Der vermeintliche Triumph der Kirche im Fall Egenberger vor dem Bundesverfassungsgericht ist in Wahrheit ein Pyrrhussieg: denn der Preis dafür ist eine deutlich engere Kontrolle durch staatliche Gerichte.
Je mehr wir das Urteil studieren (unsere erste Analyse findet sich hier), desto mehr kommen wir zur Überzeugung, dass diese Analyse der Entscheidung den Kerrn trifft - absolut:
Im Fall Egenberger hat das Bundesverfassungsgericht nach sechs Jahren über die Verfassungsbeschwerde des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung entschieden. Die Diakonie hatte das Urteil des Bundesarbeitsgerichts angefochten, das der konfessionsfreien abgelehnten Bewerberin Vera Egenberger eine Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen hatte. Zuvor hatte das Bundesarbeitsgericht den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Zwar hatte die Diakonie mit ihrer Verfassungsbeschwerde Erfolg, sodass das Bundesarbeitsgericht den Fall erneut verhandeln muss. Ihr eigentliches Ziel jedoch – die ihrer Ansicht nach das kirchliche Selbstverwaltungsrecht übermäßig einschränkende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu kippen – ist verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich vielmehr ausdrücklich als an das Unionsrecht "in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union" gebunden erklärt, wie der Staatsrechtler und Beirat des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) Bodo Pieroth gegenüber dem ifw erläuterte.
Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht und seinen Grenzen vollumfänglich bestätigt. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde lediglich aufgehoben, weil das Bundesverfassungsgericht eine fehlerhafte Gesamtabwägung zwischen den Rechten der Arbeitnehmerin und der Religionsfreiheit der Kirchen beanstandete. Damit steht dem Bundesarbeitsgericht nun eine Neuverhandlung bevor – bei der es, unter Beachtung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben, durchaus erneut zu dem Schluss kommen könnte, der Klägerin eine Entschädigung zuzusprechen.
Die Freude der evangelischen und katholischen Kirche über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist daher wenig nachvollziehbar. Denn, wie es die ifw-Beirätin und ehemalige Richterin am Bundesarbeitsgericht Ulrike Brune treffend formuliert: "Bei näherem Zusehen ist es ein Eigentor für die Kirchen: Anders als bisher müssen sie nun Gründe dafür angeben, wenn sie besondere Loyalitätsforderungen an Arbeitnehmer stellen. Religionszugehörigkeit dürfen sie nur verlangen, wenn die betreffende Arbeit es für den religiösen Sendungsauftrag erfordert. Und das können die staatlichen Gerichte jetzt im Einzelnen überprüfen. Das hätte das BVerfG vor ein paar Jahren noch als Aufruhr und Ketzerei betrachtet."
edit:
Einge diametral entgegen gesetzte Ansicht verbreiten kirchennahe Medien wie "katholisch.de":
Kirchenmitgliedschaft kann Bedingung bei Diakonie oder Caritas sein
So hat Karlsruhe den Freiraum der Kirchen im Arbeitsrecht gestärkt
Veröffentlicht am 25.10.2025 um 12:15 Uhr – Von Norbert Demuth (KNA)
Karlsruhe ‐ Eine Kirchenmitgliedschaft kann weiterhin Bedingung eines kirchlichen Arbeitgebers sein, wenn "die Bedeutung der Religion" für den Job plausibel dargelegt wird. So reagiert die Deutsche Bischofskonferenz auf Karlsruhe.
Ein Pfarrer muss Kirchenmitglied sein. Das ist auch für Außenstehende einleuchtend, denn er verkündigt die Botschaft der Kirche. Doch in welchen Fällen dürfen kirchliche Arbeitgeber Stellenbesetzungen auf anderer Ebene an eine Kirchenmitgliedschaft knüpfen, ohne konfessionslose Bewerber zu diskriminieren? Seit Donnerstag ist dies verfassungsrechtlich geklärt. Allerdings nicht haargenau, sondern in recht weiten juristischen Formulierungen.
"Je größer die Bedeutung der betroffenen Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen oder außen", desto mehr Gewicht besitze das "Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft", erklärten die Richter. Sie stärkten damit das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.
Die katholische Bischofskonferenz reagierte umgehend: "Für die katholische Kirche ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kein Handlungsbedarf." Die Entscheidung bestätige die vorhandenen Regelwerke. Tatsächlich war bereits im November 2022 die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes", die den Umgang mit der Konfession der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelt, reformiert worden.
Nur bei bestimmten Positionen erforderlich
Die Religionszugehörigkeit ist demnach nur dann ein Kriterium bei der Einstellung, wenn sie für die jeweilige Position erforderlich ist. Das gilt für die Arbeit in Seelsorge und Glaubensvermittlung und zum anderen für Tätigkeiten, die das katholische Profil der Einrichtung inhaltlich prägen, mitverantworten und nach außen repräsentieren.
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Der Arbeitsrechtler Ernesto Klengel sieht den Karlsruher Beschluss kritisch: Das Verfassungsgericht habe den Rahmen, den der EuGH 2018 für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gesetzt hat, "weit interpretiert". Es sei abzuwarten, "ob der EuGH demnächst reagieren wird, da bei ihm weitere Fälle zum deutschen Sonderweg des kirchlichen Arbeitsrechts zur Entscheidung vorliegen".
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