Freitag, 26. Januar 2024

§§ BAG: AVR sind keine Tarifverträge und können auch nicht deren Privilegien beanspruchen - Evangelischer Kirchenkreis ist kein öffentlicher Arbeitgeber

Mit zwei Entscheidungen begrenzt das Bundesarbeitsgericht erneut die hochtrabenden Träume kirchennaher Rechtfertigungsjuristen.

In der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung 6 AZR 210/22 vom 05.10.2023 stellt das BAG in der Bestätigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung erneut fest:
Die auf dem sog. Dritten Weg zustande gekommenen Arbeitsvertragsrichtlinien sind keine Tarifverträge iSd. gesetzlichen Öffnungsklausel (ebenso HWK/Vogelsang 10. Aufl. § 4 EFZG Rn. 39; Malkmus in Feichtinger/Malkmus Entgeltfortzahlungsrecht 2. Aufl. § 4 EFZG Rn. 184; zu § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG BAG 25. März 2009 – 7 AZR 710/07 – Rn. 16 ff., BAGE 130, 146; aA Richardi KirchenArbR 8. Aufl. § 8 Rn. 8, § 15 Rn. 21; kritisch auch v. Tiling ZTR 2009, 458).
...
Auf dem sog. Dritten Weg zustande gekommene kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sind keine Tarifverträge iSd. § 1 Abs. 1 TVG. Ihnen fehlt deren normative Wirkung (vgl. BAG 5. Oktober 2023 – 6 AZR 308/22 – Rn. 18, 20; 24. Mai 2018 – 6 AZR 308/17 – Rn. 23, BAGE 163, 56; HWK/Rennpferdt 10. Aufl. § 22 TzBfG Rn. 4; ähnlich BAG 9. Mai 2023 – 3 AZR 226/22 – Rn. 21; 16. Dezember 2021 – 6 AZR 377/20 – Rn. 24; 8. September 2021 – 10 AZR 322/19 – Rn. 19, BAGE 175, 367). Das gilt ungeachtet dessen, dass bei der Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien (§§ 305 ff. BGB) als im Arbeitsrecht geltende Besonderheit (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) ihr Zustandekommen im Verfahren des Dritten Wegs angemessen zu berücksichtigen ist (vgl. BAG 5. Oktober 2023 – 6 AZR 308/22 – Rn. 19). Sie sind aus diesem Grund zwar nur daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstoßen (BAG 16. Dezember 2021 – 6 AZR 377/20 – Rn. 24; 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 33, BAGE 168, 254; vgl. auch BAG 14. März 2023 – 3 AZR 197/22 – Rn. 28). Dieser im Ergebnis an Tarifverträge angeglichene Kontrollmaßstab hat aber keine Veränderung der Rechtsnormqualität der kirchlichen Regelungen zur Folge (BAG 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 51, aaO). ....
Rd.Nr. 23 und 24 der Entscheidung.
Das ist nichts Neues. Unzweideutig sind dann aber auch die Konsequenzen, die das BAG aus dieser unterschiedlichen Normqualität zieht:
4. Die AVR Caritas weichen nicht in zulässiger Weise von den gesetzlichen Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes ab.

