Mittwoch, 3. August 2016

Warum fehlt es der katholischen Soziallehre trotz ihres überzeugenden Wahrheitsgehalts an Glaubwürdigkeit?

"Warum fehlt es der  katholischen  Soziallehre  trotz   ihres  überzeugenden  Wahrheitsgehalts an Glaubwürdigkeit? Die Welt fragt, ob die Taten den Worten entsprechen. Und  da  liegt - Gott  sei es geklagt - die entscheidende Schwäche der  katholischen  Soziallehre;  allzuweit   bleiben  die  Taten hinter den Worten zurück, nicht selten widersprechen sie ihnen gerade­ zu. Nicht nur in breitesten Kreisen des Kirchenvolkes, sondern gerade auch  im  Klerus  und  in  den  religiösen  Orden   und  Kongregationen herrscht vielfach ein erschreckender Mangel an  sozialem  Verantwort­ungsbewußtsein, und es wird gar nicht selten ein Beispiel sozialen oder richtiger gesagt asozialen  Verhaltens  gegeben, das  unsere Soziallehre zu heuchlerischem Geschwätz abwertet.
Nur ein Beispiel. Unsere Sozial­lehre lobt und empfiehlt die Gewerkschaften. Aber wehe den jungen Mädchen, die als Angestellte klösterlicher Anstalten  sich einfallen lie­ ßen, sich gewerkschaftlich zu organisieren oder  auch nur sich bei der Gewerkschaft nach den ihnen zustehenden Rechten zu erkundigen, geschweige denn sich auf die Gewerkschaft zu stützen, um sie durchzu­ setzen! Daß  in dieser Hinsicht  nicht nur  mütterliche Oberinnen,  son­dern auch väterliche Ordinariatsräte gegenüber männlichen Laienkräften  im kirchlichen Dienst fehlen, dafür  brachte die Gewerkschaftspresse gerade vor einigen Tagen ein instruktives  Beispiel.* Die Kritik ist im denkbar vornehmsten Ton gehalten; um so ernster sollte man sie nehmen. Als vor zwanzig Jahren das jüngst novellierte Betriebsverfassungsgesetz zur Verabschiedung anstand,  hat die Kirche - oder haben die Kirchen - sich für  die  Freistellung  der  sogenannten  Tendenzbetriebe eingesetzt und erklärt,  in ihren Betrieben würden sie der Personalvertretung noch weitergehende Rechte einräumen;  um die dreißig­jährige Verjährungsfrist  zu unterbrechen, bringe ich dieses Versprechenhier in Erinnerung!
*Welt der Arbeit, Nr. 9, vom 3. März 1972, Seite 3"



Quelle:
Oswald von Nell-Breuning, Wie sozial ist die Kirche, Düsseldorf 1972, S. 92

Zugegebenen ein alter Text. Wieweit er veraltet ist, mag jeder selber sehen.

1 Kommentar:

  1. Ist doch logisch: wer in der Lehre das "hohe Lied der Gewerkschaften" verkündet, in der Praxis aber alles mögliche tut, um selbst mit Gewerkschaft im eigenen Betrieb nichts zu tun zu haben, ist durch und durch unglaubwürdig. Und das nicht nur bei diesem Thema.

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