Sonntag, 9. Februar 2020

Sonntagsnotizen - 100 Jahre Betriebsräte und innerbetriebliche Sozialpartnerschaft

Am 4. Februar 1920 - noch zu Zeiten der "Weimarer Republik" - trat das Betriebsrätegesetz in Kraft, das bis 1934 - als die Nationalsozialisten statt Mitbestimmung das Führerprinzip in den Betrieben durchsetzen 1*) - betriebliche Demokratie ermöglichten. Grundgedanke des Gesetzes war die Erkenntnis, dass es den Beschäftigten in den Unternehmen nur gut gehen konnte, wenn es auch den Unternehmen gut ging. Hieran sollten alle mitwirken können. Das Gesetz beschränkte die absolutistisch anmutende Herrschaft der Firmeninhaber und trug gleichzeitig zum Betriebsfrieden bei. Und - das "Betriebsrätegesetz" galt ganz selbstverständlich auch für die Kirchen und ihre Einrichtungen.

Mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 wurden Betriebsräte in der Bundesrepublik erneut gesetzlich verankert. Ausgenommen waren und sind lediglich die Behörden von Staat und Kommunen, für die es eigenen Personalvertretungsgesetze gibt - und die Kirchen mit ihren caritativen und erzieherischen Einrichtungen 2*).
Bis heute gilt: In Wirtschaftsunternehmen (auch bei kirchlichen Eigentümern) mit mindestens fünf Arbeitnehmern kann ein Betriebsrat gewählt werden.
Allerdings schwindet der Anteil der Unternehmen mit einem Betriebsrat immer mehr:
Mitte der 1990er Jahre wurden in den alten Ländern noch 51 Prozent der Beschäftigten von einem Betriebsrat vertreten, in Ostdeutschland waren es damals 43 Prozent. Heute arbeiten nur noch 42 Prozent der Beschäftigten in einer Firma mit Betriebsrat, im Osten sind es 35 Prozent. Besonders stark ist der Rückgang in mittelgroßen Betrieben mit 51 bis 500 Beschäftigten. Und Kleinbetriebe haben seit jeher kaum Betriebsräte, in denen die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber den Unternehmen mit einem gesetzlich geregelten Mitbestimmungsrecht vertreten werden.
Blickt man auf Gesamtzahl die Unternehmen, große wie kleine, haben aktuell überhaupt nur 9 bis 10 Prozent von ihnen einen Betriebsrat. … Norbert Kluge, Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hält das nicht für eine Folge mangelndes Interesse von Arbeitnehmern: „Der Rückhalt von Betriebsräten bei den Beschäftigten schwindet nicht. Ganz im Gegenteil.“ Bei den Betriebsratswahlen gebe es eine konstant hohe Beteiligung von etwa 75 Prozent: „Das ist weit höher als bei fast allen politischen Wahlen in Deutschland.“ (Quelle)
Wenn es als nicht an den Beschäftigten liegt - woran dann?

Der Anteil der kirchlichen Einrichtungen mit eigenen Mitarbeitervertretungen bewegt sich auf ähnlich niedrigem Niveau. Das haben wir schon vor Jahren eruiert:
Die Caritas-Zentralstatistik weist zum 31.12.2010 insgesamt 24.646 Einrichtungen aus. Dazu kommen die Einrichtungen der verfassten Kirche. Wieviele das sind, lässt sich nur andeutungsweise ermitteln. … Nach Eigenauskunft der BAG-MAV bestehen bei bundesweit 50.000 Einrichtungen nur rund 6.000 MAVen bei Caritas und verfasster Kirche. Die von der BAG-MAV genannten Zahlen von 50.000 Einrichtungen und 6.000 MAVen ergeben … rund 12 %.
Nach kirchlich-katholischer Soziallehre müsste die im Betriebsverfassungsgesetz verankerte Mitbestimmung der Beschäftigten auch in kirchlichen Einrichtungen gelten. Dafür spricht die eigene Soziallehre ("Mater et Magistra", also das päpstliche Lehramt selbst) einerseits und die von uns immer wieder zitierte universalkirchenrechtliche Vorschrift des c. 1286 CIC andererseits.


Anmerkungen:

1*) siehe B. Nr. 2 unseres Beitrages https://caritas-verdi.blogspot.com/2013/10/dienstgemeinschaft-idee-und-wirklichkeit.html
und unseren Beitrag hier https://caritas-verdi.blogspot.com/2018/10/sonntagsnotizen-kirche-im-aufbruch-und.html

2*) Die Argumentation einer "verfassungsrechtlichen Notwendigkeit" für diese Ausnahme greift nicht. Denn die Verfassungslage in der Bundesrepublik ist hinsichtlich der Kirchen mit der Weimarer Reichsverfassung identisch. Und seit dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik ist auch keine Rücksichtnahme auf einen "anderen deutschen Staat" nötig. Das aber waren die Hauptgründe, warum die Kirchen bei der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes vom Geltungsbereich ausgenommen wurden.

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