Sonntag, 14. Februar 2021

Sonntagsnotizen - Machtstrukturen hinterfragen!

Diese Forderung wird im Kontext mit dem "Synodalen Weg" immer wieder erhoben. So berichtet "Kirche und Leben" Anfang Februar:
Drei von Missbrauch Betroffene haben bei der Delegiertenversammlung gefordert, der Synodale Weg dürfe nicht weiter auf die Stimme der Betroffenen verzichten.
Einer von ihnen fragte, wann Änderungen im kirchlichen Verfahrensrecht erfolgten, „die Überlebende vom Objekt zur handelnden Person machen“.
Die Erfurter Theologin Julia Knop kritisiert (bei einer jetzt beendeten Online-Tagung zum Thema "Gestaltwandel des Priesterlichen. Verortung des Leitungsdienstes in einer sich wandelnden Kirche" der Katholischen Akademie Schwerte) nach einem Bericht von katholisch.de, dass die Kirche weiterhin vielfach von Standesdenken geprägt sei.
Was momentan häufig als Klerikalismus kritisiert werde, sei letztlich eine Standeslogik, die zum Habitus geworden sei, so die Theologin: dass Bischöfe Dinge "unter sich" regelten und Mitbrüder einander näherstünden als diejenigen, die von Missbrauch betroffen seien. ...
Die Macht eines geistlichen Amtes sollte nach Ansicht von Jesuitenpater Klaus Mertes nicht verleugnet werden. Wer ein geistliches Amt innehabe, dieses aber nicht als Amt begreife oder bestehende Machtgefälle negiere, ändere nichts an den Fakten. ... Mertes mahnte zudem zu einer differenzierten Sprache. So lasse sich etwa zwischen Grenzverletzungen, Übergriffen und Missbrauchstaten unterscheiden.
...
und der frühere Bundesrichter Thomas Fischer kritisiert die „Hysterisierung“ in der Debatte um Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln. „Alles ist überaufgeregt“ (so Radio Vatikan).
Alles überzogen?

Ja, es stimmt: der Tatvorwurf nach § 174b StGB regelt den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Sonderdelikt. Täter kann nur derjenige sein, der Amtsträger im Sinn des staatlichen Strafrechts ist.
Amtsmissbrauch ist in Deutschland keine allgemeine Straftat mehr und etwa als Mißbrauch der Amtsgewalt gem. § 313 StGB nur auf Beamte in der Organstellung bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts beschränkt, also nur rudimentär strafbar.

Aber:
Die Debatte kann sich nicht nur auf den sexuellen Missbrauch durch solche Amtsträger beschränken. In der kirchlichen Diskussion wird der Begriff ausgeweitet und auch auf die missbräuchliche Ausübung der Stellung angewendet, die Klerikern aufgrund der Weihe emotional (Klerikale Macht) und durch klerikale Strukturen *) sowie der durch den Staat eingeräumten Machtbefugnis "als Kirche" auch rechtlich eingeräumt scheint. Man sollte also eher von "Machtmissbrauch" und "Machtstrukturen" sprechen, um den Kern des Übels zu erkennen.
"Scheint" - denn geregelt ist, dass die kirchliche Befugnis zur Selbstordnung und Selbstverwaltung nur die eigenen Angelegenheiten und auch nur in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes besteht. Jeder einzelne im Rahmen seiner Glaubens- und Gewissensfreiheit und auch jede gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft ist an die allgemeinen staatlichen Gesetze gebunden bzw. jeder hat seine Pflichten als Staatsbürger zu erfüllen und sich bei Verstößen nicht nur vor einer Paralleljustiz zu verantworten. Es gibt keinen "rechtsfreien Raum", den die Kirche in Konkurrenz zum- oder gar vorrangig gegenüber dem Staat mit eigenen Regelungen füllen müsste. Bei all diesen Bereichen, in denen sich staatlicher und kirchlicher Rechtskreis überschneiden, handelt es sich bestenfalls um gemeinsame Angelegenheiten, die der Selbstordnung durch die Kirchen entzogen sind. Es gibt allerdings kirchliche Bereiche - wie das Sakramentenrecht - die der Staat nicht regeln darf. Das wären dann auch die eigenen Angelegenheiten.

Ist es dann etwa Machtmissbrauch, wenn (nur) die Deutsche Katholische Kirche einen Sonderweg im Datenschutzrecht einschlägt, während die gleiche Kirche in Italien oder Frankreich mit den staatlichen Normen bestens zurecht kommt?
Ist es dann etwa Machtmissbrauch, wenn (nur) die Kirchen in Deutschland einen eigenen Weg im Arbeitsvertragsrecht beanspruchen, obwohl etwa die katholische Kirche in Italien oder Frankreich kein Problem mit dem weltlichen Arbeitsrecht hat?
Ist es dann etwa Machtmissbrauch, wenn die katholische Kirche diesseits der Oder-Neiße ein völlig anderes Verhältnis zu Gewerkschaften hat als die gleiche Kirche östlich der Flüße?

Ist es dann etwa Machtmissbrauch, wenn sich die deutsche katholische Kirche als Arbeitgeberin unter Inanspruchnahme der verfassungsrechtlich jedermann zustehenden "negativen Koalitionsfreiheit" einen kirchlichen Sonderweg im Arbeitsrecht gönnt, der konträr zu den Normen des universellen Kirchenrechts und den päpstlichen Sozialenzykliken steht?

Es lohnt sich zumindest, darüber nachzudenken.


*)
vgl. Radio Vatikan "Laien fordern Aufbruch „klerikaler Führungs- und Leitungsstrukturen“
vgl. Projektdokumentation Bistum Limburg - Konsequenzen aus der MHG Studie, S. 270 (278) ff
vgl. Julia Knop, Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt zur MHG-Studie "nachgefragt"
vgl. Prof. Dr. Bucher, Universität Graz, Pastoraltheologie, zum Papstbrief an das Volk Gottes "Die klerikale Versuchung"

Zur Begünstigung von Machtmissbrauch durch Strukturen
vgl. MK-Online: Generalvikar Peter Beer äußert sich im Interview zu Klerikalismus, Zölibat und Männerbünden.
vgl. Jesuiten-Org: MISSBRAUCH WIRD DURCH MACHT BEGÜNSTIGT
vgl. OM Online Kommentar: Der Kern des Problems ist die klerikale Macht

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