Dienstag, 15. Februar 2022

Entlarvt der neue Pflegemindestlohn die Caritas-Vergütungen ? Oder: Steigender Pflegemindestlohn löst Grundproblem in der Altenpflege nicht (1)

Wie bekannt ist es wegen der Caritas nicht gelungen, den damals geplanten Tarifvertrag mit dem BVAB für allgemeingültig erklären zu lassen. In der Folge gibt es aktuell wohl drei Instrumente, mit denen nun politische auf die Vergütung in der Pflege Einfluß genommen wird:
1. den Pflegemindestlohn,
2. das „Pflegelöhneverbesserungsgesetz“ und
3. das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz, das Verträge mit den Pflegekassen ab September 2022 davon abhängig macht, dass entweder ein seriöser Tarifvertrag Anwendung findet oder auf ihn Bezug direkt oder indirekt Bezug genommen wird.
Altenheime und Pflegedienste stehen vor einer verwirrenden Flut neuer Lohnregeln – die nicht immer gut zusammenpassen.

 meint dazu die FAZ am 8. Februar d.Jahres

Steigender Pflegemindestlohn löst Grundproblem in der Altenpflege nicht - berichtet ver.di und führt unter anderem aus:
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sieht das Grundproblem in der Altenpflege auch durch die jetzt von der Pflegekommission empfohlenen beachtlichen Steigerungen des Pflegemindestlohnes nicht gelöst. “ver.di arbeitet in der Pflegemindestlohnkommission mit, um für die Beschäftigten so viel wie möglich raus zu holen. Die jetzt empfohlenen Steigerungen sind auch nicht gering, aber über einen Mindestlohn sind die Personalprobleme in der Altenpflege nicht zu lösen“, sagte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. Weder mache dieses Lohnniveau den Pflegeberuf attraktiv, noch werde dadurch das Abwandern von Pflegefachpersonen ins Krankenhaus gestoppt. „Der Mindestlohn sorgt ausschließlich dafür, eine jahrelang praktizierte Ausbeutung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor allem bei kommerziellen Pflegekonzernen zu verhindern.“

Im Einzelnen sieht die Empfehlung der Pflegekommission folgende Regelungen vor: Für Pflegefachkräfte erhöht sich der Pflegemindestlohn von derzeit 15,00 Euro auf 17,10 Euro ab 1. September dieses Jahres, ab 1. Mai 2023 steigt er auf 17,65 Euro und ab 1. Dezember 2023 auf 18,25 Euro; das bedeutet bei einer 40-Stunden-Woche ein Grundentgelt von 3.174 Euro monatlich. Für Pflegekräfte mit ein- bzw. zweijähriger Ausbildung steigt der Mindestlohn von derzeit 12,50 Euro auf 14,60 Euro ab 1. September 2022 sowie auf 14,90 Euro ab 1. Mai 2023 und auf 15,25 Euro ab 1. Dezember 2023; damit kommen dann Beschäftigte bei einer 40-Stunden-Woche auf ein Monatsgrundentgelt von 2.652 Euro. Für Pflegekräfte ohne Ausbildung wird der Mindestlohn von derzeit 12,00 Euro auf 13,70 Euro ab 1. September 2022 angehoben, ab 1. Mai 2023 auf 13,90 Euro und ab 1. Dezember 2023 auf 14,15 Euro; das entspricht bei einer 40-Stunden-Woche einem Monatsgrundentgelt von rund 2.461 Euro. Zudem erhöht sich der Urlaubsanspruch für Pflegekräfte von derzeit 26 Tagen pro Jahr auf 27 Tage im Jahr 2022 und 29 Tage ab 2023 bei einer Fünftagewoche.

Trotz der Verbesserungen bleibt die Pflegekommission hinter den Regelungen des zwischen ver.di und dem Arbeitgeberverband BVAP ausgehandelten Tarifvertrags Altenpflege zurück, dessen Erstreckung auf die gesamte Pflegebranche vor fast genau vor einem Jahr von den Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie abgelehnt wurde. Bühler: „Damals wurde auch behauptet, der Tarifvertrag sei zu schlecht. Aber was jetzt auf dem Tisch liegt, zeigt, dass der Weg über den Tarifvertrag der bessere ist.“
...
Quelle: Pressemitteilung vom 08.02.2022 während die Mitarbeiterseite der AK Caritas die neuen Regelungen in einem Tweet und auf der eigenen hp im Internet begrüßt.

