Mittwoch, 3. März 2021

Geplatzte Einigung: Caritas gibt schwarzen Peter an Politik weiter

berichtet Kirche und Leben und zitiert Gerhard Tepe, Direktor des Landes-Caritasverbands Oldenburg:
... Erstmal halte ich die Ausgangsituation für unglücklich, dass ein flächendeckender Tarifvertrag vom Votum kirchlicher Wohlfahrtsverbände abhängen soll. Wohlwissend, dass bei einer Ablehnung, so wie es nun passiert ist, die Caritas den schwarzen Peter zugespielt bekommt.

Jetzt gilt es nach vorn zu schauen. Am Zug ist weiterhin die Politik – konkret derzeit auf Bundesebene die Pflegekommission. Darin sind alle Akteure der Pflegebranche vertreten – auch die Caritas. Hier müssen wir uns nun weiter verständigen, was die Mindestbedingungen in der Pflege angeht. Daran wird sich die Caritas mit ihren Partnern selbstverständlich konstruktiv beteiligen, wie wir es schon immer getan haben.

Was hatte die Dienstgeberseite der Caritas denn an dem vorgeschlagenen flächendeckenden Tarifvertrag auszusetzen?

Die Befürchtung war, dass die Kostenträger, also zum Beispiel Pflege- und Krankenkassen, den Tarifvertrag dann für die Berechnung ihrer Leistung heranziehen. Da der Lohn im Caritas-Tarif aber über dem des vorgeschlagenen Flächen-Tarifs liegt, könnten wir dann unsere Mitarbeiter nicht mehr so bezahlen, wie wir es derzeit tun.

Diese Situation hatten wir in Niedersachsen bis vor wenigen Jahren noch. Der auf Bundesebene ausgehandelte Caritas-Tarifvertrag wurde hier von den Kostenträgern nicht umfassend berücksichtigt. Hier gab es den so genannten externen Vergleich, also eine Summe X, die unseren Tarif nicht abdeckte. Infolgedessen mussten viele Einrichtungen Lohnabsenkungen verhandeln, da sie die Kosten nicht refinanziert bekamen. Wir haben dann 2008 den „Pflegealarm“ ausgerufen und mit unseren Bischöfen zusammen demonstriert. Erst dann hat sich die Situation verbessert. Diese Zustände, die der flächendeckende Tarifvertrag mit sich bringen könnte, wollten wir vermeiden *).

...
Man kann zu dem Votum der AK unterschiedlicher Meinung sein. Ich finde es aber positiv, dass Dienstgeber und Dienstnehmer sich in diesen schwierigen Prozessen gut verständigen und der Sonderweg der Kirchen, der sogenannte Dritte Weg, dadurch gestärkt wird. Bei allen unterschiedlichen Meinungen sollten wir die demokratische Entscheidung eines solchen Gremiums akzeptieren.

Sehr geehrter Herr Tepe *),

Sie haben Recht, was die "unglückliche Ausgangsbasis betrifft" - und Sie irren, was die Befürchtung zur Refinanzierung betrifft. „Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann ... nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Für eine darüber hinausgehende Bezahlung bedarf es eines sachlichen Grundes.“ So ist das derzeit geregelt (§ 84 Abs. 7 SGB XI). Tarifliche Leistungen müssen von den Kostenträgern vollständig berücksichtigt werden.
Richtig so, denn unsere Sozialversicherungsgelder sollen auch dort ankommen (§ 85 SGB XI), wofür sie gedacht sind. Selbst wenn Arbeitgeber nicht tarifgebunden sind, gibt es keinen Grund, niedrige Löhne zu zahlen. Denn auch dann werden sie bis zur Höhe der Tariflöhne refinanziert. Diese Änderung ist mit dem Pflegestärkungsgesetz III zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten.
Quelle - Statement ver.di: Gute Pflege braucht qualifiziertes Personal und das gibt es nur bei guter Bezahlung.

