Samstag, 4. Juni 2022

Pfingst- Samstagsnotizen: Reaktionen zum neuen Entwurf der Grundordnung

Am Dienstag hatten wir unter dem Titel:
Verpasste Chance zur Erneuerung
bereits die erste ver.die Reaktion zum Entwurf der Grundordnung veröffentlicht.

Auch die Katholischen LSBT+ Komitees und der Initiative #OutInChurch - deren Anliegen besonders berücksichtigt werden sollte - äussern sich in einer gemeinsamen Stellungnahme eher zurückhaltend.
Veronika Gräwe vom Katholischen LSBT+ Komitee fordert: „Der Entwurf muss dringend nachgebessert und konkretisiert werden, damit auch für trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Mitarbeitende der kirchliche Arbeitsplatz zu einem Arbeitsplatz ohne Angst wird.
Jens Ehebrecht-Zumsande von der Initiative #OutInChurch erklärt zum neuen Entwurf: „Der Entwurf wirft einige Fragezeichen auf, weil die genannten christlichen Werte nicht präzise definiert sind. Wenn jemand sich auf einer Dating-Plattformen outet, ist das schon öffentlich und damit zu sanktionieren oder noch privat? Ist z.B. die Forderung nach Frauenordination schon kirchenschädliches Verhalten, das eine Kündigung nach sich ziehen kann? Ist eine Transition von transgeschlechtlichen Menschen mit dem geforderten christlichen Menschenbild vereinbar? Hier gibt es noch einen erheblichen Klärungsbedarf.“
Unzufrieden zeigt sich Ehebrecht-Zumsande mit den Möglichkeiten der Partizipation und der Transparenz des Verfahrens: „Bis heute wurde die Expertise von queeren katholischen Organisationen nicht in die Beratung einbezogen. Wir sehen auch jetzt keine Einladung zum Dialog. Wollen Bischöfe und Arbeitsgruppe hinter verschlossenen Türen beraten? Offen bleibt zudem, wie und wann die Prinzipien der Grundordnung auf die Verleihung der Missio canonica für Religionslehrkräfte übertragen werden.“
Veronika Gräwe macht auf eine Konsequenz der neuen Regelungen aufmerksam: „Zahlreiche Berichte von LSBTIQ* Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst belegen die enormen psychischen Belastungen, die für sie mit einer Tätigkeit im kirchlichen Dienst verbunden sind. Wo Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, wie in dem Entwurf vorgesehen, die Gesundheit in den Blick nehmen, müssen im Hinblick auf LSBTIQ* auch Minderheitenstress und internalisierte Homonegativität und Transfeindlichkeit als Risikofaktoren in Gefährdungsbeurteilungen miteinfließen.“
(weitere Quelle: Dr. Michael Brinkschröder im Domradio)
Es bleiben also erhebliche Rechtsunsicherheiten für queere Menschen. Diese und weitere, möglicherweise noch unerkannte Probleme lassen sich nur lösen, wenn - wie wir angemahnt hatten - die beratende Beteiligung möglichst breit gestreut ist. Dazu gehört auch nach eigenen Maßstäben die Mitwirkung der bei den Kirchen tätigen tausenden Arbeitnehmer, die sich in Arbeitnehmerverbänden wie KAB und/oder Gewerkschaften organisieren, über ihre jeweiligen Verbände. Das geht beim "typisch kirchlichen Abstimmungsverfahren" nur bedingt - denn dort wird im kleinen Kreis so lange nach konsesualen Formulierungen gesucht, bis alle Interessenten glauben, sich in diesen Formulierungen wieder zu finden. Die Folge sind nicht nur schwammig unklare Regelungen, sondern - so trivial das ist - Abstimmungsprobleme bei zu viel Beteiligten. Dies reduziert die Zahl derjenigen, die sich am Abstimmungsprozess beteiligen dürfen. Eine klare und richtungsweisende Neufassung kann so nicht entstehen.


Wir möchten der verpatzten Chance nicht zu viel Aufmerksamkeit widmen. Diese hat das Papier nicht verdient.
Einige Anmerkungen können wir uns aber nicht verkneifen.

Die Deutsche Bischofskonferenz schreibt zur weiteren Entwicklung:
Damit die Beratung noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann, ist die Einbindung der verschiedenen Beteiligten des kirchlichen Dienstes in das Gesetzgebungsverfahren vorgezogen worden. In dieses Verfahren mit der Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme zu den vorliegenden Entwürfen sind die Personalwesenkommission des Verbandes der Diözesen Deutschlands, der Arbeitsrechtsausschuss der Zentral-KODA, die Deutsche Ordensobernkonferenz, der Deutsche Caritasverband, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen sowie die Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen eingebunden.
Da sind also all diejenigen zur Beratung eingebunden, die vom System profitieren. Besonders deutlich wird das bei den institutionalisierten Mitarbeitergremien, denen kirchengesetzlich die Treue zum "Dritten Weg" vorgeschrieben ist (siehe unser Beitrag vom 13. April d.J.) bzw. der "Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen" - denn caritativ, also selbstlos und unternehmerisch (also mit Gewinnerzielungsabsicht) tätig zu sein, schließt sich bekanntlich aus. Solche Unternehmen sind dann auch nicht vom Betriebsverfassungsgesetz befreit - nur interessiert das keinen. Eine klare kritische Würdigung am Entwurf selbst und an den "bischöflichen Erläuterungen zum Entwurf" ist von diesen Gremien jedenfalls nicht zu erwarten. Dabei müsste loyale Kritik schon dort ansetzen *).

