Die offizielle Übersetzung der Ansprache, die Papst Leo XIV. beim Weihnachtsempfang für die Römische Kurie gehalten hat, ist von Radio Vatikan im Wortlaut veröffentlicht worden. Wir können uns also darauf beschränken, mehrere - uns als Wesentlich erscheinende - Aspekte hervor zu heben:
...Es scheint das Wesen der "abrahamitischen Religionen" zu sein, die eigene Religion als die beste aller denkbaren Religionen zu betrachten, deren wichtigste Aufgabe es ist, die Angehörigen anderer religiöser Anschauungen zu missionieren.
vor allem möchte ich an meinen geliebten Vorgänger Papst Franziskus erinnern, dessen irdisches Leben in diesem Jahr zu Ende gegangen ist. Seine prophetische Stimme, sein pastoraler Stil und sein reichhaltiges Lehramt haben den Weg der Kirche in diesen Jahren gekennzeichnet und uns vor allem ermutigt, die Barmherzigkeit Gottes wieder in den Mittelpunkt zu stellen, der Evangelisierung größeren Schwung zu verleihen, eine frohe und freudige Kirche zu sein, die alle annimmt und den Ärmsten Aufmerksamkeit schenkt.
Ausgehend von seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium möchte ich auf zwei grundlegende Aspekte des kirchlichen Lebens zurückkommen: die Mission und die Gemeinschaft.
Die Kirche ist von Natur aus extrovertiert, auf die Welt ausgerichtet, missionarisch. Sie hat von Christus die Gabe des Heiligen Geistes empfangen, um allen die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu verkünden.
...
Daher sind wir alle aufgrund unserer gemeinsamen Verantwortung aus der Taufe dazu aufgerufen, an der Sendung Christi teilzunehmen. Auch die Arbeit der Kurie muss von diesem Geist beseelt sein und die pastorale Sorge im Dienst der Teilkirchen und ihrer Hirten fördern. Wir benötigen eine immer missionarischere Römische Kurie, in der die Institutionen, Ämter und Aufgaben auf die großen kirchlichen, pastoralen und sozialen Herausforderungen der heutigen Zeit ausgerichtet sind und nicht nur der Gewährleistung der laufenden Verwaltung dienen.
Dieser Denkansatz ist für einen religiösen Führer nachvollziehbar. Aber er passt nicht in einen säkularen Staat, der sich der religiösen Neutralität und damit auch der religiösen Toleranz verpflichtet.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat in einem Interview mit der NZZ (Standpunkte 2009) auf diese andere Sichtweise hingewiesen: Wir als Gewerkschafter teilen die These von der Gleichberechtigung der Religionen. Es mutet nahezu überheblich an, eine Über-/oder Unterordnung der Religionsgemeinschaften zu unterstellen. Das damit verbundene Sendungsbewusstsein führt zur Entsolidarisierung und zu Intoleranz und Überheblichkeit - also von Eigenschaften, die den eigentlichen Kern der religiösen Botschaft überdecken.
Der Papst kommt auf diesen Kern in seiner Ansprache aber auch zu sprechen:
... Zugleich ist im Leben der Kirche die Mission eng mit der Gemeinschaft verbunden. ... Die Liebe des Vaters, die Jesus in Taten der Befreiung und in seiner Verkündigung verkörpert und offenbart, befähigt uns im Heiligen Geist, Zeichen einer neuen Menschheit zu sein, die nicht mehr auf der Logik des Egoismus und Individualismus beruht, sondern auf gegenseitiger Liebe und Solidarität.Geschwisterlicher Umgang?
Dies ist eine äußerst dringende Aufgabe, sowohl ad intra als auch ad extra.
Sie ist es ad intra, weil die Gemeinschaft in der Kirche immer eine Herausforderung bleibt, die uns zur Umkehr aufruft.
...
Wir sind, auch und vor allem hier in der Kurie, dazu gerufen, Baumeister der Gemeinschaft Christi zu sein, die danach verlangt, in einer synodalen Kirche Gestalt anzunehmen, in der alle an derselben Mission zusammenarbeiten und mitwirken, jeder entsprechend seinem Charisma und der ihm übertragenen Aufgabe. Dies lässt sich jedoch weniger mit Worten und Dokumenten als vielmehr durch konkrete Gesten und Haltungen erreichen, die sich in unserem Alltag, auch im Arbeitsumfeld, manifestieren müssen. Ich möchte gerne daran erinnern, was der heilige Augustinus in seinem Brief an Proba schrieb: »So ist in allen menschlichen Dingen dem Menschen nichts freundlich ohne einen Freund.« Mit einem Hauch von Bitterkeit fragte er sich jedoch: »Aber wie selten wird ein Freund gefunden, über dessen Gesinnung und Charakter in diesem Leben volle Gewissheit besteht!« (Brief an Proba, 130, 2.4).