Ihr Auftrag "an die Politik" wird von uns dennoch geteilt.
Denn - bei allem Respekt: es gibt keinen "auf Bundesebene ausgehandelten Caritas-Tarifvertrag". Es gibt bei der Caritas nur die Allgemeinen Vertragsrichtlinien (AVR), die regionale Abweichungen zulassen und zudem lediglich als "Allgemeine Geschäftsbedingungen" (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 17. 11. 2005 – 6 AZR 160/05 (lexetius.com/2005,3737) in [21] - ebenso Urteil vom 23. November 2017, - 6 AZR 739/15 - Rd.Nr. 17) anzusehen sind - so, wie das Kleingedruckte beim Staubsaugerkauf. Von diesen Richtlinien kann jederzeit auch zu Lasten der Beschäftigten abgewichen werden (§ 305 b BGB). Das haben Träger wie das "Allgäu-Stift" auch leidlich genutzt. Daher können solche Richtlinien zumindest künftig nicht mehr zur Grundlage einer öffentlichen Förderung gemacht werden.
Deshalb ist es richtig, die Finanzierung aus der Pflegeversicherung künftig ausschließlich und verbindlich an Tarifverträge zu binden. Denn nur diese erlauben nach § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz Abweichungen lediglich zugunsten der Arbeitnehmer. Dazu bedarf es nur einer Änderung des SGB. Und das wäre noch in dieser Legistlaturperiode möglich. Wenn Caritas und Diakonie dann also ihre Leistungen refinanziert haben möchte, dann brauchen sie nur einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft abzuschließen. Das ist keine besondere Härte für kirchliche Wohlfahrtsverbände. Denn diese Vorgabe betrifft dann jeden Einrichtungsträger. Eine beidseitige vertragliche Vereinbarung mit der Gewerkschaft, die Vergütungstarife des TVöD anzuwenden (als Anwendungstarifvertrag - ähnlich der einseitigen Vergütungsautomatik der Bayerischen Regional-KODA) würde reichen. Und während der Geltungsdauer dieser Vereinbarung würde der Vertragsinhalt dann auch der tarifvertraglichen Friedenspflicht unterliegen.

Und was - bitte - ist an einer Entscheidung demokratisch, in der die eine Hälfte der "Machthaber" durch eine reine Blockadehaltung die Vertreter der anderen Seite an jeder Augenhöhe und Durchsetzungskraft hindern kann? "Verweigerung" ist weder demokratisch noch faire Tarifautonomie, sondern schlicht und einfach die Verurteilung zum "kollektiven Betteln" (grundlegend BAG, Urteil vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, juris, Rn. 96, bestätigt durch BUNDESVERFASSUNGSGERICHT Az. - 1 BvR 719/19 - und - 1 BvR 720/19 - vom 09.07.2020) - Zitat:
Ein fairer und ausgewogener Ausgleich gegensätzlicher Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen beruht insoweit auf annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 146, 71 <127 f. Rn. 164>).


Der Ruf nach der Politik hat inzwischen auch wieder politische Kreise bis in die Basis der Regierungskoalition erreicht:
Caritas-Aus für bundesweiten Pflegetarifvertrag: Kirchlicher Sonderweg im Arbeitsrecht – Raus!

Genauer hingesehen erweist sich das Verhalten der Arbeitgeber in der Arbeitsrechtlichen Kommission als egoistische Unterstützung von Lohndumping. Sie wollen sich doch den Weg zur Unterschreitung der tarifvertraglich vereinbarten Vergütungen offen halten - und in der Folge erweist sich das Verhalten der Caritas-Arbeitgeber zugleich als massive Schwächung des "Dritten Weges".



Anmerkung (Nachtrag)
*)
Die folgenden Zeilen richten sich nun auch an Caritas-Präsident Peter Neher der in diesem Sinne Stellung bezogen hat:
Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas hat dem Antrag des Arbeitgeberverbandes BVAP und der Gewerkschaft ver.di, den zwischen ihnen ausgehandelten Tarifvertrag für die Altenpflege allgemeinverbindlich erklären zu lassen, am 25. Februar nicht zugestimmt. Hintergrund ist die Befürchtung einer größeren Zahl von Mitgliedern der Arbeitsrechtlichen Kommission, dass bei einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags Pflege die Arbeitsbedingungen nicht besser für Pflegende werden, sondern schlechter. .... Unsere Einrichtungen und Träger befürchten, dass die Kostenträger sich künftig am Tarifvertrag Altenpflege als Norm orientieren und die Mehrkosten der Einrichtungen nicht mehr refinanzieren, die höhere Entgelte zahlen. Wir wollen aber weiterhin gute Löhne zahlen.
Nichts einfacher als das: wenn die Caritas anstelle der einseitigen Kopie des TVöD (mit Abstrichen) einen Anwendungstarifvertrag wie oben beschrieben abschließen würde, wäre die Situation nicht nur für die Pflegenden in der Caritas stabilisiert.

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