Die Bischöfe "fragen also nur die Frösche, ob sie den Sumpf trocken legen dürfen". Wie wäre es anders herum, auch diejenigen zu fragen, die vom kirchlichen Dritten Weg geschädigt sind - z.B. die Gruppe #OutInChurch und die Beschäftigten in der privaten Altenpflege, die dank des Engagements der Arbeitgeber in der Caritas keine tariflichen Mindestlöhne erhalten **)?. Und was ist mit der eigenen Soziallehre, in der die Gewerkschaften als Vertreter der mitarbeitenden Arbeitnehmer ausdrücklich (und mehrfach) genannt werden?

Dass der - vermutlich am Entwurf beteiligte - kirchennahe Arbeitsrechtler Prof. Dr. Reichold den Entwurf als einen "Aufschlag, der sich sehen lassen kann" bezeichnet, vermag nicht zu überraschen. Das erwarten wir von den bekennenden Verfechtern kirchlicher Sonderrechte, deren Lehrstuhl gerade von der Existenz solcher Sonderrechte abhängig ist.

Der kirchliche "Datenschutz Blog Artikel 91" bemerkt immerhin:
Persönlichkeitsrechte statt Schlafzimmerpolizei im kirchlichen Arbeitsrecht

Bisher war das kirchliche Arbeitsrecht von feinziselierten und detaillierten Loyalitätsobliegenheiten der Beschäftigten geprägt, inklusive Konsequenzen bis hin zur verpflichtenden Kündigung bei Zuwiderhandlung. Die Folge war ein Klima der Angst, insbesondere mit Blick auf die persönliche Lebensführung: Unverheiratet Zusammenlebende, wiederverheiratete Geschiedene, erst recht Menschen in queeren Beziehungen und Identitäten standen unter dem Druck drohender Kündigung, wenn ihre Lebensverhältnisse offenbar wurden. Anders als das staatliche schützt das immer noch geltende kirchliche Arbeitsrecht nicht Beschäftigte, sondern schwächt ihre im freiheitlichen Rechtsstaat selbstverständlichen Rechte.
und gesteht damit wenigstens ein, dass in diesem Bereich bisher systematisch Grundrechte der MitarbeiterInnen verletzt wurden.

Ein reges Interesse der Medien war aber nicht zu erkennen ***).  

Drei Twittermeldungen des "Ökumenischen Sozialworts":
Systemwechsel? Für die rund 790.000 Beschäftigten der römisch-katholischen #Kirche und der #Caritas in Deutschland soll sich das #Arbeitsrecht grundlegend ändern. Die Deutsche Bischofskonferenz legte jetzt einen Entwurf der neuen »#Grundordnung« vor: https://bit.ly/3lRRhjU #DBK
(30. Mai)
»Der Entwurf für eine neue kirchlichen #Grundordnung vollzieht den von der #Caritas angeregten und notwendigen Paradigmenwechsel«, kommentiert Präsidentin @NYwelskop die gestern veröffentlichte Fassung für eine Reform des kirchlichen #Arbeitsrechts: https://bit.ly/3ad0eli
(31. Mai)
»Nach der sehr eindrucksvollen Aktion #OutInChurch drängt sich der Eindruck auf, dass die Spitze der römisch-katholischen #Kirche immer nur so viel Veränderung zugesteht, wie es unter dem öffentlichen Druck sein muss. Echter Reformwille ist nicht zu erkennen.« (Sylvia Bühler)
(31. Mai)

Die Twitter-Meldungen einer geschätzten katholischen Theologin:
Ich kann kaum mehr Interesse für kirchliche Papiere aufbringen, die angeblich die Rechtslage verbessern.

1) Nach allem, was seit den 1960ern in kirchl. Dokumenten gestanden hat, theoretisch möglich war und von der kirchl. Autorität ignoriert oder willkürlich gehandhabt wurde,
2) Angesichts der r.-kath. Verfassungslogik, die keine einklagbaren Rechte und keine Voraussetzung für effektive Gewaltenkontrolle kennt,
scheint mir die ganze Papiereschreiberei nichts als Alibi und Augenauswischerei, Wunschdenken, hilflose Gesten.
(30. Mai)

Ergänzend - weil es passt:
Warum steckt die katholische Kirche in einer tiefen Krise und verliert ihre eigenen Anhänger? Zwei Theologen erklären die "desaströse Lage" geschichtlich: Man habe aus der jüngeren Vergangenheit nichts gelernt.