Diese Bitterkeit macht sich manchmal auch unter uns breit, wenn wir, vielleicht nach vielen Jahren im Dienst der Kurie, mit Enttäuschung feststellen, dass sich einige Dynamiken, die mit der Ausübung von Macht, dem Streben nach Vorrang und der Pflege eigener Interessen zusammenhängen, nur schwer ändern lassen. Und man fragt sich: Können wir in der Römischen Kurie Freunde sein? Können wir freundschaftliche, geschwisterliche Beziehungen pflegen? Es ist schön, wenn es bei all den täglichen Anstrengungen Freunde gibt, denen wir vertrauen können, wenn Masken und Heimlichtuereien abfallen, wenn Menschen nicht ausgenutzt und übergangen werden, wenn man sich gegenseitig hilft, wenn man den Wert und die Kompetenz jedes Einzelnen anerkennt und so Unzufriedenheit und Groll vermeidet. Es gibt eine persönliche Umkehr, die wir anstreben und verfolgen müssen, damit in unseren Beziehungen die Liebe Christi durchkommen kann, die uns zu Brüdern und Schwestern macht.
Die Arbeit der Kurie und der Kirche im Allgemeinen muss auch in diesem weiten Horizont gedacht werden: Wir sind keine kleinen Gärtner, die sich um ihren eigenen Garten kümmern, sondern wir sind Jünger und Zeugen des Reiches Gottes, die berufen sind, in Christus Sauerteig einer universalen Geschwisterlichkeit zwischen verschiedenen Völkern, verschiedenen Religionen, zwischen Frauen und Männern aller Sprachen und Kulturen zu sein. Und dies geschieht, wenn wir zuerst selbst als Brüder und Schwestern leben und das Licht der Gemeinschaft in der Welt aufleuchten lassen.
...
Denken wir daran, auch in unserem Dienst in der Kurie: Die Arbeit jedes Einzelnen ist wichtig für das Ganze, und das Zeugnis eines christlichen Lebens, das in der Gemeinschaft Ausdruck findet, ist der erste und größte Dienst, den wir tun können.
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Manchmal frage ich mich, ob der Umgang mit den Mitarbeitenden - etwa bei sogenannten "Loyalitätsverstößen" - wirklich ein "geschwisterlicher Umgang" ist. Niemand ist perfekt. Niemand ist ohne Fehler. Warum also hat die Kirche über Jahre hinweg sogenannte "Loyalitätsverstöße" mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung geahndet?
Warum beansprucht "Kirche" die im weltlichen Arbeitsrecht bereit gestellten Ahndungsmöglichkeiten für ein Fehlverhalten der Mitarbeitenden für sich, ohne zugleich das weltliche Instrumentarium des Arbeitsschutzrechts für diese Mitarbeitenden zu akzeptieren?
Ist das "barmherzig"?
Der Papst hat am Schluss seiner Ausführungen auf den großen protestantischen Theologen und Widerstandskämpfer Bonhofer verwiesen und diesen zitiert.
Als Gewerkschafter sind wir nicht einer Religionsgemeinschaft verpflichtet. Wir dürfen und müssen uns den "Blick über den Tellerrand" erlauben. Ich möchte daher aus einer völlig anderen, für Viele sicher überraschenden Perspektive einige Anmerkungen machen - und Anregungen zum Nachdenken geben:
Der Prophet Muhammad ﷺ sagte:
الراحمون يرحمهم الرحمن، ارحموا أهل الأرض يرحمكم من في السماءEines Tages sagte der Prophet ﷺ zu seinen Gefährten:
»Der Allerbarmer erbarmt sich der Barmherzigen. Seid barmherzig zu den Menschen auf Erden, dann wird sich der erbarmen, der im Himmel ist.«
لَنْ تُؤْمِنُوا حَتَّى تَرَاحَمُوا
قالوا: يا رسولَ اللهِ، كلُّنا رحيمٌ
قال: إنَّهُ ليس برحمةِ أحدِكم صاحبَه، ولكنَّها رحمةُ العامَّةِ
»Ihr werdet keinen vollkommenen Glauben haben, solange ihr einander keine Barmherzigkeit erweist.«
Es ist auch die Barmherzigkeit, die die drei großen abrahamitischen Weltreligionen verbindet.
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