Wir dokumentieren im Folgenden den Vortrag, den Frau Prof. Dr. Heide Pfarr am 5. März 2013 auf der Fachtagung in Eichstätt gehalten hat. Weitere Dokumente aus der Fachtagung haben wir bereits veröffentlicht: Thesenpapier AG 3 Günter Busch - Thesenpapier AG 3 Thomas Rühl - Thesenpapier zum Vortrag von Frau Prof. Pfarr
Hier nun das Referat von Prof. Dr. Heide Pfarr:
Referat für die 16. Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 4. und 5. März 2013 in Eichstätt
Die schriftlichen Entscheidungsgründe der Urteile des
Bundesarbeitsgerichts zum Streikrecht für die Kirchen und die Gewerkschaften
liegen am 5. März 2013 noch nicht vor. Meine Schlussfolgerungen haben deshalb ,
neben der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, die ja umfänglich ist, als
Grundlage nur die Pressemitteilungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und die
mündliche Verhandlung.
Nach den Urteilen des BAG vom 20. November 2012 herrscht
Verwirrung. Die Kirche kam mit ihren vielen Klageanträgen nicht durch und fühlt
sich als Gewinnerin. Die Gewerkschaften haben gewonnen und fühlen sich als
Verliererinnen. Beide irren sich.
Verloren, bei beiden, haben allerdings diejenigen, die
extreme Positionen vertreten haben: die Kirche die uneingeschränkte Vorrangstellung
des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, unter deren Dach alles erlaubt ist.
Die Gewerkschaften die uneingeschränkte Vorrangstellung der Koalitionsfreiheit,
die es gestattet, kirchliche Einrichtungen einfach als zweitgrößten Arbeitgeber
der Bundesrepublik zu behandeln. Beide Extrempositionen waren keineswegs
unangefochten. Es gab im Schrifttum warnende Stimmen, die Mittelwege suchten.
Aber die wurden bis dato konsequent überhört.
Die beiden Grundsatzurteile des BAG decken ein breites
Problemspektrum ab. Grundlage des einen BAG-Urteils waren die Klagen der
evangelischen Kirche von Westfalen, der evangelisch-lutherischen Landeskirche
Hannovers, deren diakonische Werke und weiterer diakonischen Einrichtungen
gegen die Gewerkschaft ver.di, die Streiks durchgeführt hatte. In diesem Urteil
finden sich die Aussagen des BAG zum Dritten Weg. Grundlage des Zweiten Urteils
mit dem Schwerpunkt Zweiter Weg war die Klage des Arbeitgeberverbands der
vormaligen nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche gegen den Marburger
Bund, der den Abschluss von Tarifverträgen verlangt hatte. Die Klägerinnen
wendeten sich mit vorbeugenden Unterlassungsklagen gegen befürchtete Aufrufe zu
Streiks in diakonischen Einrichtungen.
Das BAG musste sich auseinandersetzen mit einer umfänglich
geführten verfassungsrechtlichen und kirchenrechtlichen Grundsatzdiskussion. Dabei
geht es um die Frage, ob das in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3
Satz. 1 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften auch
für die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse in kirchlichen Einrichtungen
uneingeschränkten Vorrang hat, oder ob die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte
Koalitionsfreiheit, die ihrerseits vorbehaltlos gilt, den Gewerkschaften
erlaubt, Tarifverträge für kirchliche Einrichtungen auch kampfweise zu
erzwingen.
Der Eindruck eines Sieges bei den Kirchen und der Niederlage
bei den Gewerkschaften beruht darauf, dass das BAG grundsätzlich das Recht der
Kirchen anerkennt, sich für den Dritten Weg zu entscheiden. Es respektiert,
dass die Kirchen für die Regelung der Arbeitsverträge auf das Leitbild der
Dienstgemeinschaft setzen und eine kampfweise Durchsetzung der
Arbeitnehmerinteressen für unvereinbar mit diesem religiös begründeten Leitbild
halten. Nach Ansicht des Gerichts kommt es dabei auch nicht darauf an, ob die
kirchlichen Einrichtungen durch eine spezielle kirchliche Praxis geprägt sind und
welcher Glaubensrichtung die Beschäftigten anhängen. Die Kirche darf Tarifverträge
über die Arbeitsbedingungen grundsätzlich ablehnen und stattdessen ein
kirchenspezifisches konsensorientiertes Regelungsverfahren einführen.
