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern allgemeinen Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert werden. Das betrifft Krankenhäuser, Einrichtungen der Altenhilfe, Kin- der- und Jugendhilfe, Eingliederungs- und Behindertenhilfe, Kindertagesstätten u.a.m. Sie befinden sich im politisch gewollten Wettbewerb mit den Anbietern in öffentlicher, kommerzieller oder freier Trägerschaft. Sie stehen unter dem gleichen betriebswirtschaftlichen Kostendruck, fusionieren und bilden Gesundheits- und Sozialkonzerne mit tausenden von Beschäftigten und Milliardenumsätzen und agieren personalwirtschaftlich wie ihre nichtkonfessionellen Wettbewerber. Doch gleichzeitig profitieren kirchliche Arbeitgeber von einer schwächeren betrieblichen Mitbestimmung, der Abwesenheit von Unternehmensmitbestimmung, konfessionell begründeter Kündigungsmöglichkeiten auf Grundlage besonderer Loyalitätspflichten zu Lasten der Beschäftigten und der Einschränkung von Grundrechten, indem sie ein Streikverbot kirchlich verordnen.

Aus diesem Grund fordern wir:

  • Die kirchlichen Privilegien im Arbeitsrecht sind durch den staatlichen Gesetzgeber ersatzlos abzuschaffen.
  • Die verfassungsrechtlichen Schranken für die eigenen Angelegenheiten der Kirchen sind durch den staatlichen Gesetzgeber eng zu fassen. Einer einseitigen Ausdehnung durch die Kirchen wie in den vergangenen 70 Jahren ist entschieden entgegenzuwirken.
Der staatliche Gesetzgeber muss in diesem Rahmen insbesondere folgende Schritte in Angriff neh- men:
  • Stärkung der betrieblichen und der Unternehmensmitbestimmung durch Abschaffung der Ausnahmen aus dem staatlichen Mitbestimmungsrecht.
  • Stärkung der individuellen Rechte der Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen, z.B. durch Abschaffung kirchlicher Diskriminierungsprivilegien im Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetz.
  • Abschaffung gesetzlicher Sonderregelungen zu Gunsten der kirchlichen Arbeitsrechtssetzung, wie z.B. im Arbeitnehmerentsendegesetz, mit deren Hilfe die kirchlichen Arbeitgeber die Erstreckung eines Tarifvertrags auf die ganze Altenpflegebranche verhindert haben.
  • Stärkung der ausnahmslosen Tarifpartnerschaft mit den Gewerkschaften und die Abschaffung der kirchlichen Arbeitsrechtssetzung, die Beschäftigtengrundrechte einschränkt, z.B. durch ein kirchliches Streikverbot.

Kirchenfachrat, Februar 2022

Weiterführende Informationen und Dokumente gibt es hier:

https://gesundheit-soziales.verdi.de/mein-arbeitsplatz/kirchliche-betriebe/++co++56bd1b3c-9638-11ec-a88a-001a4a160111

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