a) Die Regelungen zur Entgeltfortzahlung in § 12a AVR Caritas iVm. Abschnitt XII Abs. a Satz 1, Abs. b Satz 1 der Anlage 1 AVR Caritas iVm. § 2 der Anlage 14 AVR Caritas wirken nicht ausschließlich zu Gunsten der Arbeitnehmer. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum des § 2 Abs. 3 der Anlage 14 AVR Caritas ausschließlich Bereitschaftsdienste geleistet hat, erhält er pro Tag der Arbeitsunfähigkeit nicht das Entgelt bzw. Freizeitäquivalent für die volle ausgefallene Arbeitszeit, sondern nur einen Bruchteil davon.
b) Die AVR Caritas werden von der Öffnungsklausel in § 4 Abs. 4 EFZG nicht erfasst. Die zu Ungunsten der Arbeitnehmer von den gesetzlichen Anforderungen abweichende Bemessungsgrundlage in § 2 Abs. 3 der Anlage 14 AVR Caritas mit ihrer Vermischung des gesetzlichen Prinzips des modifizierten Ausfallprinzips mit dem Referenzprinzip ist daher unwirksam. ...
aa) Bereits der eindeutige Gesetzeswortlaut spricht dafür, dass Arbeitsvertragsrichtlinien von der Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 EFZG nicht erfasst werden. Diese lässt die Festlegung einer von § 4 Abs. 1, Abs. 1a und Abs. 3 EFZG abweichenden Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts nur durch Tarifvertrag zu...
...
bb) Dieser Unterschied der Rechtsnormqualität von Arbeitsvertragsrichtlinien und Tarifverträgen ist dem Gesetzgeber offenkundig bekannt. Will er eine Regelungsmaterie auch für Kirchen und öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften dispositiv ausgestalten, bringt er das dadurch zum Ausdruck, dass er diese bzw. deren Regelungswerke – wie in § 7 Abs. 4 ArbZG, § 21a Abs. 3 JArbSchG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AltersteilzeitG, § 22 TzBfG (dazu HWK/Rennpferdt 10. Aufl. TzBfG § 22 Rn. 1, 4) oder § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 15, Abs. 4 NachwG (vgl. noch zu § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG aF BAG 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 49 ff., BAGE 168, 254) geschehen – ausdrücklich benennt. Tut er dies hingegen wie im Bereich der Entgeltfortzahlung nicht, folgt daraus im Umkehrschluss, dass er eine Abweichung durch kirchliche Arbeitsrechtsregelungen gerade nicht ermöglichen, sondern eine solche vielmehr bewusst auf die ausdrücklich genannten Normgeber beschränken will.< ..../blockquote> Mit anderen Worten:
Allgemeine VertragsRichtlinien (AVR) oder andere Regelungen des "Dritten Weges" sind nichs anderes als "Allgemeine Geschäftsbedingungen" (AGBs) - wie das "Kleingedruckte beim Staubsaugerkauf". Solche AGBs kann jeder Arbeitgeber - soweit er nicht tarifgebunden ist - seinen Arbeitsverträgen zugrunde legen. Da haben die Kirchen keine Sonderrechte. Auch kirchliche Regelungen unterliegen den AGB-Vorschriften und können von den gesetzlichen Öffnungsklauseln für Tarifverträge nur Gebrauch machen, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich zulässt. Bei einem Konflikt zwischen gesetzlichen Regelungen und AVR-Texten muss also immer auch geschaut werden, ob die Abweichung vom Gesetz ausdrücklich auch durch kirchliche Regelungen des "Dritten Weges" zugelassen ist.

Pressemeldungen dazu:
katholisch.de - Bundesarbeitsgericht setzt kirchlichem Arbeitsrecht Grenzen


