Donnerstag, 25. November 2021

Koalitionsvertrag: Die erste Bilanz fällt gemischt aus – Ankündigung für Pflegebonus positiv

Koalitionsvertrag: Die erste Bilanz fällt gemischt aus – Ankündigung für Pflegebonus positiv

Kurzstatement von Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di): "Der Koalitionsvertrag ergibt auf den ersten Blick ein sehr gemischtes Bild: Er ist an einigen enttäuschend. So wird es künftig nicht mehr Steuergerechtigkeit geben, weder bei der Vermögenssteuer noch bei der Erbschaftssteuer. Es zeichnet sich auch kein wirklich sicherer Pfad für mehr Investitionen ab – die Schuldenbremse wird wieder in Kraft gesetzt, das ist negativ.

Im Bereich Arbeit und Soziales gibt es eine ganze Reihe positiver Punkte. Das betrifft etwa Ausbildung und Weiterbildung, das Schließen von Lücken in der Unternehmensmitbestimmung, das elektronische Zugangsrecht in Betriebe für Gewerkschaften. Bei der Rente haben sich die Grünen mit der staatlich organisierten und verpflichtenden Aktienrente durchgesetzt. Einzelheiten müssen noch analysiert werden – aber aus Sicht von ver.di schwächt dies die betriebliche Altersvorsorge. Leider hat sich auch an den Plänen der Ampelkoalition zur Anhebung der Hinzuverdienstgrenze von Minijobs nichts geändert.

Einen Erfolg gibt es hingegen bei der Arbeitszeit: Die geplante Öffnungsklausel für längere Arbeitszeiten und kürzere Ruhezeiten über Betriebsvereinbarungen ist vom Tisch, dies ist nur noch auf tarifvertraglicher Basis möglich. Solche Tarifverträge wird ver.di natürlich nicht abschließen. Das geplante Bundestariftreuegesetz ist positiv – die Ausgestaltung muss man sich natürlich genau anschauen. Erfreulich ist zudem, dass bei der Zergliederung von Unternehmen Betriebsübergänge nicht mehr dazu genutzt werden können, lästige Tarifverträge abzuschütteln. Zu den von uns geforderten Erleichterungen bei der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen findet sich allerdings außer viel Lyrik nichts Konkretes. Das ist schade. Die Kurzbilanz ist aber bei weitem noch nicht vollständig. Genauere Bewertungen etwa der Pläne in den Feldern Energie und Verkehr werden folgen müssen.

ver.di begrüßt zudem die Ankündigung von Olaf Scholz (SPD) eines Pflegebonus in Höhe von einer Milliarde als wichtiges Signal für die Beschäftigten, die durch die Corona-Pandemie besonders belastet und aufgrund der aktuellen dramatischen Situation vielfach mit ihren Kräften am Ende sind. Der angekündigte Bonus muss nun zeitnah an alle Berufsgruppen in den Krankenhäusern, der Altenpflege, den Reha-Einrichtungen und der Behindertenhilfe ausgezahlt werden."
Quelle: Presseveröffentlichung ver.di

Prof. Sell befasst sich in seinem Blog mit einem Teilaspekt der Vereinbarung:
Ein klassisches Tauschgeschäft: Der eine bekommt einen höheren Mindestlohn, der andere eine Verfestigung und Ausweitung der Minijobs. Trotz vieler Gegenargumente

Was uns allerdings primär interessiert, sind die Aussagen zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht.
In den Wahlprogrammen stand dazu:
SPD: "Gemeinsam mit den Kirchen wollen wir einen Weg erarbeiten, ihr Arbeitsrecht dem allgemeinen Arbeits- und Tarifrecht sowie der Betriebsverfassung anzugleichen."
B90Grüne: "So wollen wir, dass beispielsweise das kirchliche Arbeitsrecht reformiert und die gewerkschaftliche Mitbestimmung gefördert wird sowie die Ausnahmeklauseln für die Kirchen im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgehoben werden. Der religiöse Verkündigungsbereich bleibt hiervon unberührt."
FDP: „Ebenso müssen kirchliche Privilegien im Arbeitsrecht abgeschafft werden, soweit sie nicht Stellen betreffen, die eine religiöse Funktion ausüben."
Das ist dann im "Koalitionsvertrag" - also der gemeinsamen Absichtsbekundung der Ampel-Koalition - daraus geworden:
ab Zeile 2425
Tarifautonomie

Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken, damit faire Löhne in Deutschland bezahlt werden – dies befördert auch die nötige Lohnangleichung zwischen Ost und West. Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht. Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht werden wir verhindern, indem wir die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sicherstellen. Unangetastet bleibt § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang). Im Dialog mit den Sozialpartnern werden wir weitere Schritte zur Stärkung der Tarifbindung erarbeiten und hierbei insbesondere Möglichkeiten für weitere Experimentierräume erörtern.
Dazu unsere Frage:
Was ist mit Personalvertretung und der Mitbestimmung beim Betriebsübergang: - "kirchlich wird weltlich" - ist zwar gesetzlich nicht vorgesehen aber inzwischen normal, und die so entstandene Gesetzeslücke mit EU-Norm unvereinbar (Art. 1 Abs. 1 c mit Art. 6 der Richlinie 2001/23/EG)
Caritas-Verdi: Suchergebnisse für Betriebsübergang
Caritas-Verdi: Countdown zum 31.12.2013 - Teil II.

Mitbestimmung

Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Maßstäbe werden wir Online-Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt erproben. Wir schaffen ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht. Die sozial-ökologische Transformation und die Digitalisierung kann nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirksam gestaltet werden. Hinsichtlich dieser Fragen werden wir das Betriebsrätemodernisierungsgesetz evaluieren. Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein. Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.
Deutschland nimmt bei der Unternehmensmitbestimmung eine weltweit bedeutende Stellung ein. Die bestehenden nationalen Regelungen werden wir bewahren. Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Wir werden die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.
gemeinsam mit den Kirchen - also nicht gegen sie .... und wenn die nicht wollen, dann wollen die nicht.
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Kirchen entsprechende Änderungen nur "auf Druck" hin vornehmen. Das gilt für die Beteiligung von Gewerkschaften (höchstrichterliche Streikurteile) wie die Lockerung von Loyalitätspflichten (ebenfalls Rechtsprechung). Von sich aus haben es die Kirchen nicht einmal im Ansatz geschafft, die eigene Soziallehre (Gewerkschaftsprinzip der Sozialenzykliken) wie die "frohe Botschaft" umzusetzen. Sie "regieren" vielmehr immer noch mit Angst vor arbeitsvertraglichen Konsequenzen und Drohungen.
Und ein scheinbares Nachgeben wird mit der übergriffigen Ausweitung der eigenen Regelungsansprüche (Datenschutz) an anderer Stelle mehr als ausgeglichen.
Dazu dann vielsagend der vielfach für die Kirchen tätige Professor Joussen auf Twitter: "Dann lasst uns mal prüfen ..."


ab 'Zeile 3822
Kirchen und Religionsgemeinschaften

Kirchen und Religionsgemeinschaften sind ein wichtiger Teil unseres Gemeinwesens und leisten einen wertvollen Beitrag für das Zusammenleben und die Wertevermittlung in der Gesellschaft. Wir schätzen und achten ihr Wirken.
Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen. Wir entwickeln das Religionsverfassungsrecht im Sinne des kooperativen Trennungsmodells weiter und verbessern so die Beteiligung und Repräsentanz der Religionsgemeinschaften, insbesondere muslimischer Gemeinden. Dazu prüfen wir, ob hierfür Ergänzungen des Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften notwendig sind und erörtern dies in enger Abstimmung mit den betroffenen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Neuere, progressive und in Deutschland beheimatete islamische Gemeinschaften binden wir in diesen Prozess ein. Wir bauen die Ausbildungsprogramme für Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten in Zusammenarbeit mit den Ländern aus.
Mit Verlaub: das ist wischiwaschi.
1. Schon in den bisherigen Regelungen - für den Bund schon im Reichskonkordat - ist eindeutig geregelt, dass und wie die Staatsleistungen abzulösen sind.
2. Das Religionsverfassungsrecht muss nicht weiter entwickelt werden. Es reicht, die Kirchen auf die Schranken zurückzuführen, die für die Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten verfassungsrechtlich und insbesondere für die katholische Kirche auch in den Konkordatsvereinbarungen vorgegeben sind.
Schwurbeln in der Politik: das kennen wir ja schon ...

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