Freitag, 11. Februar 2022

Über die Gerichtsbarkeit in der katholischen Kirche

 

"Die Gerichte in der Kirche funktionieren seit dem Mittelalter." 
wird Erzbischof Vincenzo Paglia im Domradio zitiert. Der Erzbischof ist Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben und spricht sich in seinem Beitrag gegen eine unabhängige Kommission zur Untersuchung von Missbrauch in Italiens Kirche aus.
Die Tagesschau hatte der eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit einige Tage vorher eine Erklärung gewidmet:
Neben dem "weltlichen" Strafrecht hat die katholische Kirche ihr eigenes Strafrecht im "Codex iuris canonici". Dort ist auch der sexuelle Missbrauch geregelt. Allerdings kann die Kirche ihr eigenes Strafrecht nur ergänzend zur Bestrafung heranziehen. Martin Rehak, Professor für Kirchenrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, weist darauf hin, "dass die kirchlichen Gerichte nicht zu einer 'Paralleljustiz' führen, durch die etwa Priester oder kirchlich Beschäftigte der Strafverfolgung durch die staatliche Gerichtsbarkeit entzogen werden. Die kirchlichen Gerichte dienen allein der innerkirchlichen Durchsetzung der eigenen Rechtsordnung."

Wir möchten hier auf einige Aspekte der innerkirchlichen Gerichtsbarkeit eingehen, die uns für das Verständnis wichtig erscheinen:

1. Rechtsprechung im Auftrag des Bischofs:
Die kirchlichen Gerichte sind nicht "im Namen des Volkes" (oder wenigstens der Gläubigen) tätig sondern "im Auftrag und mit Vollmacht des jeweiligen Bischofs" (vgl. Can. 1419 CIC oder § 1 der Kirchlichen Datenschutzgerichtsordnung - KDSGO). Das wird etwa beim katholischen Kirchlichen Arbeitsgerichtshof deutlich. Dort wird bereits im Titel der Entscheidungen ausgeführt:
Im Namen der Deutschen Bischofskonferenz auf Grund eines Mandats des Heiligen Stuhls
Die Rechtsprechung "mit Vollmacht des jeweiligen Bischofs" gilt für alle innerkirchlichen katholischen Gerichte - das Offizialat (das z.B. mit Ehenichtigkeitsverfahren befasst ist) oder die "kirchlichen Datenschutzgerichte". Diese Unterordnung - man spricht von Gewaltentrennung, nicht von Gewaltenteilung - hat Auswirkungen.
Der Bischof ist oberster Gesetzgeber, Ankläger und Richter in seinem Bistum.

2. keine Normenkontrollbefugnis:
Jemand, der im Auftrag eines anderen entscheidet, kann nicht die von diesem erlassenen Regelungen aufheben. Das ist zunächst einmal logisch - und in § 2 der kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung (KAGO) auch gleich am Anfang festgeschrieben:
(4) Ein besonderes Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von kirchlichen Rechtsnormen (Normenkontrollverfahren) findet nicht statt
Damit wird ein wichtiges Recht der staatlichen Gerichte vorenthalten. Diese Normenkontrolle ist die
Überprüfung eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung am Maßstab von Normen höheren Ranges (z.B. des Verfassungsrechts). Das Verfahren der Normenkontrolle ist in Art. 93 I 2 und 100 GG sowie in den Länderverfassungen geregelt. Einzelheiten im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) und den Gesetzen über die Verfassungsgerichte der Länder. Ferner ist im § 47 VwGO die Normenkontrolle gegen Satzungen und Rechtsverordnungen nach dem Baugesetzbuch sowie von dem unter dem dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften vorgesehen.

Man unterscheidet:
1. Abstrakte Normenkontrolle: Prüfung einer Rechtsnorm unabhängig von einem konkreten Rechtsstreit.

2. Konkrete (inzidente) Normenkontrolle: Überprüfung im Rahmen eines Rechtsstreit notwendig, weil die Gültigkeit der Norm für den Ausgang des Rechtsstreits bedeutsam ist. Grundsätzlich hat jedes Gericht die Gültigkeit der Vorschriften, die es anwenden will, selbst zu prüfen. Hat das Gericht Zweifel an der Gültigkeit einer Rechtsnorm, legt es die Norm zur Überprüfung am Maßstab höherrangigen Rechts einem übergeordneten Gericht vor. Bei Gesetzen liegt die Überprüfungszuständigkeit regelmäßig bei den Verfassungsgerichten.
(Quelle: GABLER WIRTSCHAFTSLEXIKON)
Mit dieser - nur den unabhängigen staatlichen Gerichten zustehender Befugnis - soll verhindert werden, dass höher- und höchstrangiges Recht durch untergeordnete Vorschriften ausgehebelt wird. Das ist für einen Rechtsstaat essentiell.

