Freitag, 8. Februar 2013

Jahresbericht des Bundesarbeitsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht

Aus dem Jahresbericht des Bundesarbeitsgerichts 2012 die Passage zum kirchlichen Arbeitsrecht:
(S. 68ff)
Auseinandersetzungen im kirchlichen Bereich


In einem am 20. November 2012 (- 1 AZR 179/11 -) vom Ersten Senat entschiedenen Fall ging es um die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen in kirchlichen Einrichtungen. Der Senat hat entschieden, dass Gewerkschaften nicht zu einem Streik aufrufen dürfen, wenn eine Religionsgesellschaft über ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft  ausgerichtetes  Arbeitsrechtsregelungsverfahren  verfügt, bei dem die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gemeinsam aushandeln und einen Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden einer Schlich- tungskommission lösen (sog. Dritter Weg). Das gilt nach Ansicht des Senats jedoch nur, soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist. Das Recht der verfassten Kirche und ihrer diakonischen Einrichtungen aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV, die eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten, ist funktional auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bezogen. Das schließt die Befugnis ein, die Regelung der Arbeitsbedingungen einer paritä- tisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission sowie einer Schiedskommission mit einem unparteiischen Vorsitzenden zu übertragen. Dieses von staatlichen Gerichten nicht zu überprüfende religiöse Bekenntnis kollidiert mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft. Ein wesent- licher Zweck der geschützten Koalitionsbetätigungsfreiheit ist der Abschluss von Tarifverträgen, was auch Arbeitskampfmaßnahmen beinhalten kann. Diese Grundrechtskollision haben staatliche Gerichte bei der Entscheidung über einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch einem schonenden Ausgleich nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zuzuführen. Die Gewichtung dieser grundrechtlich geschützten Belange zur Herstellung praktischer Konkordanz lässt ein
Zurücktreten der Rechte einer Gewerkschaft nur zu, sofern diese sich innerhalb des Dritten Weges noch koalitionsmäßig betätigen kann, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich ist und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt wird.
Durch Urteil vom 20. November 2012 (- 1 AZR 611/11 -) hat der Erste Senat zudem über die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen im Bereich der vormaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) entschieden. Im Streitfall machte der klagende Arbeitgeberverband die Aufnahme von Tarifverhandlun- gen mit dem Marburger Bund vom Abschluss eines Grundlagentarifvertrags abhängig. Darin ist geregelt, dass Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung eines Tarifvertragsabschlusses unzulässig sind. Nach einer Schlichtungsvereinbarung entscheidet eine Schlichtungsstelle im Konfliktfall unter dem Vorsitz eines unparteiischen Schlichters über das Zustandekommen des Tarifvertrags (sog. Zweiter Weg). Hier sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig, wenn sich die Kirche entscheidet, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ihrer diakonischen Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungsabkommen zustimmt. Bei der vorzunehmen- den  Güterabwägung zwischen  dem  kirchlichen  Selbstbestimmungsrecht  aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV, Art. 4 GG und der Koalitionsbetäti- gungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ist zu berücksichtigen, dass sich eine Gewerkschaft auf dem Zweiten Weg koalitionsmäßig betätigen kann. Zwar kann sie zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen keinen Verhandlungsdruck durch Streikandrohung entfalten. Sie führt aber die Verhandlungen mit der Arbeitge- berseite autonom und muss keine Rücksicht auf die Interessen von Nichtmitgliedern nehmen. Ihr bleibt ein erhebliches Maß an Einflussnahme. Sie kann unmittelbar und intensiv ihrer vom Grundgesetz vorausgesetzten Zweckbestimmung nachkommen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zugunsten ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Die Nutzung des staatlichen Tarifrechts im Zweiten Weg garantiert zudem die Verbindlichkeit von Tarifabschlüssen als Mindestarbeitsbedingung. Abweichungen zulasten gewerkschaftlich Organisier- ter sind den verbandsgebundenen diakonischen Dienstgebern nicht möglich.
 Dieser Schutz kommt der Gewerkschaft auch bei der Mitgliederwerbung zugute. Danach hat ihr Streikrecht gegenüber dem im Zweiten Weg zum Ausdruck kommenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zurückzutreten. Da es jedoch aufgrund einer für den Senat bindenden Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburgs an einer für das Unterlassungsbegehren notwendigen Verletzungshandlung fehlte, hat er die ernstliche Besorgnis weiterer Störungen verneint und deshalb den Unterlassungsantrag des klagenden Arbeitgeberverbands abgewiesen.
In dem Fall, der beim Ersten Senat am 11. Dezember 2012 (- 1 AZR 552/11 -) zur Entscheidung anstand, haben die Parteien über ein Zutrittsrecht betriebsfremder Beauftragter der klagenden Gewerkschaft ver.di zum Klinikum der Be- klagten zum Zweck der Mitgliederwerbung gestritten. Die Beklagte ist Mitglied im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Württemberg. Nach den verlautbarten Zielen der Beklagten bilden die Mitarbeiter des Klinikums eine Dienstgemeinschaft. Den Arbeitsverhältnissen liegen Arbeitsvertragsbedingungen zugrunde, die durch eine paritätisch von Mitarbeiterseite und Kirchenleitung besetzte Kommission festgelegt werden. Mit ihrer Klage hat die Klägerin von der  Beklagten  verlangt  zu  dulden,  dass  betriebsfremde  Beauftragte  am
„Schwarzen Brett“ Informationsmaterial der Klägerin anbringen. Nachdem die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, hat die Beklagte die Ansprüche der Gewerkschaft in der Revision anerkannt. Daher hat der Senat durch Anerkenntnisurteil entschieden.


entnommen aus:
Jahresbericht des Bundesarbeitsgerichts 2012, S. 68ff

Nach einem Bericht der "Welt" müssten die BAG-Richter

"dieses Jahr unter anderem darüber befinden, ob die Entlassung eines Caritas-Mitarbeiters rechtens sei, dem gekündigt wurde, nachdem er unter Verweis auf die Missbrauchsfälle in der Kirche aus selbiger ausgetreten war."




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