Samstag, 29. Januar 2022

Samstagsnotizen: Wie weiter mit unserer Kirche (5)

Wir fühlen uns wie Matros:innen auf einem lecken Schiff. Wir gehen durch den Rumpf des Schiffes und sehen die Löcher in der Schiffswand. Es sind viele kleine Löcher und doch hängen die meisten irgendwie miteinander zusammen. Es sind viele, zu viele Lecks und wir sind viel zu wenige für diese Situation ausgebildeten Matros:innen an Bord – viel zu wenige, die die Krise als produktiven Zustand annehmen können, anstelle noch weiter Wasser aus dem Schiffsbauch zu schöpfen und einzelne Löcher zu stopfen.
Quelle: Redaktion Feinschwarz 18. Januar 2022 - Fragen an eine zukünftige Gestalt von Kirche. Logbucheintrag von einem schwankenden Schiff

23.01.2022 Bischof Dieser fordert Reformen beim Umgang mit Sexualität
"Wenn nichts geschieht, sind wir endgültig weg"
Der Bischof von Aachen fordert einen anderen Umgang mit homosexuellen Menschen, ein Schuldbekenntnis der Kirchen sowie eine kluge und mutige Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt. ...
(Quelle: Domradio) während der Würzburger Bischof Jung erklärt, dass "hier nicht sobald mit einer Änderung zu rechnen ist" (Quelle)
Der Mainzer Bischof Kohlgraf meint:
[Nun] müsse das Arbeitsrecht bei der "Bewertung der verschiedenen Lebensformen" weiter entwickelt werden.
(Quelle).
Mehrere deutsche Bischöfe (und Generalvikare) haben also erklärt, nun das kirchliche Arbeitsrecht in den Blick zu nehmen (Quelle).
Der Münsteraner Bischof Felix Genn [erklärte], es gebe für homosexuelle Mitarbeitende in seinem Bistum keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen. "Außerdem ist es seit einigen Jahren im Bistum Münster bereits so, dass auch der persönliche Familienstand keine Relevanz für die Anstellung oder Weiterbeschäftigung bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung hat"
(Quelle)
Und was ist mit den anderen MitarbeiterInnen? Mit den LaientheologInnen, KatechetInnen, KirchenmusikerInnen, KüsterInnenn (MesnerInnen) oder ReligionslehrerInnen? Ist der "Ernst der Lage wirklich allen Bischöfen deutlich" geworden? Man kann daran zweifeln. So meint auch Prälat Peter Beer "Diese Kirche kann sich nicht selbst aufklären. Das ist eine bittere Erfahrung." (Quelle)

Gerade haben queere Beschäftigte völlig zu Recht ihre Diskriminierung durch das rigide Arbeitsrecht für die rund eine Million Mitarbeitenden der katholischen Kirche und der Caritas angeprangert. Immer noch können beide Institutionen, die in Deutschland zu den größten Arbeitgebern nach dem Staat zählen, Menschen wegen einer eingetragenen Partnerschaft oder einer gleichgeschlechtlichen Ehe kündigen. Die katholischen Bischöfe arbeiten schon seit Jahren an Reformen. Bisher ließen sie sich noch so kleine Fortschritte aber oft nur mit Arbeitsgerichtsurteilen abringen.
(Zitiert aus der ZEIT)

Wie schnell sich dennoch die Erkenntnis wandelt: Noch im Sommer 2018 konnte der Caritasverband die Kirchengewerkschaft ver.di im DGB auffordern, sich mit Sitz und Stimme an den AK zu beteiligen und damit den bestehenden kirchlichen Sonderweg einschließlich der Loyalitätspflichten im Arbeitsrecht hinzunehmen. Jetzt kann es vielen mit der Reform des kirchlichen Arbeitsrechtes anscheinend nicht schnell genug gehen. Jedenfalls schreibt das Domradio (Köln)
Zahlreiche Bischöfe haben sich positiv zur Kampagne #OutInChurch von queeren katholischer Menschen geäußert. Doch das kirchliche Arbeitsrecht hält mit dieser Entwicklung noch nicht Schritt - wie schnell können Änderungen kommen?
...
Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode betonte, die Zeugnisse der Kampagne mahnten eine "längst überfällige Debatte" an: Es brauche dringend "für alle Seiten verlässliche Lösungen" bezüglich des Arbeitsrechts.
...
Unterdessen sagte der Arbeitsrechtler Hermann Reichold der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Dienstag), die Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts könne "in dieser Form keinen Bestand haben". Weltliche Gerichte würden "immer kritischer", kirchliche Arbeitgeber würden künftig eine wachsende Zahl von Prozessen verlieren. Geplant sei die Vorlage eines reformierten Arbeitsrechts noch für dieses Jahr, sagte Reichold, der den Verband der Diözesen Deutschlands bei dieser Reform berät. "Die bisherige Verurteilung von Homosexualität wird aller Voraussicht nach bei der Reform des Arbeitsrechts wegfallen. Man wird dann wahrscheinlich einfach darüber hinweggehen."...
Und was ist mit dem Rest? Wieder nur "zu kurz gesprungen"? Nur das aufgeben, was auch nach Erkenntnis der blindesten aller Beteiligten ohnehin nicht mehr zu halten ist?

