Dienstag, 9. August 2016

Kirchliche Sozialkonzerne und ihre Rolle bei der Zersplitterung der Tariflandschaft im Sozialsektor

Kirchliche Sozialkonzerne unterliegen in ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten den gleichen Anforderungen und Gestaltungsbedingungen wie die Sozialkonzerne anderer Leistungsanbieter im Sozialsektor. Die von der Kirche und ihren Verbänden behauptete Besonderheit mit Blick auf corporate identity, Leitbild  und Werteorientierung spielt in der prak­ tischen Marktperformance schon lange keine besondere  Rolle mehr: »structure follows  function«- so hat ein Direktor eines Diözesancari­tasverbandes diese Entwicklung einmal gekennzeichnet (Manderscheid 2005) und die faktische  Entwicklung in der Sozialwirtschaft gibt  ihm Recht. Anstatt  in dieser Situation  das bestehende ordnungspolitische Defizit im Sozialsektor, das Fehlen eines flächendeckenden Branchentarifvertrages, offensiv anzugehen und für dessen Realisierung die Vor aussetzungen zu schaffen, insistieren  die Kirchen und ihre  Verbände mit Verweis auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht darauf, dass in den kirchlichen Sozialkonzernen das Konzept der Dienstgemeinschaft zur Anwendung kommen müsse. Anstatt in Tarifverträgen mit den Ge­werkschaften ein Zeichen dafür zu setzen,dass man der gegenwärtigen Zersplitterung der Tariflandschaft im Sozialsektor entgegen wirken will, werden die Tarife privater Anbieter zum Beweis dafür genommen,dass sich der Dritte Weg bewährt habe.Das in Europa einzigartige Modell einer Sozialwirtschaft, in der Sozi­alkonzerne mit Verweis auf ihren kirchlichen Missionsauftrag Gewerkschaften aus der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen heraushalten können, wird  auf diesem Wege immer  weiter  ausgedehnt  und kirchliche soziale Dienstleistungsanbieter wachsen auf Märkten,in denen weder katholische noch protestantische Milieus eine nennenswerte Rolle spie­len. Mit dem Dritten Weg und dem Konzept der Dienstgemeinschaft ha­ben die kirchlichen Sozialkonzerne in Deutschland  ein Wettbewerbs­ modell  zur Verfügung, das mehrere Fliegen mit  einer  Klappe schlägt: autonome Arbeitsrechtssetzung, Abkoppelung vom öffentlichen Tarif, Marginalisierung gewerkschaftlicher lnteressenvertretung, lnstrumen­talisierung der Glaubensgemeinschaft. Gegenwärtig bläst diesem Geschäftsmodell der Wind ins Gesicht und dies führt zu dem paradoxen Ergebnis,dass nicht dessen Absurdität kritisiert und die Ergebnisse kor­rigiert werden, sondern seine Unabdingbarkeit normativ festgeschrie­ ben werden  soll. Die Widersprüche in der kirchlichen Sozialwirtschaft werden dadurch allerdings nicht geringer.

Schlusspassage aus Norbert Wohlfahrt, Die christlichen Wohlfahrtverbände - Anspruch und Wirklichkeit, in Brirske/Pasche/Schuckart-Witsch: Streiks in Gottes Häusern, Hamburg 2013, S. 45f


1 Kommentar:

  1. das ist doch durch die neue Grundordnung überholt - gewinnorientierte Einrichtungen wie z.B. die Unternehmer der ACU aber sicher auch die meisten sonstigen Caritas-Betriebe unterliegen demnach nicht mehr der Grundordnung und dem kirchlichen Arbeitsrecht.
    Das müsste nur offensiver angegangen werden, mit der Gründung von Betriebs- oder Personalräten anstelle der in den Mitbestimmungsrechten kastrieren MAV

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