Montag, 19. September 2016

Wie kirchlich ist die Caritas? Spiritualität als Ressource für eine dienende Kirche ....

Gerade rechtzeitig zum Jubiläum der "Freiburger Konzerthausrede" ist unter dem Titel "Spiritualität als Ressource für eine dienende Kirche" eine Untersuchung veröffentlicht worden, die der Caritas-Verband Würzburg im letzten Jahr von den Freiburger Religionssoziologen Lucia Segler und Michael Ebertz 1) durchführen lies. Diese „Würzburg-Studie“ wurde im Echter Verlag veröffentlicht (ISBN 978-3-429-03994-3). Im Buch wird auf Seite 238 dargestellt, welche Ausbau- und Reduktionswerte für verschiedene Dinge von den Mitarbeitern gewünscht werden.
Vier Merkmale (Ausbauwerte) liegen über 50 %; gewünscht wird:
+ "dass Mitarbeiter gerecht entlohnt werden" wünschen 80 % der Beschäftigten (das ist der höchst Ausbauwert in der Studie überhaupt!)
+ Zeit für Klienten -> 65 %
+ fachlich-menschliche Qualität -> 58 %
+ Wertschätzung der Mitarbeiter -> 52 %


Die Wünsche zeigen "Fehlendes" auf. Und das sind so ziemlich genau die Dinge, die auch in der gesamten Branche genannt werden, und in denen ver.di versucht, Verbesserungen zu erreichen. Das Thema "Zeit für die Klienten" ist etwa seit Jahren als "Pflegenotstand" gebrandmarkt.
Nun sind auch die Geschäftsführer der Caritas-Einrichtungen auf die Refinanzierung angewiesen, wenn die Situation verbessert werden soll. Genau da aber "hakt" es, weil der Staat die sozialen Dienste, die er leisten muss, nicht mehr zum "Selbstkostenpreis" finanziert, sondern beim "Günstigstbieter" einkauft. Dieser "Preis" wird dann für die Refinanzierung aller Anbieter zugrunde gelegt. Und weil im Dienstleistungsbereich die Gestehungskosten weit überwiegend von den Lohnkosten bestimmt werden, sind die Anbieter im Vorteil, die Armutslöhne zahlen. Früher nannte man das "Schmutzkonkurrenz". Eine Abhilfe kann nur über allgemein verbindliche Regelungen geschaffen werden - und dazu werden auch die Einrichtungen der Caritas benötigt, die sich aus ideologischen Gründen ("Dritter Weg") einer Kooperation mit ver.di verweigern.

Reduzierungswünsche (zwischen 30 und 50 %) gibt es für die Erwartungen:
- arbeiten nur aus religiöser Überzeugung
- alle gläubig
- privat kirchlich leben (kna: Nicht einmal jeder Fünfte sieht die Kirche im Recht, Verhaltensregeln vorzugeben).
Die "Kirchlichkeit" steht bei den Caritas-Beschäftigten also gegenüber den Bedürfnissen für sich und die Betreuten "deutlich hinten dran." Die Kirchlichkeit wird von den eigenen Sorgen (gerechte Entlohnung) und der Not der Klienten überlagert.
Mit anderen Worten: Kirchlichkeit kann sich erst ausprägen, wenn diese Sorgen bewältigt werden. Die Weigerung, allgemein verbindliche Regelungen mit ver.di zu schaffen, schadet der Caritas auch in dieser Hinsicht.

Die Untersuchung bestätigt also die Schlussfolgerung von Papst Benedikt in seiner "Freiburger Konzerthausrede" 2).
Wie man die Dinge "schön reden" kann, beweist dagegen ein (von T. Schwendele im MAV-Forum verbreitetes) Interview mit der kna (siehe auch katholisch.de). Zur Untersuchung gibt es auch einen Beitrag in der Mainpost.

1)
Michael N. Ebertz, Dr. rer. soc., Dr. theol., ist Professor an der Katholischen Hochschule in Freiburg. Forschungsschwerpunkte in der Religions-, Christentums- und Pastoralsoziologie.
Lucia Segler, Pädagogin und Sozialarbeiterin, ist Akademische Mitarbeiterin am Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) an der Katholischen Hochschule in Freiburg. Freiberufliche Tätigkeit als systemische Beraterin und Coach.

2)
Siehe auch:
Papst Benedikt und Deutschland I: 10 Jahre Abschiedsansprache am Flughafen Erding
Sonntagsnotizen: "Letzte Gespräche"

Prekäre Formen der Erwerbsarbeit bestimmen mehr und mehr auch die "Beschäftigungspolitik" kirchlicher Einrichtungen ...
Kirchliche Sozialkonzerne und ihre Rolle bei der Zersplitterung der Tariflandschaft im Sozialsektor

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