Die katholische Kirche hat nach Ansicht von zwei Theologen aus der totalitären "Absturzgeschichte" der Moderne nichts gelernt. Heute fehlten ihr deswegen Mechanismen, um Macht zu kontrollieren und Machtmissbrauch entgegenzuwirken, schreiben Rainer Bucher und Birgit Hoyer in einem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag auf dem österreichischen Portal feinschwarz.net. Moderne liberale Gesellschaften orientierten sich mittlerweile an Menschenrechten und praktizierten Gewaltenteilung. Die Kirche hingegen habe sich "dank des Beistandes Gottes und dank der eigenen überlegenen Moral" vor Machtmissbrauch geschützt gewähnt: "Das war natürlich eine Illusion."

Die "desaströse Lage" der katholischen Kirche führen beiden Experten auf "das fundamentale Glaubwürdigkeitsdefizit" zurück. "Wenn religiöse Institutionen gegen zentrale normative Grundlagen jener Gesellschaften verstoßen, in die sie eingebettet sind, geraten sie in gesellschaftliche Existenzprobleme", schreiben sie. Die Kirche habe es mit "strukturellen Selbstwidersprüchen" zu tun und verliere dadurch vor allem ihre eigenen Anhänger.
...
Quelle: katholisch.de
DDr. Oskar DANGL, Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems schreibt in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "theologie heute"
... Nicht eingelöst wurde die Notwendigkeit der inneren Strukturreform der Kirche. Das lässt sich sehr klar verdeutlichen am Thema „Menschenrechte“. Die Menschenrechte wurden zwar offiziell anerkannt, nicht nur das Menschenrecht auf Religionsfreiheit, aber sie wurden weiterhin in der kirchlichen Soziallehre „geparkt“, was so viel bedeutet wie: Sie gelten als Normen für die Völker und Staaten, aber nicht für die Kirche selbst. Man hat sich von der Idee einer kirchlichen Verfassung wieder verabschiedet, deren Sinn und Zweck es natürlich wäre, Grundrechte der Gläubigen zu definieren. Die Verweigerung der inneren Anerkennung der Menschenrechte führt dazu, dass die Kirche die normativen Standards der Moderne immer noch brutal unterbietet. Das zeigt sich z.B. an der Diskriminierung der Frauen oder auch am unfassbar weit verbreiteten Phänomen der sexualisierten Gewalt. Anerkannt wird nur die Heiligkeit der Institution, nicht der Person, die der Gewalt ausgeliefert wird
Und die Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine Demel sieht die Kirche in einer "lähmenden Selbstwidersprüchlichkeit zwischen der Verkündigung über die Kirche und den Strukturen in der Kirche".
In einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "theologie heute" betont die Theologin, dass das Zweite Vatikanische Konzil zwar "ein neues Bewusstsein für Freiheit, ein neues Bewusstsein für Benachteiligung und Diskriminierung, eine neue Sehnsucht nach Vielfalt im Denken und Sehen, im Sein und Leben in Kirche und Gesellschaft" geweckt habe. Es fehlten aber immer noch die passenden Strukturen für diese Inhalte.
(Quelle)

Wir stellen am Entwurf der Grundordnung fest, dass sich der Heilige Geist trotz anhaltender Skandale immer noch an den Portalen der katholischen Domkirchen und der Bischofshäuser vorbei schleicht!

e.s.


Links:
Gesamte Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz
Entwurf der neuen Grundordnung des kirchlichen Dienstes
Bischöfliche Erläuterungen zum kirchlichen Dienst

Anmerkungen:
*)
Arbeitsverträge, die - infolge einer Rechtswahl - auch mit Nichtkatholiken und Nichtchristen abgeschlossen werden, sind definitiv keine "eigene" (interne) Angelegenheit der Kirchen. Um das zu sein müssten sich die Kirchen anderer Rechtsverhältnisse, z.B. der Ordensmitgliedschaft, bedienen. Und daher gelten Grundrechte wie AGG und Koalitionsfreiheit uneingeschränkt.

**)
Marc-Alexander Burmeister, Chef von Deutschlands größtem privaten Pflegeheimbetreiber Korian, hat das Problem der Konkurrenz durch "Billigbieter" erkannt - seine aktuelle Bewertung kann nur als massive Kritik an der selbstherrlichen und egozentrisch kurzsichtigen Blockade der Caritas-Arbeitgeber verstanden werden.

***)

Weitere Meldungen:
Badische Zeitung: Das katholische Arbeitsrecht wird menschlicher
Bayerischer Rundfunk: Katholische Kirche will Arbeitsrecht reformieren
katholisch.de: Katholisches Arbeitsrecht in Deutschland vor Systemwechsel
katholisch.de: Reform der Grundordnung - Die Arbeitgeberin Kirche will loyal sein
katholisch.de: Gewerkschaft und queere Katholiken kritisieren Reform der Grundordnung

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