Der (bewusst protestantische) Arbeitsrechtsprofessor Jacob Joussen fordert
eine Änderung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen in der Kirche. "Dass alle 27 Bistümer ihre Grundordnung ändern, ist unrealistisch, aber dass sollte kluge Köpfe, wie den Aachener Bischof Dieser oder den Essener Bischof Overbeck, nicht daran hindern voranzugehen", sagte der Leiter des Instituts für Kirchliches Arbeitsrecht in Bochum dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Dienstag.
und weiter:
Ein kurzfristiges Aussetzen der arbeitsrechtlichen Sonderregel für Kirchen sowie eine gesetzliche Änderung sind nach Einschätzung Joussens nicht denkbar. "Man bräuchte eine Grundgesetzänderung, also eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die wird es nicht geben." Von politischer Seite werde deshalb "nicht viel passieren".
Schuster Joussen - bleib bei Deinem Leisten:
wenn in einem der 27 deutschen Bistümer etwas als "nicht unkatholisch" bezeichnet wird, kann nicht im benachbarten Bistum das Gegenteil behauptet werden. Was in Landsberg am Lech rechts der Isar problemlos möglich ist, kann links der Isar nicht zu einer Kündigung führen. Was rechts der Oder eindeutig katholisch ist (Laborem exercens) kann links des Flusses nicht des Teufels sein.
Was "katholisch" ist, bestimmt im Endeffekt die Zentrale in Rom. Und da - lieber Schuster - haben sich die päpstliche Soziallehre als wesentlicher Bestandteil des päpstlichen Lehramtes und das universelle Kirchenrecht (Can. 1286 1° CIC) eindeutig geäussert. Der III. Weg ist unkatholisch - dieser historisch schwer belastete Irrweg ist mit dem universellen katholischen Kirchenrecht und dem päpstlichen Lehramt nicht vereinbar, und in seiner theologischen Überhöhung der Dienstgemeinschaft ein häretischer, fast schon schismatischer Irrweg. Aber das will ein Protestant wie Joussen (der sicher nicht ohne Grund zum protstantischen Bekenntnis gewechselt ist) natürlich nicht wissen. Nur sollte er es dann auch vermeiden, sich als Ratgeber der katholischer Kirche zu präsentieren.
Was nun generell die "Sonderregel für Kirchen betrifft" - da sollte der Arbeitsrechtler einmal die einschlägigen Regelungen der Verfassung und der Konkordatsvereinbarungen nachlesen. Ein Blick ins Gesetz erleichtert in der Regel die Rechtsfindung.
                                                                                                                                                             

