Samstag, 2. April 2022

Samstagsnotizen: Abkehr vom kirchlichen Arbeitsrecht - was bedeutet das (2.3.) Loyalitätspflichten - Art. 3 mit 5 GrO

Den umfangreichsten und daher wohl wichtigsten Teil der Grundordnung nehmen die Bestimmungen zu den Loyalitätspflichten ein.

Bereits Artikel 3 (Einstellungsvoraussetzungen) ist auf höchstrichterliche Kritik gestoßen.
Demnach dürfen kirchliche Arbeitgeber bei Einstellungen gemäß nationalem Recht nur dann von Bewerberinnen und Bewerbern die Zugehörigkeit zu einer Konfession verlangen, wenn die auszuübende Tätigkeit direkt mit dem Glauben und der Verkündigung desselben zu tun hat. "Bei verkündigungsfernen Tätigkeiten gilt: Kirchliche Arbeitgeber dürfen bei Einstellungen ausschließlich die Qualifikation und Eignung berücksichtigen. Das ist jetzt auch gerichtlich überprüfbar", sagte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand.
(Fall Egenberger - siehe Pressemitteilung von ver.di)
Widerspricht diese Entscheidung dem deutschen Verfassungsrecht? Tatsächlich ist in den staatskirchenrechtlichen Grundlagen geregelt:
"Jede Religionsgemeinschaft ... verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde"
(Art. 123 GG i.V. Art. 12 RKonk, Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV; vgl. Art. 142 Abs. 3 BV).

Da muss man aber klären, was unter dem Begriff "kirchliches Amt" zu subsummieren ist. Da die entsprechenden Regelungen auch in den Konkordatsvereinbarungen aufscheinen, spricht wohl nichts dagegen, den kirchenrechtlichen Begriff der Can. 145 ff CIC zur Definition zu verwenden. Es sind "auf Dauer eingerichtete Dienste", deren Wahrnehmung einem geistlichen Zweck dient". Dass die befristete Tätigkeit von Vorsitzenden einer Mitarbeitervertretung "auf Dauer eingerichtet" ist, und einem "geistlichen Zweck" dient, wird wohl niemand ernsthaft in Erwägung ziehen. Bei der Mitarbeitervertretung geht es um den Schutz und die Wahrnehmung der Rechte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, nicht aber um deren seelsorgerliche Betreuung. Und die Tätigkeit der Vorsitzenden bedarf gerade keiner "kanonischen Amtsübertragung" durch den Diözesanbischof, wie in cc. 146 und 157 CIC für ein Kirchenamt vorgeschrieben ist. In Can. 149 § 1 wird nur für die Berufung in ein Kirchenamt die "Gemeinschaft in der Kirche" voraus gesetzt - also die volle und ungehinderte Mitgliedschaft in der Kirche.
Die Mitgliedschaft in einer Mitarbeitervertretung und erst recht die Übernahme von Aufgaben, die nicht dem Glauben und der Verkündigung dienen, kann also nicht auf "katholische Bewerberinnen und Bewerber" beschränkt werden. Denn dort wird kein "Amt" im Sinne des Kirchenrechts ausgeübt.
Die Übertragung eines solchen "echten" Kirchenamtes an einer Frau scheint aber kirchenrechtlich durchaus möglich. Daher hat der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, durchaus recht, wenn er meint:
Die katholische Kirche müsse ihr Amtsverständnis auf den Prüfstand stellen .... "Untersuchungen lassen keinen Zweifel daran, dass die enge Begrenzung des Amtes auf ehelose Männer sowie die dogmatische Überhöhung klerikalen Machtmissbrauch begünstigt." ...
"Für mich ist klar: Es braucht in der katholischen Kirche die Öffnung des Amtes für Frauen und Männer, für Verheiratete und Zölibatäre",
(Quelle: katholisch.de)
Ob nun Nichtkatholiken - wie bei den großen diözesanen Vermögensstiftungen der Erzdiözese München und Freising - zu Vermögensverwaltern in der katholischen Kirche bestellt werden können, ist wieder eine andere Frage. Man kann das unter Bezug auf das kirchliche Ämterrecht (geistlicher Zweck?) und das vorgenannte EuGH-Urteil durchaus vertreten. Dann aber wäre es völlig inkonsequent, bei deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und erst recht bei den Mitgliedern der Mitarbeitervertretungen und deren Vorsitz - wie das in den bayerischen Fassungen der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) der Fall ist - die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche zu fordern . Oder ist das wirklich der Wunsch der Bischöfe? Wenn schon alle anderen Aufgaben durch Nichtkatholiken wahrgenommen werden können, dann muss wenigstens der oder die Vorsitzende einer Mitarbeitervertretung noch katholisch sein?

In Artikel 4 werden die "idealen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" beschrieben, fein differenziert zwischen katholischen, nichtkatholischen christlichen und nichtchristlichen Arbeitnehmern. 

