Donnerstag, 11. Dezember 2014

Ein ungewöhnliches Bündnis - In Baden-Württemberg wollen sich ver.di, Diakonie und Caritas für eine vollständige Refinanzierung der Tariflöhne im Sozialwesen einsetzen.

Ein ungewöhnliches Bündnis
In Baden-Württemberg wollen sich ver.di, Diakonie und Caritas für eine vollständige Refinanzierung der Tariflöhne im Sozialwesen einsetzen. Dieses gemeinsame Ziel verfolgt ein am 8. Dezember in Stuttgart gegründetes Bündnis. „Tarife, insbesondere Flächentarife dürfen kein Wettbewerbsnachteil sein“, heißt es in dessen Gründungserklärung. „Daraus entstehende, nachgewiesene Personalkosten müssen refinanziert werden, um attraktive Arbeitsplätze zu erhalten und vor allem denjenigen, die Hilfe benötigen, diese in hoher Qualität zukommen zu lassen.“

Eine Abkehr vom „Dritten Weg“ kircheninterner Lohnfindung ist es noch nicht. Zumindest aber haben sich die Spitzenverbände von Diakonie und Caritas in Baden-Württemberg dazu verpflichtet, zusammen mit ver.di für eine auskömmliche Refinanzierung sozialer Dienstleistungen zu streiten – und zwar inklusive der Tarifsteigerungen. Die Politik müsse entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, so die gemeinsame Forderung.
„Statt über die Qualität, die Konzepte und die Angebotsvielfalt wird der Wettbewerb in der Sozialwirtschaft heute nahezu ausschließlich über die Lohnkosten geführt“, kritisierte Oberkirchenrat Urs Keller, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Baden, bei der Pressekonferenz. Es sei ein „unhaltbarer Zustand“, dass die Kassen eine tarifliche Bezahlung vielfach nicht anerkennen. In der ambulanten Altenhilfe in Baden-Württemberg gebe es Einheitspreise. Das bedeute, dass die an die Arbeitsvertragsrichtlinien gebundene Vergütung mit höherem Personalkostenanteil ein wirtschaftlicher Nachteil sei, erklärte Keller. In den vergangenen zehn Jahren sind die Tarifsteigerungen den Angaben zufolge um bis zu zehn Prozentpunkte stärker gestiegen als die Zahlungen der Kassen. Diese Deckungslücke führt in vielen Einrichtungen zu finanziellen Problemen.
Davon profitieren vor allem die privaten Träger, die im ambulanten Bereich fast 30 Prozent der Pflegebedürftigen im Südwesten betreuen. Auch bei Krankenhäusern und in der stationären Pflege steige der Anteil gewinnorientierter Betreiber, die insbesondere in den unteren Lohngruppen deutlich schlechter bezahlten, ergänzte Rainer Brockhoff, Caritasdirektor der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er berichtete, dass die Kostenträger – insbesondere die AOK – bei den Pflegesatzverhandlungen immer wieder auf die niedrigeren Ausgaben tarifloser Einrichtungen verweisen. Die Versicherungen seien „aufgefordert, endlich Vernunft anzunehmen, und sich von der Förderung des Lohnkostenwettbewerbs zu verabschieden“, forderte Brockhoff. Andernfalls leide das Image der sozialen Berufe. „Da kann man noch so viele Kampagnen machen – es entsteht der Eindruck, soziale Berufe seien weniger wert als andere Berufe, etwa in der Metall- und Elektroindustrie.“
ver.di-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier verwies darauf, dass die ungenügende Refinanzierung von Tarifsteigerungen auch zu Lasten der Arbeitsbedingungen und der Versorgungsqualität geht. Denn die Einrichtungen reagierten darauf mit Personalabbau und der Ausweitung flexibler Teilzeitarbeit. So sei 2011 in der ambulanten Pflege lediglich jeder fünfte Arbeitsplatz eine Vollzeitstelle gewesen. Vielfach würden nur noch Teilzeitstellen angeboten. „Eine Pflegehelferin mit einer 70-Prozent-Stelle verdient dann noch brutto 1.440 Euro – davon kann der Mensch nicht richtig leben“, betonte die Gewerkschafterin. Altersarmut sei eine der Folgen.
Zur Gründung des Bündnisses sagte Breymaier: „Ich finde es großartig, dass wir es geschafft haben, uns an einen Tisch zu setzen und gemeinsam auf das Problem fehlender Refinanzierung der Personalkosten hinzuweisen.“ Auch Brockhoff betonte, er habe sich als Vertreter der Dienstgeber bei der Caritas „lange nicht träumen lassen, Seite an Seite mit ver.di nicht nur um sozialpolitische, sondern sogar um tarifpolitische Dinge zu kämpfen“. Die Dramatik der Situation verlange dies aber.
Der Caritas-Funktionär stellte klar, dass es trotz aller Gemeinsamkeiten mit ver.di weiterhin Meinungsverschiedenheiten zum „Dritten Weg“ gebe. Das sei ja auch Gegenstand bundesweiter Auseinandersetzungen. „Wenn wir durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen würden, aus dem Dritten Weg herauszugehen, dann wäre es mir immer noch wesentlich lieber, mit ver.di auf dem Zweiten Weg zu gehen als überhaupt keine Flächentarife zu haben“, erklärte Brockhoff.
ver.di-Landesfachbereichsleiterin Irene Gölz betonte am Rande der Pressekonferenz, die Gewerkschaft halte am Ziel regulärer Tarifverträge auch in kirchlichen Betrieben fest. „Am besten wäre ein einheitlicher Tarifvertrag, der für alle sozialen Einrichtungen allgemeinverbindlich ist.“ Doch das sei noch Zukunftsmusik. „Jetzt haben wir erstmal ein Bündnis, das die gemeinsame Forderung nach einer vollen Refinanzierung der Tarifsteigerungen in die Öffentlichkeit trägt und von der Politik die Rahmenbedingungen dafür fordert – das ist ein erster wichtiger Schritt.“--
(Bericht von Daniel Behruzi, freier Journalist, Frankfurt/Main für ver.di "drei")


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