Eine zweite Entscheidung des BAG Urteil vom 25. Januar 2024 – 8 AZR 318/22 – geht in eine ähnliche Richtung. In der am Donnerstag veröffentlichen Pressemitteilung des BAG Nr. 2/24 heißt es im Titel lapidar:
Evangelischer Kirchenkreis ist kein öffentlicher Arbeitgeber
Anlass der Entscheidung war die Frage, ob eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet ist. § 165 Satz 3 SGB IX sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Das BAG entschied:
Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber im Sinne des § 165 Satz 3 SGB IX.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigt damit die Entscheidung der Vorinstanz, des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21. Juli 2022 – 5 Sa 10/22 –). Dieses hatte festgestellt:
Die besondere Pflicht nach § 165 Satz 3 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, trifft nur öffentliche Arbeitgeber iSv. § 154 Abs. 2 SGB IX. Der beklagte Kirchenkreis ist - wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat - kein öffentlicher Arbeitgeber nach dieser Bestimmung.
§ 154 Abs. 2 SGB IX enthält mit seinen Nummern 1 bis 4 eine abschließende Aufzählung der Einheiten, die als öffentliche Arbeitgeber iSd. Teils 3 des SGB IX gelten. Nur diese trifft die besondere Verpflichtung nach § 165 Satz 3 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Darauf, ob Arbeitgeber ggf. nach anderen Regelungen öffentliche Arbeitgeber sind oder als solche gelten, kommt es demnach nicht an (vgl. BAG 16.05.2019 - 8 AZR 315/18 - Rn. 35, zur Vorgängerregelung in § 71 Abs. 3 SGB IX aF).
§ 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX knüpft (wie die Vorgängerregelung in § 71 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX aF) mit den Begriffen "Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts" an das allgemeine verwaltungsrechtliche Begriffsverständnis an. Danach sind Körperschaften des öffentlichen Rechts durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene, rechtsfähige, mitgliedschaftlich verfasste Organisationen des öffentlichen Rechts, die regelmäßig staatliche Aufgaben mit in der Regel hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen. Die besondere rechtliche Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt einen entsprechenden staatlichen Hoheitsakt, die Verleihung des Körperschaftsstatus, voraus. Dadurch wird nach außen hin für jedermann erkennbar dokumentiert, welchen Einheiten ein solcher Status zukommt. Dies ist bei der Prüfung, ob ein Arbeitgeber ein öffentlicher Arbeitgeber nach § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX ist, von besonderer Bedeutung. Sowohl der Arbeitgeber als auch der Beschäftigte bzw. Bewerber müssen ohne Schwierigkeiten erkennen können, ob den Arbeitgeber die besonderen Pflichten eines öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 Satz 3 SGB IX treffen (vgl. BAG 16.05.2019 - 8 AZR 315/18 - Rn. 41, zu § 82 Satz 2 SGB IX aF).
3. Wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, führt die Rechtssubjektqualität des beklagten Kirchenkreises als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht dazu, dass ihn die besondere Verpflichtung nach § 165 Satz 3 SGB IX trifft, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist kirchliche Gewalt grundsätzlich keine staatliche Gewalt. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 5 WRV soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unterstützen. Er ist ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit. Die Religionsgemeinschaften stehen dem Staat als Teile der Gesellschaft gegenüber. Damit unterscheiden sich die korporierten Religionsgemeinschaften im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes, der keine Staatskirche oder Staatsreligion kennt (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV), grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht (vgl. BVerfG 19.12.2000 - 2 BvR 1500/97 - Rn. 75 ff mwN; BVerwG 27.02.2014 - 2 C 19.12 - Rn. 11 mwN).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Kirchen, die eine "Sonderstellung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung" einnehmen, ungeachtet ihrer Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht dem Staat inkorporiert, also auch nicht im weitesten Sinn "staatsmittelbare" Organisationen oder Verwaltungseinrichtungen. Die Stellung der Kirchen bedeutet keine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und unterwirft sie keiner besonderen Kirchenhoheit des Staates. Infolge dieser öffentlichen Rechtsstellung und öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen, die sie aus ihrem besonderen Auftrag herleiten und durch die sie sich von anderen gesellschaftlichen Gebilden unterscheiden, ist die kirchliche Gewalt keine staatliche Gewalt (vgl. BAG 12.10.2010 - 9 AZR 554/09 - Rn. 47 ff mwN).

Die Evangelische Kirche und damit auch der beklagte Kirchenkreis sind nach dieser Rechtsprechung, der sich auch die Berufungskammer anschließt, kein Teil der öffentlichen Verwaltung. Durch die Zuerkennung eines öffentlich-rechtlichen Status wird die Kirche anderen öffentlich- rechtlichen Körperschaften iSd. § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX nicht gleichgestellt. Der Beklagte war daher nicht nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Und auch das LAG Hamm hat mit einem Urteil vom 21.07.2022 - 18 Sa 21/22 - in anderer Sache gemeint:
Ob es sich bei einem ... um einen öffentlichen Arbeitgeber im Sinne des § 154 Abs. 2 SGB IX handelt, ist fraglich (hiergegen mit beachtlichen Argumenten Glöckner, ZAT 2013, 49 f.). Zwar ist das B als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzusehen. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergeben sich indes Anhaltspunkte dafür, dass der öffentliche Dienst nur im Hinblick auf die Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten anders behandelt werden soll als private Unternehmen (Glöckner, a.a.O.). Die Kirchen üben aber, auch wenn sie als öffentlichrechtliche Körperschaften verfasst sind, keine Staatsgewalt aus.
Auch wenn man diese Entscheidungen zu Lasten von Schwerbehinderten bedauert - auch damit werden den Kirchen die "Flügel gestutzt".
Sie sind eben gerade nicht mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Damit wird auch der konkurrierenden kirchlichen Rechtsetzung als "Staat im Staat" vielfach der Boden entzogen. Es fehlt an der notwendigen Rechtsetzungsbefugnis.

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