Freitag, 11. März 2016

Zwischenruf - Entgeltordnung (2)

Wie letzte Woche angekündigt werden wir den Blog in den nächsten Wochen nützen, um zwischendurch immer wieder einen Blick auf die Grundlagen und die Entwicklung zu werfen.
"Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet" (§ 611 BGB).
Der Dienstvertrag ist eben gerade kein Werkvertrag (§§ 631 ff BGB), der auf einen vereinbarten Erfolg (Herstellung eines Werkes) ausgerichtet ist. Was, so stellt sich die Frage, soll nun bei einem Dienstvertrag die Grundlage für die "vereinbarte Vergütung" sein?

Konkret: Was wird eigentlich bezahlt - geleistete Arbeit oder die Bereitstellung der Arbeitskraft?

Diese Frage ist nicht ohne Bedeutung. Und sie ist in der deutschen Tariflandschaft unterschiedlich geregelt *).

1. Geleistete Arbeit:
In den Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie wird die Tätigkeit bezahlt. Die geleistete Arbeit steht hier im Fokus des Tarifes.
Akkordlöhne honorieren eine höhere Arbeitsleistung, also ein "mehr an Produktivität". Wer (im vorgegebenen Zeitrahmen) z.B. beim Automobilzulieferer mehr Kupplungslamellen stanzt, soll auch entsprechend mehr Lohn erhalten. Und weil der Akkordlohn in der Regel auf einem (niedrigen) Grundlohn aufsetzt, wird durch die höhere Produktivität trotz der Akkordvergütung ein geringerer Lohnkostenanteil für jede gestanzte Lamelle erzielt. Stücklohnkosten sind ein wesentlicher Gesichtspunkt der betriebswirtschaftlichen Sichtweise in Fabrikationsstätten des produzierenden Gewerbes.

2. Bereitstellung der Arbeitskraft:
Anders ist das im Dienstleistungsbereich. Sowohl der BAT wie die Lohngruppenverzeichnisse der Arbeiter zielten auf die "Überlassung der Arbeitskraft" ab. Der Dienstvertrag wird hier als eine "entgeltliche Überlassung von Arbeitskraft" (für eine vereinbarte Wochenarbeitszeit) verstanden (Wendl mit Hinweis auf Klunzinger, 1993, 11; "Übungen im Privatrecht. Übersichten, Fragen und Fälle zum Bürgerlichen Handels- Gesellschafts- und Arbeitsrecht, München). Es liegt am Arbeitgeber, diese bereitgestellte Arbeitskraft auch "abzurufen". Wer seine Arbeitskraft vertragsgemäß anbietet, hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Entlohnung - auch, wenn der Arbeitgeber gerade keine Arbeitsleistung in Anspruch nimmt.

2.1. Beispiel öffentliche Verwaltung:

Diese - aus dem klassischen Beamten- und Verwaltungsbereich stammende Maxime - geht gerade nicht von der Zahl der Stempel aus, die ein Verwaltungsmitarbeiter unter ein Formular setzt, von der Zahl der Baugenehmigungen, die erteilt (oder verweigert) werden. Es kann vielmehr erwartet werden, dass jeder Bauantrag nach allen Anforderungen des Baurechts (mit den erforderlichen umfangreichen und vielseitigen Fachkenntnissen) geprüft wird. Weder die Zahl der genehmigten noch die Zahl der abgelehnten Bauanträge stellt eine akzeptable Grundlage für eine erfolgsorientierte Entlohnung dar. Die klassischen Verwaltungsmitarbeiter werden für die Qualität ihrer Arbeitsleistung honoriert, und nicht für den Stempel mit Unterschrift, also den abschließenden "Erfolg" - gerade weil Erfolg in der Verwaltung kaum bzw. nicht messbar, nicht qualifizierbar ist.
Die Beamtenbesoldung ist "alimentationsorientiert" und nicht leistungsbezogen. Es liegt am Arbeitgeber, die bereitgestellte Arbeitskraft durch entsprechende Tätigkeitszuweisungen auch abzurufen. Auch der Rechtsanwalt wird doch nicht für den Erfolg seiner Prozessvertretung oder die Seitenanzahl seiner Schriftsätze honoriert, sondern dafür, dass er sein Können (mehr oder weniger erfolgreich) in die Vertretung seines Mandanten einbringt. Dass die Verwaltungskraft ihre Leistung auch tatsächlich erbringt wird erwartet, (und soziologische Untersuchungen bestätigen, dass Mitarbeiter grundsätzlich leistungswillig sind) **). Das ist auch Bestandteil der besonderen Loyalität, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwartet wird - und zum Ausgleich dafür obliegt dem "Dienstherren" eine besondere Fürsorgepflicht, die den Schutz vor krankmachender Überforderung einschließt. Das ist - nebenbei bemerkt - auch für "den Bürger" wichtig, denn die haben einen Rechtsanspruch darauf, dass Eingaben und Anträge sachgerecht (sonst droht die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage) und zügig (sonst droht die Untätigkeitsklage) bearbeitet werden.
Dieses Verständnis ist gerade auch im Sozialbereich wichtig.

