Samstag, 23. Juli 2022

Kirchen als Staat im Staat?

Unter der Überschrift "Was eigenes – Wochenrückblick KW 28/2022" greift der Blog "Artikel 91" wieder einmal ein staatskirchenrechtliches Thema auf:
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Die EU hat für vieles, was Religionsgemeinschaften tun, keine Regelungskompetenz, das kirchliche Datenschutzrecht agiert in diesem Bereich also auf Grundlage des deutschen Staatskirchenrecht mit entsprechend größeren Freiheiten. Folgt man dieser Rechtsauffassung (in diese Richtung argumentiert auch Gernot Sydow), eröffnete das sehr interessante Gestaltungsmöglichkeiten:
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Im Endeffekt läuft es immer auf die gleiche Argumentation hinaus. Kirchen behaupten, sie hätten ein Umfassendes "Selbstbestimmungsrecht". Und weil christliche Kirchen von der Zeugung bis zur Totenruhe das gesamte menschliche Leben umfassend bestimmen wollen, wird daraus dann der Anspruch abgeleitet, dieses behauptete Selbstbestimmungsrecht einzuführen.
Ein Blick in die verfassungsrechtliche Grundlage lässt daran Zweifel aufkommen. Denn in der entsprechenden Norm steht nichts von "Selbstbestimmung". Da steht was von "Selbstordnung" und "Selbstverwaltung". Das ist etwas anderes. Selbstordnung betrifft die Organisation, und Selbstverwaltung ist gerade im historischen Kontext der Normentstehung nichts anderes als die eigene Verwaltung des eigenen Vermögens - was noch zu Zeiten der preußíschen Staatskirche nicht selbstverständlich war. Dazu kommt dann auch noch die Beschränkung auf die "eigenen Angelegenheiten" (also schon nicht mehr die res mixta, die kirchlichen und staatlichen Rechtskreis umfassen) und die Bindung an das "für alle geltende Gesetz".
Wir müssen aber gar nicht so weit gehen, eine historische Exegese der Normentstehung vorzunehmen. Nach staatlichem Usus ist die "historische Interpretation" ohnehin die unwichtigste aller Interpretationsmethoden.
Wir können uns auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.1965 - 1 BvR 413/60 beziehen:
Das Grundgesetz verbietet dem Staat einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die keiner Religionsgesellschaft (gemeint ist dieser Religionsgemeinschaft nicht) angehören.
steht da schon im Leitsatz der Entscheidung. Und in der Urteilsbegrünund (Rd.Nr. 44 der Entscheidung) wird unmissverständlich ausgeführt:
Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse (vgl. auch BVerfGE 12, 1 [4]; 18, 385 [386]; BVerfG NJW 1965, 1427 f.). Aus dieser Pflicht zur religiösen und konfessionellen Neutralität folgt, daß der Staat einer Religionsgesellschaft keine Hoheitsbefugnisse gegenüber Personen verleihen darf, die ihr nicht angehören.
Das hat zumindest die katholische Kirche auch anerkannt - denn unter anderem im (immer noch geltenden) Reichtskonkordat ist zuvorderst geregelt, dass lediglich eine "Rechtsetzungsbefugnis für die Mitglieder der Kirche" besteht.
Woher kommt dann die behauptete umfassende Rechtsetzungsbefugnis für Nichtkatholiken und sogar Nichtchristen, die kirchlicherseits zumindest im Arbeitsrecht und zunehmend auch im Datenschutzrecht beansprucht wird? Kennen die maßgeblichen Juristen das Reichskonkordat und die entscheidende Rechtsprechung nicht? Oder wollen diese Rechtfertigungsjuristen das alles nicht kennen?

In anderem Kontext hat jetzt der Kölner Juraprofessor Stephan Rixen (Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Staatsrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht und, damit verbunden, Direktor des Instituts für Staatsrecht) die den Kirchen gewährte Handlungsfreiheit kritisiert *):
Der Rechtsstaat akzeptiere "bedenkenlos die quasi-autokratische Binnenstruktur der katholischen Kirche. Gewaltenteilung ist hier ein Fremdwort", schreibt Rixen im "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch).
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Was "unabhängig" bedeute, bestimme der jeweilige Bischof nach eigenem, unüberprüfbarem Ermessen, so der Jurist.
(das zitiert jetzt nicht irgendeine atheistische Kirchenhasser-Broschüre sondern "katholisch.de" - vgl. auch "Kölner Stadtanzeiger").

Wir haben ja diesen Ansatz der angeblichen "Unabhängigkeit" kirchlicher Institutionen schon selbst mehrfach (z.B. hier oder auch hier und hier) hinterfragt. Aber das alles ist eine schlicht Machtfrage. Solange die Bischöfe nichts von dieser Macht abgeben können oder wollen - und solange "die Politik" die Bischöfe gewähren lässt -, solange bleibt nur die "Selbsthilfe" der vom Unrecht Betroffenen (nicht der vom System profitierenden Funktionäre).


*)
Rixen befindet sich da nicht alleine auf weiter Flur. So hat sich auch der Kölner Landgerichtspräsident Roland Ketterle für eine staatliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche ausgesprochen. "Dass die Institution, aus der ein Täter kommt, anhand ihrer eigenen Akten ermittelt, sodann den Richter stellt und auch noch über die Entschädigung mitbestimmt – einen solchen 'In-sich-Prozess' gibt es in der staatlichen Ordnung nicht"
(Quelle: katholisch.de m.w.N.)

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