Akzeptiert sie aber Tarifverträge – der Zweite Weg – , so kann sie dennoch verlangen,
dass diese nicht durch Arbeitskämpfe erzwungen werden, vorausgesetzt, dass sie
sich einer generellen und verbindlichen Schlichtungsvereinbarung unterwirft. Zurückgewiesen
wurden damit jene Stimmen in der kirchennahen rechtswissenschaftlichen
Literatur, die meinten, einen Tarifvertrag ohne Streikmöglichkeit – und damit
den Zweiten Weg – könne es keinesfalls geben. Man hörte bei der
Urteilsverkündung das Aufatmen der einen Seite.
Aber auch die Gewerkschaften hatten einen bedeutsamen Erfolg,
der über das Gewinnen in den Einzelverfahren hinausgeht. Im Gegensatz zu
einigen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur stellt das BAG nämlich
fest, dass die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG nicht durch das
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen vollständig verdrängt wird. Vielmehr sieht
es eine Grundrechtskollision und will im Wege praktischer Konkordanz einen schonenden
Ausgleich zwischen diesen beiden Verfassungspositionen erreichen.
Als Folge wird zum einen gefordert, dass sich die
Gewerkschaften auch innerhalb des Dritten Weges koalitionsmäßig betätigen
können. Dazu gehören mindestens das Zugangsrecht für die Gewerkschaften zu den
kirchlichen Einrichtungen und Möglichkeiten zur Mitgliederwerbung.
Zum anderen betont das BAG den verfassungsrechtlichen
Grundgedanken, der hinter dem Schutz der Koalitionsfreiheit und damit der
Arbeitskampffreiheit steht, und leitet aus ihm die Voraussetzungen ab, die ein
verfassungskonformer Dritter Weg erfüllen muss. Auch die Kirchen müssen
anerkennen, dass es einen Interessengegensatz zwischen dem kirchlichen
Arbeitgeber und den Beschäftigten gibt. Wie im Tarifrecht kann dieser Gegensatz
nicht durch „kollektives Betteln“ seitens der Beschäftigten aufgehoben werden.
Der Dritte Weg muss daher gewährleisten, dass es zu einem angemessenen
Ausgleich der Interessen kommt. Das konsensuale Regelungssystem des Dritten
Weges darf die strukturelle Verhandlungsschwäche der Arbeitnehmerseite nicht
ignorieren, sondern muss gleichberechtigte Verhandlungsmöglichkeiten schaffen.
Die Verhandlungsergebnisse müssen von den zuständigen Gremien verbindlich vereinbart
sein, also den Arbeitsverträgen zwingend zugrundegelegt werden.
Diese Maßstäbe führten dazu, dass die Kirche mit ihren
globalen Unterlassungsanträgen vor Gericht gescheitert ist. Denn die praktische
Ausformung des Dritten Weges, wie sie bei den Einrichtungen der Klägerinnen festgestellt
wurde, erfüllt die vom Gericht formulierten Voraussetzungen nicht. Die
kirchlichen Regelungen gewährleisten nicht eine gleichberechtigte
Verhandlungsposition der Beschäftigten, nicht eine völlig neutrale Schlichtung
und auch nicht verbindliche Ergebnisse. Wenn und solange aber der Dritte Weg im
Vergleich zum Tarifrecht mit seinem Prinzip von Druck und Gegendruck keinen angemessenen
Interessenausgleich hervorbringen kann, darf er das gesetzliche Regelungssystem
des Tarifvertrages nicht verdrängen. Arbeitskämpfe der Gewerkschaften können insofern
in kirchlichen Einrichtungen nicht generell ausgeschlossen werden.
Soweit zunächst das, was den Pressemitteilungen und der
mündlichen Verhandlung des BAG am 20. November 2012 zu entnehmen ist. Das BAG
hat allerdings nur die Grundsatzkontroverse entschieden und damit eine neue
Diskussionsebene geschaffen. Viele rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen
sind obsolet geworden. Die Konsequenzen für die Kirchen und die Gewerkschaften
sind zwar ganz erheblich, aber die Grenzlinien zwischen erlaubten und
verbotenen Arbeitskämpfen bei kirchlichen Einrichtungen noch durchaus ungeklärt.
Deshalb irren sich diejenigen, die hier in den Kategorien von Siegern und
Verlierern denken. Für beide Seiten bleibt vielmehr viel zu tun, um auf der
Basis der grundsätzlichen Ausführungen des Gerichts das Konfliktfeld, das schon
so lange schwärt, endlich einer für alle akzeptablen Lösung zuzuführen.