Am gleichen Tag hatte die FAZ einen Artikel zum Mindestlohn für Pflegehelfer online gestellt. Dort wird u.a. ausgeführt:
Eine neue amtliche Lohntabelle hat es in sich: Vermeintlich misst sie nur die „regional üblichen“ Löhne - aber faktisch sind das von September an die neuen Mindestlöhne für Pflegekräfte.
Wer als Altenpflegekraft in Schleswig-Holstein arbeitet, zählt mit einiger Wahrscheinlichkeit zu den bundesweiten Spitzenverdienern der Branche: Selbst Pflegehelfer ohne Ausbildung erhalten dort üblicherweise *) schon eine Grundvergütung von 17,75 Euro je Stunde. Zuschläge von rund 20 Prozent für Nachtarbeit, 30 Prozent für Sonntagsarbeit und 64 Prozent für Feiertagsarbeit kommen hinzu. Und Pflegefachkräfte mit dreijähriger Ausbildung erreichen im nördlichsten Bundesland sogar 23,89 Euro plus Zuschläge.
So weist es eine am Montag veröffentlichte Übersicht der Pflegekassen aus – die aber weit mehr ist als eine Datensammlung: Die dort aufgelisteten regionalen Entgeltniveaus und Zuschläge für alle Bundesländer sollen von September an wie gesetzlich verankerte Mindestlöhne wirken. Basis dafür ist das kurz vor der Bundestagswahl beschlossene Pflegelohngesetz der schwarz-roten Koalition. Es schreibt sämtlichen Pflegediensten und -heimen vor, sich von September an entweder an amtlich anerkannte Tarifverträge zu binden – oder an die in der neuen Übersicht aufgeführten „regional üblichen Entgelte“.
...
Quelle: FAZ,
die dann in einem anderen Artikel ausführt:
Knifflig ist ... die Frage, wie der Pflegemindestlohn künftig mit den Vorgaben jener Lohntabelle der Pflegekassen zusammenpasst. Sie beziffert, auf Basis einer Erhebung unter tarifgebundenen Anbietern, für jedes Bundesland sogenannte regional übliche Vergütungen – zum Beispiel 17,75 Euro für Hilfskräfte ohne Ausbildung in Schleswig-Holstein (F.A.Z. vom 8. Februar). Diese müssen die Betriebe von September an zusätzlich als Mindestbedingungen beachten, sofern sie sich nicht direkt an einen anerkannten Tarifvertrag binden. So gibt es das „Pflegelöhneverbesserungsgesetz“ vor.
(so ebenfalls die FAZ vom 08.02.2022)


Interessant wäre nun, die Caritas-Löhne in Vergleich zu setzen.
Bekannt ist: in der Pflege orientiert sich die AK Caritas zumindest bei den Pflegekräften am öD, gelegentlich etwas verzögert. Eklatant schlechter gegenüber dem TVöD sind im Caritas-Bereich die Hilfskräfte mit der P4-Gruppe (die es im TVöD nicht gibt, dort entspricht die Tätigkeitszuordnung der P5), deren Differenz sich bis in die Endstufe auf etwa 15 % Verschlechterung steigert (es muss sich wohl um das christliche Matthäusprinzip handeln).

Der Vergleich erweist sich aber schwieriger als gedacht.

1.
Es gibt in den AVR keine Stundenentgelte. Daher können wir nur die Monatsentgelte durch gerundet 4 Wochen **) mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit (nach § 2 AVR Anlage 32) von 39 Stunden (zu je 5 Arbeitstagen) teilen. Das ergibt gerundet monatlich im Durchschnitt 156 Stunden. Im Gebiet der neuen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen sind 2022 noch durchschnittlich 40 Wochenstunden anzusetzen, was insgesamt gerundet 160 Arbeitsstunden im Monat ergibt. **) 

2.
Zu den Tabellenentgelte kommen nach der AVR Caritas noch diverse Zulagen dazu, die aber individuell unterschiedlich sind und die (mit Ausnahme der generellen Pflegezulage von 120,00 Euro nach § 12 Abs. 4 Anl. 32 AVR Caritas) deshalb zur leichteren Vergleichsberechnung nicht noch zusätzlich eingearbeitet werden können.

3.
Die genauen Grundlagen der "amtlichen Tabellen" lt. FAZ sind nicht bekannt. Die Daten sind der Veröffentlichung nach § 82c Abs. 5 SGB XI entnommen (Stand 7.2). Es handelt sich angabegemäß um Durchschnittswerte. Auf welcher Basis (Leistungsvergütung, Jahressonderzahlung, Urlaubsgeld usw.) diese Werte ermittelt wurden (dazu auch Martkanteil privater, öffentlicher und kirchlicher Träger, Arbeitsmarktlage generell usw.) ist unbekannt. Gibt es dann etwa viele kleine Ausschläge oder wenige heftige Abweichungen in eine Richtung? All das kann Auswirkung auf den so ermittelten "Durchschnittswert" haben. Weiter ist unklar, welche Faktoren etwa bei der Grundvergütung eingeflossen sind.

