Ein ungewöhnliches Bündnis
In
Baden-Württemberg wollen sich ver.di, Diakonie und Caritas für eine
vollständige Refinanzierung der Tariflöhne im Sozialwesen
einsetzen. Dieses gemeinsame Ziel verfolgt ein am 8. Dezember in
Stuttgart gegründetes Bündnis. „Tarife, insbesondere Flächentarife
dürfen kein Wettbewerbsnachteil sein“, heißt es in dessen
Gründungserklärung. „Daraus entstehende, nachgewiesene Personalkosten
müssen refinanziert werden, um attraktive Arbeitsplätze zu erhalten und
vor allem denjenigen, die Hilfe benötigen, diese in hoher Qualität
zukommen zu lassen.“
Eine Abkehr vom „Dritten Weg“ kircheninterner Lohnfindung ist es noch nicht. Zumindest aber haben sich die Spitzenverbände von Diakonie und Caritas in Baden-Württemberg dazu verpflichtet, zusammen mit ver.di für eine auskömmliche Refinanzierung sozialer Dienstleistungen zu streiten – und zwar inklusive der Tarifsteigerungen. Die Politik müsse entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, so die gemeinsame Forderung.
„Statt
über die Qualität, die Konzepte und die Angebotsvielfalt wird der
Wettbewerb in der Sozialwirtschaft heute nahezu ausschließlich
über die Lohnkosten geführt“, kritisierte Oberkirchenrat Urs Keller,
Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Baden, bei der
Pressekonferenz. Es sei ein „unhaltbarer Zustand“, dass die Kassen eine
tarifliche Bezahlung vielfach nicht anerkennen. In der
ambulanten Altenhilfe in Baden-Württemberg gebe es Einheitspreise. Das
bedeute, dass die an die Arbeitsvertragsrichtlinien gebundene Vergütung
mit höherem Personalkostenanteil ein wirtschaftlicher Nachteil sei,
erklärte Keller. In den vergangenen zehn Jahren
sind die Tarifsteigerungen den Angaben zufolge um bis zu zehn
Prozentpunkte stärker gestiegen als die Zahlungen der Kassen. Diese
Deckungslücke führt in vielen Einrichtungen zu finanziellen Problemen.
Davon
profitieren vor allem die privaten Träger, die im ambulanten Bereich
fast 30 Prozent der Pflegebedürftigen im Südwesten betreuen.
Auch bei Krankenhäusern und in der stationären Pflege steige der Anteil
gewinnorientierter Betreiber, die insbesondere in den unteren
Lohngruppen deutlich schlechter bezahlten, ergänzte Rainer Brockhoff,
Caritasdirektor der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er
berichtete, dass die Kostenträger – insbesondere die AOK – bei den
Pflegesatzverhandlungen immer wieder auf die niedrigeren Ausgaben
tarifloser Einrichtungen verweisen. Die Versicherungen seien
„aufgefordert, endlich Vernunft anzunehmen, und sich von der Förderung
des Lohnkostenwettbewerbs zu verabschieden“, forderte Brockhoff.
Andernfalls leide das Image der sozialen Berufe. „Da kann man noch so
viele Kampagnen machen – es entsteht der Eindruck, soziale Berufe seien
weniger wert als andere Berufe, etwa in der Metall-
und Elektroindustrie.“
ver.di-Landesbezirksleiterin
Leni Breymaier verwies darauf, dass die ungenügende Refinanzierung von
Tarifsteigerungen auch zu Lasten
der Arbeitsbedingungen und der Versorgungsqualität geht. Denn die
Einrichtungen reagierten darauf mit Personalabbau und der Ausweitung
flexibler Teilzeitarbeit. So sei 2011 in der ambulanten Pflege lediglich
jeder fünfte Arbeitsplatz eine Vollzeitstelle gewesen.
Vielfach würden nur noch Teilzeitstellen angeboten. „Eine
Pflegehelferin mit einer 70-Prozent-Stelle verdient dann noch brutto
1.440 Euro – davon kann der Mensch nicht richtig leben“, betonte die
Gewerkschafterin. Altersarmut sei eine der Folgen.
Zur
Gründung des Bündnisses sagte Breymaier: „Ich finde es großartig, dass
wir es geschafft haben, uns an einen Tisch zu setzen
und gemeinsam auf das Problem fehlender Refinanzierung der
Personalkosten hinzuweisen.“ Auch Brockhoff betonte, er habe sich als
Vertreter der Dienstgeber bei der Caritas „lange nicht träumen lassen,
Seite an Seite mit ver.di nicht nur um sozialpolitische,
sondern sogar um tarifpolitische Dinge zu kämpfen“. Die Dramatik der
Situation verlange dies aber.
Der
Caritas-Funktionär stellte klar, dass es trotz aller Gemeinsamkeiten
mit ver.di weiterhin Meinungsverschiedenheiten zum „Dritten
Weg“ gebe. Das sei ja auch Gegenstand bundesweiter
Auseinandersetzungen. „Wenn wir durch das Bundesverfassungsgericht
gezwungen würden, aus dem Dritten Weg herauszugehen, dann wäre es mir
immer noch wesentlich lieber, mit ver.di auf dem Zweiten Weg zu gehen
als überhaupt keine Flächentarife zu haben“, erklärte Brockhoff.
ver.di-Landesfachbereichsleiterin
Irene Gölz betonte am Rande der Pressekonferenz, die Gewerkschaft halte
am Ziel regulärer Tarifverträge
auch in kirchlichen Betrieben fest. „Am besten wäre ein einheitlicher
Tarifvertrag, der für alle sozialen Einrichtungen allgemeinverbindlich
ist.“ Doch das sei noch Zukunftsmusik. „Jetzt haben wir erstmal ein
Bündnis, das die gemeinsame Forderung nach einer
vollen Refinanzierung der Tarifsteigerungen in die Öffentlichkeit trägt
und von der Politik die Rahmenbedingungen dafür fordert – das ist ein
erster wichtiger Schritt.“--
(Bericht von Daniel Behruzi, freier Journalist, Frankfurt/Main für ver.di "drei")
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