Ich beginne mit den Gewerkschaften, den formalen Siegerinnen
der Urteile insofern, als ihnen ein Streikrecht zur Durchsetzung von
Tarifverträgen durch das Gericht nicht grundsätzlich und allgemein untersagt
wurde. Bedeutet das, dass die Gewerkschaften nun vorläufig immer für den
Abschluss eines Tarifvertrages streiken können? Die Urteile betrafen alles
kirchliche Einrichtungen aus dem Raum der evangelischen Kirche, nicht der
katholischen. Ich habe nicht genug Einblick, um sagen zu können ob es denn
irgendwo kirchliche Einrichtungen gibt, die die Voraussetzungen des BAG bereits
gänzlich erfüllen. Ich habe da Zweifel. Müssen denn nun die Gewerkschaften aber in jedem Fall die konkrete Ausgestaltung
des Dritten Weges für die bestreikte kirchliche Einrichtung prüfen? Wie können
sie überhaupt wissen, welche Defizite jeweils bestehen, auch in Bezug auf die
konkrete Umsetzung von Regelungen, die auf dem Papier als angemessen gelten
könnten? Und welches Gewicht wird jeweils unterschiedlichen Defiziten nach den
neuen Grundsätzen beizumessen sein? Schwierige Fragen für die Gewerkschaft, die
über Streiks zur Durchsetzung der Interessen der Beschäftigten nachdenkt.
Geklärt ist eines: alle kirchlichen Einrichtungen, die den
Dritten Weg beschreiten und Klägerinnen in den nun entschiedenen Verfahren
waren sowie jene, die nach dem gleichen Regelungen arbeiten, dürfen jedenfalls
so lange bestreikt werden, wie sie nicht die Voraussetzungen für angemessene
Verfahrensregelungen für Arbeitskonflikte geschaffen haben. Ein Arbeitskampf gegenüber
anderen kirchlichen Einrichtungen bleibt für die Gewerkschaft auch nach diesem
Urteil allerdings ein Risiko, wenn diese abweichende Konfliktverfahren haben.
Auf der ganz sicheren Seite sind die Gewerkschaften allerdings,
wenn sie eine neue Kampagne zur Mitgliederwerbung starten. Bezeichnend ist,
dass es nach den Streikrechtsurteilen des BAG zu keinem Urteil mehr gekommen
ist, das das Zugangsrecht der Gewerkschaften zu kirchlichen Einrichtungen
klargestellt hätte. Das BAG hatte einen Verhandlungstermin zu dieser
Streitfrage schon auf den 11.12.2012 bestimmt. Das beklagte diakonische Werk hat
den Anspruch aber kurz davor anerkannt. In einem Urteil hätten die
Gewerkschaften zweifellos das Zugangsrecht auch bestätigt bekommen. Das
konkrete Verhalten kirchlicher Einrichtungen gegenüber den Gewerkschaften
dürfte jedenfalls ein wichtiger Test sein. Jetzt muss sich zeigen, ob die
Kirchen endlich kooperationsbereiter sind und sich auf die neuen Grundsätze der
Rechtsprechung konstruktiv einlassen. Auf eine besonders zukunftsträchtige
Möglichkeit für Gewerkschaften und die Kirchen komme ich am Schluss noch
zurück.
Tatsächlich sind nämlich die Konsequenzen der BAG-Urteile
für die Kirchen und ihre Einrichtungen dramatisch. Trotz der Bestätigung des
Dritten Weges können sie sich keineswegs als Gewinnerinnen fühlen. Denn nach dem
Urteil ist eine Generalüberholung des Dritten Weges fällig und, will man sich
weiterhin auch kampfweise durchgesetzten Tarifverträgen entziehen, unabdingbar.
Folgende Einzelfragen sind erkennbar, wobei nicht davon
auszugehen ist, dass in den Entscheidungsgründen der Urteile hierfür bereits
abschließende Hinweise zu erwarten sind.
Der Dritte Weg geht davon aus, dass es eines kampfweisen
Drucks zur angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten nicht
bedarf. Vielmehr soll ein befriedendes und befriedigendes Ergebnis durch das Einigungsverfahren
hergestellt werden. Die Regelungen, die bisher hierfür vorgesehen sind, konnten
das nicht gewährleisten. Sicherlich wird es zu Details weiterhin Streit geben.