Mit der Regelung der KAGO sind nun nicht nur die bischöflichen Gesetze "sankrosankt". Das Kirchenrecht kennt nicht nur kirchliche Gesetze sondern etwa auch Allgemeine Dekrete und Instruktionen (cc. 29 ff CIC). Kirchliche Rechtsnormen sind auch Ausführungsvorschriften eines Generalvikars (der als "alter ego" des Bischofs handelt) oder Ordnungen und Satzungen, die etwa eine Kirchenverwaltung zur Benutzung ihrer Einrichtungen erlässt.
Es kann zwar durchaus sein, dass eine solche Anordnung dem (höherrangigen) Gesetz des Bischofs widerspricht (oder besser "zu widersprechen scheint") und damit eigentlich unwirksam wäre (Can. 34 § 2 CIC) - aber dem kirchlichen Arbeitsgericht ist diese Prüfung nicht möglich.
Deshalb musste das Kirchliche Arbeitsgerichts für die Bayerischen (Erz-)Diözesen am 26. November 2018 – 2 KO 1/17 – eine alte Ausführungsvorschrift des Generalvikars, die nie aufgehoben worden war, immer noch als rechtswirksam unterstellen. Dieses Urteil wurde später aus anderen Gründen - der fehlenden Selbstanzeige eines befangenen Beisitzers - durch den KAGH aufgehoben. Zu einer neuerlichen Entscheidung in der Hauptsache ist es dann wohl aufgrund fehlenden Rechtsschutzinteresses - "rückwirkende Teilnahme" an einer terminlich abgelaufenen Schulungsmaßnahme - nicht mehr gekommen.

3. keine unabhängigen Richter:
Der Offizial (Gerichtsvikar), der "für den Bischof" tätig wird, kann von diesem nach c. 1422 CIC auch abberufen werden.
Das ist für die kirchlichen Arbeitsgerichte - etwas verklausuliert - in § 18 der Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung (KAGO) normiert. Dort heißt es:
(4) Das Amt eines Richters endet vor Ablauf der Amtszeit
a) mit dem Rücktritt;
b) mit der Feststellung des Wegfalls der Ernennungsvoraussetzungen oder der Feststellung eines schweren Dienstvergehens. Diese Feststellungen trifft der Diözesanbischof oder ein von ihm bestimmtes kirchliches Gericht nach Maßgabe des diözesanen Rechts.
Die "Feststellung des Diözesanbischofs" tritt an die Stelle einer Entscheidung des von diesem bestimmten (und besetzten) kirchlichen Gerichts. Der Diözesanbischof braucht also nur etwas "festzustellen" - kraft seiner Leitungsvollmacht - und schon wird ein Richter aus seinem Amt katapultiert. Auf die objektiv vorliegenden Umstände kommt es gar nicht an.
Ähnliches regelt die kirchliche Datenschutzgerichtsordnung. Dort ist in § 6 gergelt:
(3) Das Amt eines Richters endet vor Ablauf der Amtszeit
a) mit der Annahme der Rücktrittserklärung durch den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,
b) mit der Feststellung des Wegfalls der Ernennungsvoraussetzungen oder der Feststellung eines schweren Dienstvergehens. Diese Feststellungen trifft der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz durch Dekret.
Das war's dann auch mit der "richterlichen Unabhängigkeit".

4. Über einen Bischof darf nur ein Bischof urteilen:
Nun ist natürlich möglich, dass auch ein Bischof "unrecht begeht", er also gegen die kircheneigene Rechtsordnung verstößt. Häresie, Apostasie oder Schisma (vgl. Can. 751 CIC) sind wohl die schlimmsten Vergehen, die sich ein Bischof zuschulden machen kann. Daneben gibt es aber eine ganze Reihe von kirchenrechtlichen "Vergehen", die auch ein Bischof begehen kann. Der III. Weg der deutschen katholischen Kirche, der gegen Can. 392 und 1286 1° CIC und die päpstlichen Sozialenzykliken verstößt - oder die Bezahlung von "Armutslöhnen" mit denen die Beschäftigten gezwungen werden, zusätzlich oder im Alter Sozialhilfe zu beanspruchen (Can. 1286 2° CIC), könnten als Beispiele dienen.
Dafür ist dann der Weg zu den Kirchengerichten nach Rom vorgesehen; ein Weg, der in Streit- oder Strafsachen nach can. 1417 § 1 CIC auch jedem Gläubigen zusteht.

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