Kasseler Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht: Durch ihr Beharren auf Sonderrechten beschneiden Kirchen Grundrechte von Beschäftigten und anderen.Quelle und mehr: ver.di
»Die Kirchen verteidigen mit allen Mitteln ihren Sonderweg im Arbeitsrecht. Damit schränken sie die Selbstbestimmung und Grundrechte anderer ein.« So beginnt eine Resolution, die die Teilnehmenden der diesjährigen Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 17. und 18. November in Kassel per Akklamation verabschiedeten. Die rund 250 Mitarbeitervertreter*innen aus evangelischen und diakonischen Einrichtungen kritisierten, dass das Beharren der Kirchenoberen auf überkommenden Privilegien die Selbstbestimmung anderer beschneidet – ob im Fall des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen am Christlichen Klinikum Lippstadt, des Streikverbots am Klinikum Weimar oder der Diskriminierung von Beschäftigten oder Bewerber*innen aufgrund fehlender Kirchenmitgliedschaft.
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Fall Egenberger: »hundert Prozent eine Niederlage der Kirche«
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Die Kirche macht sich ihre Welt, wie sie ihr gefällt
Juristisch und politisch umkämpft ist auch der Sonderweg im kollektiven Arbeitsrecht. Zwar finden Tarifverträge zunehmend auch bei kirchlichen Trägern Verbreitung – übrigens ohne, dass deshalb dort ständig gestreikt würde, wie die Befürworter*innen des »Dritten Wegs« suggerieren. Nach Berechnungen von ver.di sind mittlerweile rund 100.000 kirchlich Beschäftigte durch Tarifverträge geschützt. Doch die meisten konfessionellen Arbeitgeber setzen weiter darauf, Löhne und Arbeitsbedingungen hinter verschlossenen Türen in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen festzuschreiben.
Die Kirche macht sich ihre Welt, wie sie ihr gefällt
Juristisch und politisch umkämpft ist auch der Sonderweg im kollektiven Arbeitsrecht. Zwar finden Tarifverträge zunehmend auch bei kirchlichen Trägern Verbreitung – übrigens ohne, dass deshalb dort ständig gestreikt würde, wie die Befürworter*innen des »Dritten Wegs« suggerieren. Nach Berechnungen von ver.di sind mittlerweile rund 100.000 kirchlich Beschäftigte durch Tarifverträge geschützt. Doch die meisten konfessionellen Arbeitgeber setzen weiter darauf, Löhne und Arbeitsbedingungen hinter verschlossenen Türen in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen festzuschreiben.
Gott kann man nicht bestreiken?
Die Beschäftigten des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar haben daraus die Schlussfolgerung gezogen, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen. Hunderte von ihnen organisierten sich in ver.di, um Verhandlungen über einen Tarifvertrag einzufordern. Als sich der Arbeitgeber nicht bewegte, kündigten sie einen Warnstreik an. Kirche, Diakonie und Klinikleitung versuchen seither, die Kolleg*innen mit juristischen Mitteln von Streiks abzuhalten – in erster Instanz vor dem Erfurter Arbeitsgericht zunächst mit Erfolg.
»Die Kirche, eine Organisation, die sonst für demokratische Rechte steht, reagiert mit einer Klage gegen die eigenen Beschäftigten – das hat mich als Christ betroffen gemacht«, sagte Matthias Korn, Mitarbeitervertreter am Klinikum Weimar. »Wir wollen mitbestimmen. Wir wollen einen Tarifvertrag, denn das ist eine demokratische Struktur, die es in der Arbeitsrechtlichen Kommission nicht gibt«, so der Krankenpfleger, der selbst einige Jahre der Kommission angehörte. Er verwies auf die Diakonie Niedersachsen, wo seit zehn Jahren ein Flächentarifvertrag für rund 38.000 Beschäftigte gilt. »Das zeigt: Es geht – warum nicht bei uns?«
Hartmut Kreß argumentierte, dass die Kirche in gesellschaftlichen Debatten Streiks für vertretbar hält – »nur bei sich selbst nicht«. Hier gelte das Dogma, die »Verkündung der Nächstenliebe« werde durch Streiks unterbrochen, was nicht sein dürfe. »Es heißt: Gott kann man nicht bestreiken«, kommentierte Edda Busse. »Aber wir bestreiken nicht Gott, wir bestreiken unseren Arbeitgeber.«
»Dritter Weg« – kein Konsensmodell
Der ehemalige Präsident des Kirchengerichtshofs, Dr. Helmut Nause, verwies auf das Bundesarbeitsgerichtsurteil von 2012, das den Kirchen einen eigenen Weg zur Regelung von Löhnen und Arbeitsbedingungen ohne Streiks zugesteht. Es müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein – unter anderem eine angemessene Beteiligung der Gewerkschaften. Ob diese Voraussetzung allerdings genüge getan ist, wenn – wie in Thüringen – die Gewerkschaft nur Anspruch auf ein einziges Mandat in der Arbeitsrechtlichen Kommission hat, »erscheint mir ein bisschen dünn«, so der Jurist. Auch die Regelungen in der Diakonie Deutschland und in den Landeskirchen entsprächen nicht den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts. »Es wäre sinnvoll, das zu überprüfen.«
Bernhard Baumann-Czichon widersprach der Darstellung der Kirchen, der »Dritte Weg« sei ein Konsensmodell. »In Tarifverhandlungen einigen sich beide Seiten auf einen Kompromiss, dort gibt es am Ende einen Konsens«, erklärte der Rechtsanwalt. »Die Arbeitsrechtliche Kommission hingegen fällt einen Mehrheitsbeschluss. Das ist das Gegenteil von Konsens.«
Das Festhalten am kirchlichen Sonderweg habe weitreichende Folgen, argumentierte Andreas Schlutter vom Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen der Diakonie in Bayern. Es trage unter anderem zu einem niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad im Sozial- und Gesundheitswesen bei, mit negativen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen in der Branche. »Es gibt zum Beispiel keine stationäre Jugendeinrichtung, in der man sich an das Arbeitszeitgesetz hält. Für solche Zustände trägt auch die Kirche durch ihr Festhalten am Sonderrecht eine moralische Verantwortung.«
Mehr Druck von unten
Wie stehen nun die Chancen, das kirchliche Sonderrecht zu überwinden? ...
Mit Link zum Download:
Kasseler Erklärung der Teilnehmenden der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht 2025
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