Sonntag, 8. Dezember 2013

"Evangelii gaudium" - Tötet dieses System?

In Christ & Welt Ausgabe 50/2013, setzen sich Kardinal Karl Lehmann und Kardinal Rainer Maria Woelki mit dem am 24.November unterzeichnete Schreiben „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus auseinander.
Kardinal Lehmann formuliert:
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„Evangelii gaudium“ lässt sich aber nicht auf eine wohlfeile und relativ billige Kapitalismuskritik reduzieren. Der Text kennt auch durchaus „noble“ Fortschritte und Verbesserungen des sozialen Zusammenlebens der Menschen. Aber er geht mit bestimmten Tendenzen unserer Gesellschaften sehr deutlich ins Gericht: Es gibt eine steigende Ungleichheit in der Verteilung der Güter; die Wohlstandskultur betäubt; oft wird das Geld vergöttert; es gibt eine „absolute Autonomie der Märkte“; die Finanzspekulation verstärkt dies alles; eine Gier nach Macht und Geld ist unverkennbar; wir leben in einer „Wegwerfkultur“, in der ein außerordentlicher Konsumdruck vorherrscht; die Vernichtung von vielen Nahrungsmitteln, eine auch in fortgeschrittenen Ländern bestehende Korruption und eine hohe Steuerhinterziehung werden genannt. So ist es für Papst Franziskus auch ein Skandal, wie viele Menschen aus einer solchen Welt ausgeschlossen werden und als „Abfall“ gelten. „Ausschluss“ ist ein Schlüsselwort des neuen Schreibens. Kein Wunder, dass in diesen Bereichen auch jede Ethik als unvereinbar abgelehnt wird.

Es geht dem Apostolischen Schreiben, das sich bewusst nicht eigens sozialen Fragen zuwendet, also keineswegs nur um die missionarische Erneuerung einer auf sich selbst konzentrierten Kirche, nicht um eine akademische Kapitalismuskritik, sondern es legt überaus deutlich den Finger auf entartete Entwicklungen und Schädigungen in unserem Sozialsystem. Es ist erstaunlich, dass man mancherorts und von allen Seiten her über diese Ausführungen hinwegliest.
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Kardinal Woelki meint:
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Der Papst richtet wie ein guter Arzt den Blick auf die Wurzel des Übels. Hier erkennt er eine „tiefe anthropologische Krise“: „die Leugnung des Vorrangs des Menschen!“ Wird einem Menschen die Würde abgesprochen, dann ist der Weg frei zu allen Formen der Entmenschlichung – bis zum sozialen Tod. Der erste Therapieansatz liegt somit darin, die Degradierung des Menschen zum Objekt zu „heilen“, das heißt, jedem Menschen seine Würde, sein Subjektsein zurückzugeben.

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Welche Schlussfolgerungen sind nun aus den Äußerungen des Papstes zu ziehen? Papst Franziskus ist in seinem Urteil gegenüber Verhältnissen, die wenig Rücksicht auf die Würde der Schwachen nehmen, die die Menschen als Objekte der Macht behandeln, unerbittlich. Zugespitzt könnte man seine Sichtweise folgendermaßen zusammenfassen: Eine Wirtschaft, die nicht dem Menschen dient, dient zu nichts. Aber es geht nicht nur um den Inhalt seiner Aussagen, sondern auch der neue Ton bleibt nicht ohne Wirkung. Man hat fast den Eindruck, dass der Schrei der Ausgegrenzten widerhallt in seinen glasklaren Worten.
Ich denke, wir sollten unsere Beiträge (nicht nur dieses Monats) vor den Aussagen von Franziskus lesen.

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