In Artikel 5 ist dann geregelt, wie damit umzugehen ist, wenn einzelne Beschäftigte diesen Anforderungen nicht genügen - also kein "heiligmäßiges Leben" führen können oder wollen. 

Dazu ist vorab anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluß des Zweiten Senats vom 4. Juni 1985 Az. -- 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 -- festgestellt hat:

  1. ...
  2.  Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich nach den von der verfaßten Kirche anerkannten Maßstäben. Dagegen kommt es weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflußt sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter Kirchengliedern oder etwa gar einzelner bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an.
  3.  Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubenslehre und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist.
  4.  Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit.
  5. Liegt eine Verletzung von Loyalitätspflichten vor, so ist die weitere Frage, ob sie eine Kündigung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigt, nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften des § 1 KSchG, § 626 BGB zu beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz im Sinne der Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungen.
Die Kirchen können also festlegen (und im Rahmen der Vertragsfreiheit vertraglich vereinbaren) - und über die Zulässigkeit von Konsequenzen bei einer Verletzung der Anforderungen entscheiden die staatlichen Gerichte. Soweit - so gut? 
Nicht ganz, denn im Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 wurden die Zügel etwas enger angelegt:
...
3. Die staatlichen Gerichte haben im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt. Sie haben sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die - im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen - kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei jeweils in möglichst hohem Maße zu verwirklichen.
Warum das? 
Nun: das kirchliche Selbstverwaltungsrecht besteht nur "im Rahmender für alle geltenden Gesetze" und mit dem Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom Jahr 2005 sind für alle, also auch für die Kirchen geltende Einschränkungen der "Vertragsfreiheit" inkraft getreten.
Das AGG ist das einheitliche zentrale Regelungswerk in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien, die seit dem Jahr 2000 erlassen worden sind.
... Erstmals wurde in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität durch private Akteure (z. B. Arbeitgeber, Vermieter, Anbieter von Waren und Dienstleistungen) umfassend regelt.
(Quelle)

Als Umsetzung einer europarechtlichen Vorgabe ist dieses Gesetz dann aber auch europarechtskonform auszulegen (vgl. auch EuGH Az. C-68/17).
Und das bedeutet schlicht und einfach: eine Benachteiligung etwa wegen des Geschlechts, des religiösen Bekenntnisses oder der sexuellen Identität (quer) ist grundsätzlich unzulässig. Und wenn an katholische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engere Anforderungen als an nichtchristliche Arbeitnehmer mit gleichen Aufgaben gestellt wird, dann ist zu hinterfragen, ob die katholischen Beschäftigten da nicht wegen ihrer Religion benachteiligt werden. 

Artikel 9 des AGG sieht zwar eine eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften vor - hebt aber auf das Selbstverständnis der gesamten Religionsgemeinschaft und nicht nur einzelner Personen ab. Und bei der katholischen Kirche ist das weltweite Selbstverständnis maßgeblich, so wie es u.a. im Codex Iuris Canonici (CIC) dokumentiert ist. Spätestens bei dieser Prüfung geraten auch die letzten Vertreter fundamentalistischer Positionen in's schleudern, wenn deutsche Sonderwege begründet werden sollen. Was in Österreich, Südtirol bzw. Italien oder Frankreich und Polen selbstverständlich möglich ist, kann in Deutschland nicht als "unkatholisch" gelten.  

Kurz und schmerzlos - und das haben die Bischöfe auch erkannt: die bis in das intimste Privatleben der Arbeitnehmer reichenden Loyalitätspflichten werden vor Gericht nicht mehr halten. 
(wird fortgesetzt)

p.s.:

Wir hatten daher in unserem Beitrag vom 16. März ausgeführt:

Ein theologisch seriöser Umgang mit der Thematik könnte so aussehen, dass die Bischöfe einen gemeinsamen Diskussionsprozess mit den Gewerkschaften starten, in dem die Beschäftigten, die kirchlichen Arbeitsrechtsfunktionäre beider Seiten und die kirchlichen Sozialethiker, sowie politisch Verantwortliche einbezogen sind und die anstehenden Fragen diskutieren - inklusive der Frage, wie ein Übergang ins weltliche System aussehen könnte.
Erzbischof Schick fordert inzwischen ... eine bessere Beteiligung aller Getaufter am kirchlichen Leben und bei wichtigen Entscheidungen. Dabei sieht er sich auf einer Linie mit dem Papst.

Das nimmt unseren Vorschlag vom 16. März auf. Da der gewerkschaftliche Rechtsschutz auch für arbeitsrechtliche Maßnahmen bei behaupteten oder tatsächlichen Loyalitätsverstößen gilt ist es natürlich, dass auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer ein Interesse daran haben, dass ihre Vertreter an der Entscheidung über die  Zukunft der Loyalitätsverpflichtungen beteiligt werden. 

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