Auch die Arbeitsgerichte werden wohl noch den einen oder anderen Punkt klären
müssen. Dazu gehört auch die Frage, welche Zusammenschlüsse von Beschäftigten
der kirchlichen Einrichtungen überhaupt als Gewerkschaft anzusehen sind und das
Recht auf koalitionsmäßige Betätigung aus Art. 9 Abs. 3 GG gegenüber den
kirchlichen Einrichtungen geltend machen können. Es geht um die Frage der
sozialen Mächtigkeit eines solchen Zusammenschlusses, die Voraussetzung für die
Anerkennung als Gewerkschaft ist. Schließlich haben wir in der Bundesrepublik
böse Erfahrungen gemacht, wenn Vereine mit der Behauptung, Gewerkschaft zu
sein, willfährig Vereinbarungen mit Arbeitgebern abschlossen, die deren
Interessen, nicht aber die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedienten.
Das Kriterium, der Zusammenschluss von Beschäftigten sei sozial mächtig, wenn
er im Stande sei, gegenüber dem Arbeitgeber Druck dahingehend auszuüben, die
Interessen der Beschäftigten zu berücksichtigen, ist schwierig, wenn ein
Kampfmittel wie die Streikdrohung für eine Druckausübung gerade nicht erlaubt
ist. Die Anzahl der Mitglieder eines Zusammenschlusses und ihr Anteil an den
Beschäftigten allein sagt nicht genug aus. Denn die Erfahrung hat gelehrt, dass
Gewerkschaften auch mit niedrigem Organisationsgrad dann sozial mächtig und durchsetzungsstark
sind, wenn es ihnen gelingt, dass Nichtmitglieder ihrem Aufruf zu
Kampfmaßnahmen folgen. Die Rechtsordnung erlaubt dies uneingeschränkt.
Gewerkschaften gelingt diese Folgebereitschaft, wenn sie die Interessen der
Beschäftigten zutreffend formulieren und diesen deren Dringlichkeit einleuchtet.
In der Geschichte der Bundesregierung ist die Beteiligung von Nichtmitgliedern
sehr verbreitet und beweist die soziale Mächtigkeit eines Zusammenschlusses von
Beschäftigten. Welche Zusammenschlüssen von Beschäftigten aber bei kirchlichen
Einrichtungen Gewerkschaftsrechte wahrnehmen können, ist noch ungeklärt. Da MAV
Betriebsräten gleichen, können sie und ihre Zusammenschlüsse gewerkschaftliche
Rechte jedenfalls nicht beanspruchen.
Nach meiner Einschätzung kann aber bereits jetzt folgendes
auf der Basis der Urteile festgestellt werden: Die Verbindlichkeit der
Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges muss garantiert werden. Ausnahme- und
Genehmigungsvorbehalte sind damit nicht vereinbar. Die Möglichkeiten der Wahl
zwischen unterschiedlichen Regelungen und der Verweisung auf irgendwo anderweit
abgeschlossene Vereinbarungen müssen beseitigt werden. Gelten dürfen nur
diejenigen Arbeitsrechtsregelungen, die mit denjenigen vereinbart wurden, die
für die Beschäftigten der entsprechenden kirchlichen Einrichtung sprechen
können.
Es muss gewährleistet werden, dass die Gewerkschaften sich
in den kirchlichen Einrichtungen koalitionsmäßig betätigen und in den
Verhandlungsprozess einbringen können. Sicherlich reicht es dafür nicht aus,
wenn einzelne Mitarbeiterverteterinnen oder – vertreter Gewerkschaftsmitglieder
sind. Vorschriften über die Besetzung der Gremien, die über
Arbeitsrechtsregelungen verhandeln, dürfen nicht Quoten und persönliche
Merkmale voraussetzen, die eine Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern
ausschließen.
Können sich die paritätisch besetzten Gremien auf die
Arbeitsrechtsregelungen nicht einigen, muss der Dritte Weg ein Verfahren
vorsehen, das ebenso wie das Tarifvertragssystem ein „kollektives Betteln“ der
Beschäftigten ausschließt. Dazu müssen neutrale Schlichter oder Schiedsgerichte
vorgesehen werden. Deren Besetzung muss allerdings in einer Weise geregelt sein,
dass die Erfolgschance für Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite gleich ist – denn
nur dann entsteht der notwendige Einigungsdruck schon bei den Verhandlungen,
ohne dass jedes Mal das Schiedsgericht auch tatsächlich angerufen werden muss.
