Sonntag, 25. September 2016

Sonntagsnotizen: "Caritas am Scheideweg"

Wir haben schon darauf hingewiesen: im Echter Verlag wurde eine "Würzburg-Studie" veröffentlicht (ISBN 978-3-429-03994-3), die sich intensiv und wissenschaftlich fundiert aufgrund einer repräsentativen Befragung von über zweitausendzweihundert der rund siebzehntausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bistum mit den "spirituellen Quellen der Caritas" befasst. "Die Ergebnisse, die in anderen Diözesen Deutschlands ähnlich ausfallen dürften" (Vorwort der Autoren zur Studie, S. 18) werden mit intensiverem Studium immer deutlicher. Es steht zu vermuten, dass sich auch die deutschen Bischöfe in ihrer diesjährigen Herbsttagung in Fulda (im Rahmen des Caritas-Studientages?) mit der Studie befasst haben.
Selbstkritisch stellte Kardinal Woelki fest, dass es für die Bischofskonferenz nicht ausreiche, Dienstgeber eines guten und effektiven Wohlfahrtsverbandes zu sein. Die Verantwortung der Bischöfe gehe darüber hinaus ...
Quelle: Pressebericht Herbstvollversammlung Fulda 2016
Und wenn die Bischöfe "ihren Job ernst nehmen", dann werden sie sich auch weiterhin mit dieser fundierten Analyse auseinandersetzen - genauso, wie auch wir immer wieder auf die Studie zurück kommen werden.
Die Studie zeigt mehr als deutlich (für manche vielleicht erschreckend) auf, in welchem Spannungsfeld sich der "kirchliche Sozialkonzern Caritas" bewegt.

Einige dieser Punkte möchten wir kurz ansprechen:
- kirchliche Dienstgemeinschaft als "blinde Gefolgschaft" (S. 22 mit Anmerkung 11 unter Bezug auf einen "ursprünglich braunen Begriff"),
- Dienstgemeinschaft als "spirituelle Orientierung", die "selten konstant bleibt bzw. von Fluktuation geprägt ist (S. 238),
- Caritas als Unternehmen in der "Logik des Marktes" (S. 244 mit Anm. 218 unter Bezug auf das Leitbild des Deutschen Caritasverbandes),
- die dann auch Armutslöhne zur Folge hat
...

Es wäre für die Beschäftigten wie auch für die Glaubwürdigkeit der Kirche fatal, wenn eine "religiöse Begründung" als Grundlage für die Forderung nach "blinder Gefolgschaft" für Unternehmensentscheidungen einer Einrichtung verwendet werden würde. Ein solcher Missbrauch wäre zwar systemimmanent angelegt, und es soll durchaus entsprechende Einrichtungen geben, in denen diese Art der Symbiose verwirklicht wird - aber:

Fakt ist - diese Vorstellungen gleichzeitig zu verwirklichen grenzt ohne eine solche Pervertierung an die "Quadratur des Kreises". Es sind in letzter Konsequenz konträre Vorstellungen, die sich widersprechen und nicht "unter einen Hut zu bringen" sind.
"Normatives Proprium und faktisches Proprium, normative und faktische Identität, können (nicht nur) mehr oder weniger auseinanderklaffen"
(Studie S. 22 f).
Ich habe den Eindruck, mit dem Begriff "können" ist es nicht getan. Die ideellen Zielvorstellungen und die aus der "Logik des Marktes" zwangsläufig entwickelte Praxis klaffen auseinander - und zwar zunehmend, je mehr die Caritas wächst, je größer "die Marktanteile" sind.
"Die Zahl der kirchlichen Mitarbeiter ist beinahe in dem Maß gestiegen, in dem die Zahl der Gläubigen abgenommen hat."
(Bischof Voderholzer, Interview mit "katholisch.de")
(vgl. Sonntagsnotizen: "Der Dritte Weg als Wettbewerbsvorteil")

Die Caritas "verweltlicht", denn mit dem Wachstum geht zwangsläufig ein Anwachsen der ganz normalen Organisations- und Wirtschaftskonflikte im "Unternehmen Caritas" einher.
Das heißt nun nicht, dass die Caritas, die caritative Tätigkeit der Kirche reduziert und anderen überlassen werden soll. "Deus caritas est" wie Benedikt XVI. feststellte. Die "Verweltlichung" der Caritas führt aber - schleichend - zum gleichen Ergebnis wie es ein Verzicht der Kirche auf caritatives Engagement wäre.
Die Lösung der Problematik liegt in der richtig verstandenen "Entweltlichung", die Benedikt in seiner Freiburger Konzerthausrede anmahnte und in den "letzten Gesprächen" konkretisierte. Wenn sich die Caritas der "Logik des Marktes" unterwirft, dann muss sie zwangsläufig auch die Regularien des Marktes akzeptieren. Und dazu gehört das "Mitwirken auf allen Ebenen" (Mater et magitra, 97) auch als Mittel gegen den Lohnkostenwettbewerb der sozialen Dienste.
Die Bischöfe haben mit der Neufassung der Grundordnung zum 1. August 2015 das ihre getan, um der Caritas diesen Schritt zu ermöglichen. Denn damit unterliegen nahezu alle Einrichtungen der verbandlichen Caritas nicht mehr der Grundordnung.
Die frühere uneigennützige Tätigkeit von caritativen Ordensgemeinschaften ist spätestens seit der Änderung der Refinanzierung und dem Wegfall des "Selbstkostenprinzips" bei allen Einrichtungen dem "Wirtschaften" gewichen. Jede Einrichtung versucht Einnahmen zu generieren und "gut zu wirtschaften".
Und "gut wirtschaften" verlangt auch mehr als die "schwarze Null". Aus den laufenden Erträgen - egal woher diese stammen, ob aus den Sozialkassen des Staates oder aus privaten (Zu-)Zahlungen - müssen Rücklagen für Liquiditätsschwankungen und für spätere Investitionen gebildet werden. Jede Einrichtung der Caritas muss also nicht nur Erträge, sondern ein Mindestmaß an Gewinn erzielen. Damit ist aber auch jede Einrichtung der Caritas ... konsequent "gewinnorientiert". Auf die Höhe der Gewinnmarge kann es nicht ankommen - und auch nicht darauf, ob Gewinne "angesammelt" oder (z.B. über einen Einrichtungsverbund) anderen Einrichtungen übertragen oder an Gesellschafter (z.B. ein Mutterhaus) "ausgeschüttet" werden. Kirchliche Einrichtungen, die ausschließlich und gewollt "defizitär und uneigennützig" arbeiten, dürften allenfalls einen Bruchteil der Caritas umfassen.

siehe auch unsere Blogbeiträge:
Wie kirchlich ist die Caritas? Spiritualität als Ressource für eine dienende Kirche ....
Papst Benedikt und Deutschland II: 5 Jahre Freiburger Appell
Sonntagsnotizen: "Letzte Gespräche"
Seit heute gilt in den meisten deutschen Bistümern eine neue Grundordnung
"Die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft ist ohne starke Gewerkschaften nicht denkbar"

1 Kommentar:




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