2.2. Beispiel Sozialbereich:
Auch hier geht es darum, dass pflegebedürftige Personen sachgerecht und zügig betreut, gefördert und versorgt werden, dass z.B. der Patient auch einmal ein persönliches Gespräch führen kann - ohne, dass dann andere Patienten abwarten oder gar auf etwas verzichten müssen. Es geht ggf. auch darum, einem Sterbenden die letzten Stunden die Hand zu halten, ihn auf diesem Weg zu begleiten - ohne dass andere Patienten erfolglos nach der einzigen Pflegekraft auf der Station klingeln müssen. Es geht eben nicht darum, wie viele Patienten in einer bestimmten Zeit abgefertigt werden können. Es geht auch nicht darum, im Akkord die Zahl der verabreichten Spritzen zu steigern.
Das ist doch gerade einer der Fehler einer neoliberalen, rein betriebswirtschaftlichen Denkweise, die in der Alten- und Krankenpflege, bei der Betreuung von Behinderten, von Kindern und anderen Bedürftigen auf einen Lohnkostenwettbewerb abhebt. Vor diesem Hintergrund wirkt es pervertiert, wenn die Finanzierung der Krankenpflege nach "Fallpauschalen" (also nach "Stückgutkosten") erfolgt. Diese Finanzierung ist auf die hohe Anzahl von bestimmten Operationen ausgerichtet. Je mehr (unter Umständen unnötige) Operationen durchgeführt werden, desto höher ist - bei gleichem Personalstand - die Finanzierung. Das führt dann dazu, dass ein Krankenpfleger immer mehr Patienten versorgen muss, sei das "auf Intensiv" oder auch auf der "normalen Station". Die Begleitung der Sterbenden wird nicht honoriert - wohl aber die möglicherweise unnötige Operation ("Fallzahlen"). Eine Situation die zur Überforderung, zum "burn out" führt - und nicht nur die Patienten, sondern auch die Beschäftigten gefährdet.
Soll nun diese pervertierte Form der Finanzierung der Dienstleistungen in der Sozialbranche auch die Grundlage für die Entlohnung der Beschäftigten sein? Sollen sich die (krank machenden) Arbeitsbedingungen auch im Lohnsystem wiederfinden?

Völlig abstrus wird die Situation, wenn Dienstleistungen durch den Missbrauch von Werkverträgen an Einzelpersonen ("24 Stunden Betreuer" z.B. zur Altenpflege oder für behinderte Menschen) oder externe Unternehmer vergeben werden. Welches Werk - bitte schön - soll denn in einem Altenheim, einem Krankenhaus oder einer Einrichtung des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE) hergestellt werden? Welches Werk erstellt der "Sozialbetreuer", der einen behinderten Menschen durch den Tag begleitet? Wer den Rollstuhl herstellt, erstellt ein Werk. Wer den Rollstuhl schiebt, erbringt eine Dienstleistung. Schon der Arzt wird sich (mit Recht) vehement wehren, wenn die Routineoperation nach den Kriterien des Werkvertragsrechts (mangelfreie und rechtzeitige Herstellung eines Werkes, §§ 631 ff BGB) vergütet und die Leistung des Arztes etwa bei der Blinddarm-OP nach dem Erfolg des hergestellten (?) Werkes honoriert würde. Es muss vielmehr erwartet werden, dass jeder Patient nach allen "Regeln der Kunst" betreut und versorgt wird.

Keine Nacht allein ist eine der einprägsamen Forderungen, die von ver.di zurecht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen erhoben werden. Und diese Forderung läuft klar der betriebswirtschaftlichen Denkweise entgegen - weil es um Menschen, um Patienten geht, und nicht um die Zahl der Fallpauschalen oder, um es provokant zu sagen, um "Stückgutkosten im Krankenhauswesen".

3. Schlußfolgerung:
Dienstleistungen können nur als "Bereitstellung von Arbeitskraft" für einen vereinbarten Zeitraum vergütet werden.

In der nächsten Folge:
Folgerungen aus dem Ergebnis, dass im Dienstleistungsbereich die Bereitstellung der Arbeitskraft im Fokus steht!



*) vgl. Michael Wendl in Sozialismus 12/2015 S. 53 ff
**) Ob diese Leistungsbereitschaft dann auch abgerufen wird, ist eine völlig andere Frage. Leistungsbereitschaft der Beschäftigten ist nur die eine Grundlage für echte Leistung. Es bedarf wesentlich mehr an Grundlagen, um auch tatsächlich Leistung erbringen zu können.
Tatsächlich erweisen sich gerade im Dienstleistungsbereich viele Bedingungen eher als Leistungsfeindlich, als demotivierend. Während in jedem betriebswirtschaftlichen Studium Grundlagen der Mitarbeitermotivation gelehrt werden, fehlt im Dienstleistungsbereich regelmäßig die entsprechende Kenntnis.
Und die LeistungsOrientierte Bezahlung (LOB) richtet den Fokus gerade auf die unwichtigste und am wenigstens nachhaltige Bedingung. Wesentlich motivierender sind z.B. Anerkennung und Arbeitsbedingungen wie Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheiten, die den kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugestanden werden. "Nachhaltig demotivierend" wirkt dagegen die Vorenthaltung des Lohnes, den sich die Beschäftigten aufgrund ihrer Leistung auch erwarten können, bevormundende Vorgaben wie ein angesetztes Ziel zu erreichen ist u.a. "kleinliche Gängelungen".

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