4.
Daraus ergibt sich, dass zwangsläufig "Äpfel mit Birnen verglichen werden". Es kann sich nur eine grobe Orientierungshilfe entwickeln. Auch "Äpfel und Birnen sind heimisches Kernobst", in der Regel in der Größe einer geballten Faust. Damit erschöpft sich aber die Vergleichbarkeit. Unter dieser Prämisse haben wir den folgenden Orientierungsvergleich erarbeitet.

Grundlage für den groben Orientierungs-Vergleich mit der von der FAZ zitierten "amtlichen Tabelle" sind dann
der Lambertus-Verlag mit den AVR Tariftabellen für 2021 und 2022
die AVR Anlage 32 (Quelle: Schiering AVR Arbeitshilfen)

Danach ergäbe sich, dass die Caritas - entgegen den eigenen Verlautbarungen - inzwischen nicht einmal mehr überall die sogenannten "regionalen Durchschnittslöhne" bezahlt.

Wir möchten dies an einigen Bundesländern festmachen und fangen im Norden an:

Schleswig-Holstein:
Ungelerne Pflegehelfer (Engeltgruppe P 4):
Amtliche Lohntabelle:
Grundvergütung von 17,75 Euro je Stunde. Zuzüglich Zuschläge von 19,84 Prozent für Nachtarbeit, 30,16 Prozent für Sonntagsarbeit und 63.77 Prozent für Feiertagsarbeit
Bistum Hamburg (Region Ost, Tarifgebiet West) - durchschnittlich 156 Arbeitsstunden **) monatlich:
Grundentgelt Stufe 1: 2.424,28 € entsprechend 15,54 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Entwicklungsstufe 6: 2.621,80 € entsprechend 16,80 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Zuschlag 15 % für Nachtarbeit, 25 v.H. für Sonntagsarbeit und 35 Prozent für Feiertagsarbeit (§ 6 Anl. 32 AVR Caritas)

Fachkräfte mit dreijähriger Ausbildung (Engeltgruppe P 7):
Amtliche Lohntabelle:
Grundvergütung 23,89 Euro je Stunde zuzüglich Zuschlage w.o.a.
Bistum Hamburg (Region Ost, Tarifgebiet West) - durchschnittlich 156 Arbeitsstunden **) monatlich:
Grundentgelt Stufe 2: 2.952,57 € entsprechend 18,93 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Entwicklungsstufe 6; 3.679,30 € entsprechend 23,59 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Zuschlag 15 % für Nachtarbeit, 25 v.H. für Sonntagsarbeit und 35 Prozent für Feiertagsarbeit (§ 6 Anl. 32 AVR Caritas)

Brandenburg:
Ungelerne Pflegehelfer (Engeltgruppe P 4):
Amtliche Lohntabelle:
Grundvergütung von 15,40 Euro je Stunde, zuzüglich Nachtzuschlag 24,12 % , 29,85 % für Sonntagsarbeit und 42,18 % für Feiertagsarbeit
Bistum Berlin (Region Ost, Tarifgebiet Ost) - durchschnittlich 160 **) Arbeitsstunden monatlich:
Grundentgelt Stufe 1: 2.400,63 € entsprechend (2022) 15,00 Euro je Stunde zuzüglich zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Entwicklungsstufe 6; 2.596,22 € entsprechend 16,23 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Zuschlag 15 % für Nachtarbeit, 25 v.H. für Sonntagsarbeit und 35 Prozent für Feiertagsarbeit (§ 6 Anl. 32 AVR Caritas)

Fachkräfte mit dreijähriger Ausbildung (Engeltgruppe P 7):
Amtliche Lohntabelle:
Grundvergütung 20,69 Euro je Stunde, zuzüglich Zuschlage w.o.a.
Bistum Berlin (Region Ost, Tarifgebiet Ost) - durchschnittlich 160 Arbeitsstunden **) monatlich:
Grundentgelt Stufe 2: 2.909,37 € entsprechend 18,18 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Entwicklungsstufe 6; 3.625,46 € entsprechend 22,66 Euro je Stunde zuzüglich 120,00 Euro mtl. Pflegezulage = 0,77 €/Std.;
Zuschlag 15 % für Nachtarbeit, 25 v.H. für Sonntagsarbeit und 35 Prozent für Feiertagsarbeit (§ 6 Anl. 32 AVR Caritas)

(wird fortgesetzt)


*)
Üblicherweise meint, dass es auch Abweichungen gibt, die sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung gehen können. 

**)
Die 4 Wochen/Monat stimmen nur bei einem Monat mit 28 Tagen. Tatsächlich sind die meisten Monate 30 oder 31 Tage lang, was dann auch mehr Wochenarbeitstage ergibt, weil der Monat eigentlich 4,348 Wochen hat und sich daher eigentlich 169 Stunden ergeben.
Mit unserer Berechnung runden wir zugunsten der Caritas.

Überarbeitet am 22.02.2022 - ergänzt mit dem Verweis auf die hp der Mitarbeiterseite der Caritas

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