Und da fällt zunächst einmal auf, dass die Normen nicht von "Selbstbestimmung" sondern von "Selbstordnung" und "Selbstverwaltung" der "eigenen Angelegenheiten" sprechen. Den Kirchen ist also die Entscheidung überlassen, wie sie sich organisieren, wo es also Pfarreien geben soll - und wie das (Orts-)Kirchenvermögen zu verwalten ist. Gerade diese Fragen waren nach dem "Kulturkampf" für die Entstehung des heutigen Staatskirchenrechts maßgeblich. Das Arbeitsrecht aber ist - zumindest - auch Bestandteil des staatlichen Rechtskreises, damit "res mixta" und keine eigene Angelegenheit mehr. Das wird in jedem Arbeitsgerichtsprozess mit kirchlichen Arbeitgebern deutlich. Damit fehlt den Kirchen aber jede Rechtssetzungsbefugnis, zumal die Betroffenen der jeweiligen Kirche vielfach nicht angehören (Art. 1 RKonk i.V. mit dem BVerfG, Leitsatz 3 im Urteil vom 14.12.1965 - 1 BvR 413/60)
Die "Schranken der für alle geltenden Gesetze" legt der Gesetzgeber durch einfachgesetzliche Regelungen fest. Sie können weiter oder auch enger gefasst sein.
Es steht dem Bundestag also jederzeit frei, etwa die kircheneigenen Wohlfahrtsverbände dem Betriebsverfassungsgesetz zu unterwerfen (wie das schon im Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik bei gleicher verfassungsrechtlicher Grundlage war). Es ist auch nicht zu begründen, warum ein kircheneigener Wohlfahrtsverband von der umfassenden Geltung des staatlichen Rechts mehr betroffen sein soll als ein säkulärer Wohlfahrtsverband wie AWO oder Rotes Kreuz. Die ständigen Trägerwechsel zeigen jedenfalls, dass die religiöse Zuordnung des Betreibers für den Betrieb einer Einrichtung wie eines Altenheimes oder Krankenhauses irrelevant ist. Es gibt keine "katholische" oder "evangelische" Blinddarmoperation. Was unterscheidet dann eine kircheneigene Einrichtung von der eines gewinnorientierten Privatkonzerns?
Und jedes Landesparlament kann durch einfachgesetzliche Regelungen die öffentlich-rechtlich verfassten Kirchen dem jeweiligen Personalvertretungsgesetz unterwerfen. Da muss nur die Ausnahmeregelung gestrichen werden. Und da muss man auch nicht mit Änderungen des Grundgesetzes herumschwurbeln. Aber klar - solange ein Institut für kirchliches Arbeitsrecht besteht braucht es natürlich ein möglichst umfassendes kirchliches Arbeitsrecht als Existenzgrundlage.
                                                                                                                                                             

Die WELT nennt zwei maßgebliche Gründe für den Zusammenbruch der kirchlichen Bindung.
Nach den Querelen um die schleppende Aufarbeitung im Erzbistum Köln zeige sich abermals das „systemische Versagen“ beim Umgang mit Opfern und Tätern sexuellen Missbrauchs.
(Martin Benninghoff in der FAZ)

Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen: die Aussagen und Handlungen der Amts- und Funktonärskirchen stehen - etwa in Bezug auf die eigene Soziallehre - untereinander im Widerspruch und sind mit der Lebenswirklichkeit der Gesellschaft nicht mehr in Einklang zu bringen. Aus dieser Diskrepanz erfolgt eine zunehmende Distanzierung zur "Organisation Kirche".
 
Auch die FAZ meint aus aktuellem Anlass:
Kardinäle und sogar der emeritierte Papst weigern sich, ihr Tun und Lassen mit den Augen der Opfer zu betrachten. Das ist der eigentliche Skandal.
und sie spricht damit den Kernpunkt unserer Kritik an. Während sich Amts- und Würdenträger primär um den "Guten Ruf" der "Heiligen Kirche" sorgen, ist den Menschen in der Gesellschaft vor allem das Leid der Opfer, der Schutz der Schwachen im Blick. Und das ist der Kern der christlichen Lehre. "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt. 25, 40)" Das zeigt: christliches Gedankengut ist in unserer Gesellschaft wohl mehr verankert als in den Hierarchien der Amtskirche. Vielleicht liegt gerade darin auch die Chance für eine Regeneration - in der "Entweltlichng" der Organisation, im Verzicht auf die Privilegien, die der Organisation früher eingeräumt wurden und deren Inanspruchnahme sie all zu exzessiv betrieben hat.

Eine solche "Entweltlichung" fordern inzwischen auch Vertreter vieler Parteien. So schreibt die 28-jährige Franziska Brandmann, seit November 2021 Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, in der ZEIT-online:
Sonderrechte bei der Besetzung staatlicher Gremien, etwa der Rundfunkbeiräte, sind nicht mit dem Ideal eines weltanschaulich neutralen Staates zu vereinbaren. Auch darüber hinaus ist die sonderrechtliche Stellung der Kirchen nicht mehr zu rechtfertigen – das gilt insbesondere für das Arbeitsrecht. Ob eine muslimische Ärztin oder ein geschiedener Pfleger in Krankenhäusern in katholischer Trägerschaft arbeiten können, kann im Deutschland des Jahres 2022 keine legitime Frage mehr sein. Zumal dann, wenn Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft ohnehin zum großen Teil aus Steuergeldern finanziert werden, wie es auch bei kirchlichen Kindertagesstätten und Seniorenheimen der Regelfall ist.

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