Man könnte sich nun fragen, warum die kirchlichen
Einrichtungen bei der Ausgestaltung des Dritten Weges bisher so auffällig von
den Erfordernissen eines angemessen ausgleichenden Verfahrens abgewichen sind,
obwohl die Argumente des BAG doch nahe liegen. Die Berichterstattung zu den
Verhältnissen in kirchlichen Einrichtungen ist seit langem überaus negativ.
Eine Sendung bei Phoenix war außerordentlich kritisch und deren Empörung auch verständlich.
Gezeigt wurden Zustände, die durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse,
Outsourcing, Lohndumping und insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen gegenüber
denen im öffentlichen Dienst gekennzeichnet sind, und das eben nicht nur bei
einigen so genannten schwarzen Schafen. Zur Begründung wird immer wieder darauf
hingewiesen, dass es der Wettbewerbsdruck sei, der zu einem solchen Verhalten
gegenüber Beschäftigten zwinge, obwohl das den Wertvorstellungen der Kirche
eigentlich nicht entspreche, wie einige Kirchenvertreter beschämt einräumen.
Aber keineswegs alle reden so. In der Phoenixsendung wurde ein Pfarrer,
zuständig für ein von der Kirche übernommenes Krankenhaus, besonders deutlich: die
von ihm frisch Outgesourcten würden nunmehr zwar schlechter bezahlt und
behandelt, aber eben nach ihrem Marktwert.
Das ist die Kurzfassung dessen, was man von Leitern kirchlicher Einrichtungen
seit Jahren gehört hat. Kennzeichnend ist zweierlei: zum einen die naive und
unreflektierte Vorstellung von Markt und Preisbildung im Arbeitsverhältnis, die
die Ursachen und Verantwortlichkeiten einfach ausblendet. Zum anderen wird die
Rolle der Kirchen ignoriert, also die gesellschaftliche Wirkung, die sie
erreichen wollen. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es eben nicht immer das
Gleiche. Die Kirchen müssen ihre verfassungsrechtlichen Sonderstellung zumindest
gegenüber der Öffentlichkeit – wenn schon nicht vor Gericht – durch ihre Praxis
legitimieren. Die Menschen meinen ganz einfach: „Wo Kirche draufsteht, muss
auch Kirche drin sein.“
Sicherlich ist in einigen Bereichen, etwa auch der
Altenpflege, der Konkurrenzdruck groß und insgesamt werden im pflegerischen und
erzieherischen Bereich, in dem ja überwiegend Frauen arbeiten, ganz allgemein
die von den Beschäftigten erbrachten Leistungen nicht angemessen honoriert. (Nebenbemerkung:
umso wichtiger ist ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn, der
wenigstens unten eine menschenwürdige Bezahlung absichert. Das von der Union
vorgeschlagene Modell einer Lohnuntergrenze nach Branchen hingegen würde die
ständige ungerechtfertigte Minderbewertung der sozialen Dienstleistungen auch
noch zementieren.) Die Anpassung der kirchlichen Einrichtungen an die schlechte
Praxis in der freien Wirtschaft halte ich aber nicht nur für menschenunwürdig,
sondern auch für kurzsichtig und unangemessen. Qualifizierte und motivierte
Beschäftigte werden die Kirchen so nicht halten können und der Ruf der
kirchlichen Einrichtungen wird nachhaltig beschädigt. Dabei gibt es Auswege,
und dazu zählt gerade derjenige, der bisher so vehement abgelehnt wurde: die
Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.
Ich zeige eine Alternative auf zu jenem beschwerlichen Weg,
den die Kirchen nun nach dem Urteil des BAG gehen müssen, um den Dritten Weg
verfassungsfest zu machen. Beschwerlich ist dieser Weg insbesondere für die
evangelische Kirche und ihre Einrichtungen, weil die Neugestaltung angesichts
der Zersplitterung und der unterschiedlichen Entscheidungsebenen überaus
langwierig ist – von 3-6 Jahren ist die Rede. Die neuen Bedingungen verlangen
umfangreiche Diskussionsprozesse, sie sind schwierig zu formulieren und
umzusetzen. Zweifelsfragen müssten möglicherweise wieder gerichtlich geklärt
werden. Da gibt es lange Unruhe und die ganze Zeit besteht gewerkschaftlicher
Streikdruck, nicht überall, aber häufig genug, um in die Schlagzeilen zu
kommen. Diese problematische Frage könnte aber ganz vernünftig gewendet werden,
zum Nutzen aller, und zwar wirklich aller in der sozialen karitativen
Dienstleistungsbranche, auch zum Nutzen der Beschäftigten dieser Branche
außerhalb der kirchlichen Einrichtungen.
