Montag, 15. Mai 2023

Nochmal "über den Gartenzaun" - die MAVen von Diakonie und evangelischer Kirche in Bayern greifen grundsätzliche Fragen des Arbeitsrechts auf

Öffentliche Erklärung bayrischer MAVen
Im Anschluss der ver.di-Fachtagung für bayerische Mitarbeitervertretungen am 08. Mai 2023 fanden sich ver.di-Kolleg*innen bayrischer Mitarbeitervertretungen zusammen, um angesichts der eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten von Mitarbeitervertretungen bei der Schaffung von Verwaltungsverbünden und Fusionen in Kirche und Diakonie gewerkschaftliche Schlussfolgerungen zu diskutieren und zusammenzufassen:

Wir haben heute die Hintergründe für verschiedene aktuelle Zusammenschlüsse („Verwaltungsverbünde“ in der Ev. Kirche – Fusionen bei der Diakonie) auf juristischer und auf betriebswirtschaftlicher Ebene beleuchtet.

Dabei sind uns unter anderem folgende Dinge bewusstgeworden:

(Vor allem) Diakonie-Einrichtungen verhalten sich auch wie weltliche Einrichtungen. Der Wettbewerb dürfte sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Mitarbeitervertretungen haben auf der Grundlage des MVG-EKD bei unternehmerischen Entscheidungen nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte. Ungeachtet des Selbstverständnisses gibt es in Diakonie und Kirche, gerade bei Umstrukturierungen, Zusammenschlüssen und Ausgründungen nur selten eine wirklich offen zu nennende Unternehmenskultur. Tatsachen werden geschaffen, Mitarbeitervertretungen ignoriert. Häufig werden auch Beschäftigte z.B. gedrängt, neue Arbeitsverträge zu unterzeichnen, um ausschließlich die AVR bzw. DiVO im Haus zu haben. Dabei informieren Arbeitgeber auch fehlerhaft über die Wirkung des § 613a BGB (Betriebsübergang), etwa, es gäbe dann keine Gehaltserhöhungen mehr.

Daher braucht es in folgenden Bereichen dringend Veränderungen:
  • Stärkung der MAVen bei Betriebsübergängen durch die frühzeitige formelle Einbindung beider bzw. sämtlicher vom Übergang betroffenen MAVen (Ergänzung in § 34, 35 oder 40 MVG-EKD).
  • Wichtig sind bessere Arbeitsbedingungen („Gute Arbeit“) in Kirche und Diakonie, kein weiterer Abbau von Leitungsstrukturen (Herabgruppierung) und mehr Arbeitsplatzsicherheit für die Kolleginnen und Kollegen. Bei allen Unternehmensänderungen müssen MAVen den selbstverständlichen Anspruch haben auf professionelle Unterstützung durch externen betriebswirtschaftlichen und juristischen Sachverstand. 
  • Unternehmerische Entscheidungen zu Betriebsänderungen dürfen nicht mehr nur der sogenannten Mitberatung (§ 46 Buchst. a MVG-EKD) unterliegen. Daher sind alle Formen von Betriebsänderungen in den Katalog der vollen Mitbestimmung aufzunehmen (analog § 40 MVG-EKD). 
  • Entsprechend sind in § 34 MVG-EKD die Informationsrechte der MAVen im Blick auf geplante Betriebsänderungen auszuweiten. Insbesondere müssen dem Wirtschaftsausschuss (nach § 23 Abs. 2 MVG-EKD) weitreichende Informationsrechte, das Recht auf Aushändigung von Unterlagen und zur Beteiligung an entsprechenden Arbeits- und Projektgruppen eingeräumt werden. 
  • „Wir sollten mehr Demokratie im (kirchlichen) Betrieb wagen!“ Die Unternehmensmitbestimmung muss auch für kirchliche Einrichtungen gelten. Die Diakonie handelt zwar am Markt wie weltliche Unternehmen auch, nutzt den Dritten Weg bzw. das kirchliche Arbeitsrecht zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen. Dies ist weder zeitgemäß noch gerecht.
Wir stellen fest: Wenn Ev. Kirche und v.a. die Diakonie sich bei ihren unternehmerischen Entscheidungen verhalten wie weltliche Unternehmen, dann ist kein Platz für die Privilegien des kirchlichen Arbeitsrechts!

Daher sprechen wir uns letztendlich für die Abschaffung des besonderen kirchlichen Arbeitsrechts aus. Der § 118 Abs. 2 des BetrVG und § 1 a Abs. 2 des BPersVG sind ersatzlos zu streichen. Auch der sog. Tendenzschutz, in § 118 Abs. 1, der die betriebliche Mitbestimmung in sog. Tendenzbetrieben regelt, muss auf den verkündungsnahen Bereich der Kirche eingegrenzt werden. Die rechtliche Benachteiligung von Arbeitnehmer*innen kirchlicher Einrichtungen muss ihr Ende finden. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände müssen im 21. Jahrhundert ankommen. Dies sei wertschätzend, im wohlverstandenen Eigeninteresse der Kirchen angemahnt. Wer sich nicht verändert, wird verändert – noch hält man das Heft des Handelns in der Hand.

Beschlossen am 08. Mai 2023 in Nürnberg
Quelle "ver.di Bayern FB-C: Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft - Kirchen"

Inwieweit diese Aussagen "über dem Gartenzaun" auch für die Einrichtungen der katholischen Kirche, insbesondere der Caritas, zutreffen - können die Beteiligten aus den katholischen Einrichtungen selbst beurteilen. Dass sich auch Einrichtungen, die eigentumsrechtlich zur Caritas gehören, "wie weltliche Einrichtungen im Wettbewerb verhalten" dürfte inzwischen allerdings unbestritten sein. Und was Umstrukturierungen, Zusammenschlüsse und Ausgründungen oder auch Schließungen betrifft: die sind schon seit Jahren selbst in den Einrichtungen der katholischen Kirche zu erkennen.

1 Kommentar:

  1. Zitat:
    Die katholische Kirche ist der größte Privatschulträger in Deutschland – noch. Denn Mitgliederschwund und sinkenden Taufzahlen begegnen Bistümer nicht selten mit Rückzug. Um Kosten zu sparen, trennt man sich von Bildungseinrichtungen. Auch das Erzbistum Köln, das zu den reichsten Diözesen Deutschlands zählt und im Jahr 2021 noch einen Gewinn von 84,7 Millionen Euro einstreichen konnte, beschreitet diesen Weg. Neben der LFS gibt man von den bislang 33 Schulen aktuell auch die Trägerschaft am Erzbischöflichen Friedrich-Spee-Kolleg in Neuss sowie der Tagesschule in Wuppertal-Dönberg ab. Ausschlaggebend sind meist Kennzahlen, wie sie auch rein auf Profit getrimmte Finanzchefs von Wirtschaftsunternehmen zurate ziehen: Nachfrage, Auslastung, Rentabilität. ...
    Zitat Ende
    - berichtet https://www.msn.com/de-de/nachrichten/panorama/erzbistum-k%C3%B6ln-gibt-gymnasium-auf-kardinal-woelki-behandelt-uns-mittelalterlich-und-von-oben-herab/ar-AA1bjtqh?ocid=msedgntp&cvid=be44f7f1da044020ab5272c8a682488f&ei=68
    - dann müssen aber auch die Mitwirkungsregelungen zumindest genauso sein wie bei Wirtschaftsunternehmen

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