Donnerstag, 14. September 2023

Gewerkschaftliche Betätigung in kirchlichen Einrichtungen - Laborem exercens als Geleitwort zum Bundeskongress unserer ver.di

Heute - am 14. September, dem Jahrestag der Veröffentlich der Sozialenzyklika "Laborem exercens" (die Papst Benedikt seiner deutschen Heimat intensiv an's Herz gelegt hat) und im Vorfeld des Bundeskongresses unserer ver.di wollen wir auf eine Frage eingehen, die ständig wieder aus den Untiefen des kirchlichen Lebens auftaucht:

Man hört es immer wieder - die gewerkschaftliche Betätigung in kirchlichen Einrichtungen wird behindert, zumindest für unerwünscht oder (im Extremfall) sogar als "verboten bezeichnet". Was ist drann an diesem Narrativ, das immer wieder auftaucht?

Nun, es ist eigentlich ganz einfach. Schon das Grundgesetz (GG) formuliert in in Artikel 9 Absatz 3:
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. ...
Dass dieser "für alle geltende" verfassungsrechtliche Schutz der Koalitionsfreiheit auch in kirchlichen Einrichtungen greift, müsste eigentlich jedem "Dienstgebervertreter" eingängig sein. Und geschützt ist nicht nur die Beteiligung in einer Gewerkschaft, sondern natürlich auch die umfassende gewerkschaftliche Betätigung. Denn eine reine "Mitgliedschaft" ist wertlos, wenn die koalitionsmäßige Betätigung untersagt wäre 1). Dazu gehört das Informations- und Werberecht in der Einrichtung bzw. im Betrieb (z.B. Schwarzes Brett, aber nicht im hintersten Keller sondern am Personaleingang), das Zutrittsrecht für Gewerkschaftsvertreter und vieles mehr. So können selbstverständlich auch die betrieblichen Kommunikationsstrukturen (Intranet, E-Mail) zur Information über gewerkschaftliche Aktivitäten genutzt werden - solange mit diesen Instrumenten des Arbeitgebers nicht zum Arbeitskampf gegen den jeweiligen Arbeitgeber aufgerufen wird.
Zu den zulässigen Informationen über Gewerkschaftsaktivitäten und gewerkschaftliche Ziele gehört beispielsweise die Information über- und die Sammlung von Unterschriften für die derzeit laufende Petition unserer ver.di:
Ergänzend:
Versuche der Arbeitgeberseite, das Grundrecht auf freie gewerkschaftliche Betätigung mittels Arbeitsordnungen, Geheimhaltungsvorschriften, Dienstanweisungen etc. auszuhebeln, wurden ein ums andere Mal höchstrichterlich eine Absage erteilt 2). In vielen Grundsatzurteilen wurde inzwischen festgestellt, dass dieses Grundrecht nicht nur abstrakt, sondern auch ganz konkret für praktische gewerkschaftliche Aktivitäten im Unternehmen gilt – also sowohl für die Aktivitäten der Gewerkschaft als Organisation, als auch für die gewerkschaftlichen Aktivitäten der einzelnen Mitglieder, die ja selbst Träger des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit sind.
zitiert aus: Rechtsinfo von ver.di "Gewerkschaftlich aktiv ..."

Bei der katholischen Kirche gibt es dazu nicht nur die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes"(GrO), die in Art. 10 Abs. 2 deutlich formuliert:
(2) Die Koalitionen sind berechtigt, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen innerhalb der kirchlichen Einrichtung für den Beitritt zu diesen Koalitionen zu werben, über deren Aufgabe zu informieren sowie Koalitionsmitglieder zu betreuen.
Die "Koalition" 3) meint jedes Mitglied, nicht nur externe hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre.
Diese Aussage der Grundordnung ist das minimalste "Zugeständnis", das die Bischöfe noch machen konnten, ohne der eigenen Soziallehre zu sehr zu widersprechen. Dazu kommen nämlich klare Stellungnahmen der maßgeblichen kirchlichen Akteure:
Die Kirche hat das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluß anerkannt, verteidigt und gefördert und dabei eine gewisse theoretische und historische Vorliebe für korporative und bipolare Formen überwunden.
Quelle: Papst Paul VI. 22.05.1966, Ansprache bei der 75-Jahrfeier von "Rerum novarum", Ziffer 5
Aus all diesen Rechtsansprüchen zusammen mit der Notwendigkeit, daß die Arbeitnehmer selbst sich für deren Gewährleistung einsetzen, ergibt sich noch ein weiteres Recht, nämlich sich zusammenzuschließen, also Verbände oder Vereinigungen zu bilden, deren Zweck es ist, die Lebensinteressen der in den verschiedenen Berufen Tätigen zu vertreten. Solche Vereinigungen werden als Gewerkschaften 4) bezeichnet.
Die Förderung der Lebenslage der Arbeiter ist ohne Gewerkschaften nicht möglich. Angesichts der Stellung der Gewerkschaften und ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft wäre ein regelmäßiger Kontakt auf den verschiedenen Ebenen der Kirche, von Organisationen und Gremien zu den Gewerkschaften erwünscht. ... Es müßte selbstverständlich sein, daß der katholische Arbeiter sich gewerkschaftlich organisiert. ...
Quelle: Würzburger Synode, November 1975, Beschluß Kirche und Arbeiterschaft, Ziffer 2.3.3.
(der Begriff "Arbeiter" wurde in der Synode als Bezeichnung für den wichtigsten Teil der Arbeitnehmerschaft verwendet, heute ist die Unterscheidung zu Angestellten aufgehoben - wir sind alle "Arbeiter im Weinberg des Herrn")
vgl. Bistum Aachen (Hg) - Kirche und Arbeiterschaft - 40 Jahre Synodenbeschluss - sperrig – unbequem – herausfordernd

Anmerkungen:
1) Die viel kritisierte Kernbereichslehre ist in der Entscheidung vom 14.11.1995 vom BVerfG aufgegeben worden. Danach wären die die Rechte der Gewerkschaften im Betrieb auf "unerläßliche" Betätigungen beschränkt gewesen.

2) Beispiele aus der Rechtsprechung:
3) Wir beschränken uns bei unseren Ausführungen ausdrücklich auf die Rechte der Koalition, also der Gewerkschaftsmitglieder. Diese Rechte bestehen unabhängig davon, ob sie auch Mitglieder einer MAV sind. 
Ob auch für eine MAV die Information der Beschäftigten über gewerkschaftliche Tätigkeiten und Ziele möglich ist, bleibt einem eigenen Beitrag vorbehalten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass einer MAV auch eine gewisse Neutralitätspflicht obliegt, insbesondere, wenn unterschiedliche Gewerkschaften unterschiedliche Positionen vertreten.

4) Der Begriff der Gewerkschaft ist nicht definiert. Er ist nicht geschützt, so dass sich auch Verbände, die besonders "christlich zu den Arbeitgebern sind", als "Gewerkschaften" bezeichnen können. 
Wir verwenden den Begriff der Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinn als einen Verband von Mitgliedern, die gegnerfrei sind - und durchsetzungsfähig genug, die berechtigten Interessen der Mitglieder auch durch einen Arbeitskampf zu vertreten (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. Bundesverfassungsgericht - 1 BvR 1/16 -). Ein Verein, der auch außerhalb der tarifvertraglichen "Friedenspflicht" auf Arbeitskampfmaßnahmen wie etwa das Streikrecht verzichtet, ist demnach also keine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinn.  

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