Als größte Arbeitgeberinnen in der Branche könnten die
kirchlichen Einrichtungen einen angemessenen Tarifvertrag mit den
Gewerkschaften abschließen und diesen für allgemein verbindlich erklären
lassen. Eine gute Gelegenheit übrigens für den Gesetzgeber, das überaus
verfehlte Zustimmungserfordernis der Bundesvereinigung Deutscher
Arbeitgeberverbände gleich zu streichen, da diese Allgemeinverbindlicherklärungen
aus ideologischen Gründen gerne widersprechen. Die
Allgemeinverbindlichkeitserklärung hätte zur Folge, dass die entsprechenden
Regelungen im Geltungsbereich des Tarifvertrages (also zum Beispiel der Pflegebranche)
von allen Arbeitgebern, unabhängig von ihrer Tarifbindung, angewandt werden müssten.
Die Unterbietungskonkurrenz bei den Arbeitsbedingungen und Entgelten, auf die
sich die Dienstgeber so gerne berufen, könnte damit unterbunden werden. Das
Fehlen von Schmutzkonkurrenz würde den kirchlichen Einrichtungen erlauben,
wieder eine angemessene Haltung gegenüber Beschäftigten wie auch den ihnen
anvertrauten Kundinnen und Kunden einzunehmen. Es würde sie auch gegenüber den
Kostenträgern stärken.
Hier erweist sich das BAG-Urteil zum Zweiten Weg als
besonders hilfreich. Sollten die Kirchen diesen Weg aus Sorge vor
Arbeitskämpfen vermieden haben, können sie hier künftig ganz beruhigt sein.
Nach der neuen Rechtsprechung wird den Kirchen der Abschluss von Tarifverträgen
auch künftig ohne Streikdruck gewährleistet, wenn sie ein angemessenes
Schlichtungsverfahren vereinbart haben.
Nun könnten Sie mit Blick auf die Möglichkeit allgemein
verbindlicher Tarifverträge fragen, warum denn nicht schon längst die
zuständige Gewerkschaft diesen Weg beschritten und für solche verbindlichen
Tarifregelungen gesorgt hat. Dann wären doch alle Konkurrenten und auch die
kirchlichen Einrichtungen daran gebunden gewesen und Dumpinglöhne zum Beispiel
im Pflegebereich generell unzulässig. Die Antwort ergibt sich aus den
gesetzlichen Voraussetzungen der Allgemeinverbindlichkeit. Ein Tarifvertrag
kann nur dann für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn schon zuvor
mindestens 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von tarifgebundenen
Arbeitgebern entsprechend behandelt wurden. Diese Anwendungsquote ist aber in
keinem Tarifgebiet erreichbar, in dem die Kirchen stark vertreten sind, eben weil
diese sich dem Abschluss von Tarifverträgen verweigern. Das gilt besonders im
Pflegebereich. Man kann also sagen, dass die Kirchen hier nicht nur eine
sozialstaatliche Gestaltungsmöglichkeit für sich selbst ungenutzt gelassen
haben, sie verhinderten damit zugleich, dass andere sie nutzen können. Man kann
nur hoffen, dass die neue Rechtsprechung endlich zu einem Umdenken bei den
Kirchen führt.
Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Überlegung
schließen. Die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit ihrer
Respektierung des Leitbildes der Dienstgemeinschaft bietet den Kirchen die
Chance, unter Wahrung ihrer Grundprinzipien zu einem fairen und
sozialstaatskonformen Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie
zu einer sinnvollen Kooperation mit den Gewerkschaften zu kommen und gleichzeitig
eine bessere Ausgangsposition gegenüber den Kostenträgern zu erlangen. Gelingt
ihnen das nicht und glauben sie auch künftig, nur mit Leiharbeit und
Outsourcing, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen und Niedriglöhnen dem Konkurrenzdruck
standhalten zu können, muss die Frage erlaubt sein, ob die Kirchen sich dann
nicht besser aus diesem Dienstleistungsmarkt zurückziehen sollten. Das wäre für
die Gesellschaft und deren Verhältnis zu den sozialen Dienstleistungen das
richtige Signal, jedenfalls besser, als Einrichtungen zu betreiben, die sich
kirchlich nennen, sich aber praktisch unchristlich verhalten müssen.
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Wir danken Frau Prof. Dr. Heide Pfarr für die freundliche Überlassung ihres Vortrags.
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