Mittwoch, 7. Juli 2021

Kliniken in Deutschland: Reserve- oder Überkapazitäten?

die (hoffentlich) halbweges überstandene Corona-Pandemie hat auch die deutschen Krankenhäuser und ihre Intensivversorgung nicht mehr nur "an die Grenzen der Belastbarkeit" gebracht. Vielfach musste sogar eine Überlastung verzeichnet werden. Geplante Operationen wurden verschoben, Notfall-Patienten wurden abgewiesen und mussten lange Irrfahrten zu anderen Kliniken auf sich nehmen.

Man möchte meinen, es war ein "heilsamer Schock". Die "Krankenhauspolitik" der letzten Jahre, die dominierend auf beständige Auslastung bei kürzesten Belegungszeiten gesetzt hat - und nicht medizinischen Anforderungen, sondern betriebswirtschaftlicher Logik unterlag, ist längst als Irrweg erwiesen.

Hat sich was geändert? Wird die Daseinsvorsorge, zu der die Gesundheitsdienste gehören, nun nach dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Sozialstaates ohne kommerzielle Interessen neu strukturiert?

Es gibt Menschen, die anscheinend nie dazu lernen:
Die «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» (FAZ) veröffentlicht am 03.07.2021 unter der Überschrift
„Wir haben 700 Kliniken mehr als nötig“
ein Interview mit dem aus der Ministerialbürokratie (und nicht aus medizinischen Kreisen) stammenden G-BA Vorsitzenden Josef Hecken (weitere Quelle mit ergänzenden Berichten: klick).
Dass die Betriebswirte in den Krankenkassen sowie die Vertreter der staatlichen Finanzministerien die "Kosten" möglichst reduzieren wollen, ist einleuchtend. Wir fragen uns aber, was jenseits der betriebswirtschaftlichen Interessen diejenigen aus medizinischer Sicht dazu sagen, die aufopferungsvoll für die Genesung der Patienten arbeiten.

Die Frankfurter Rundschau (FR) analysiert am gleichen Tag die Ursachen:
Versagen der Krankenhausfinanzierung: Kahlschlag mit System
und führt darin aus:
Deutschland hat ein duales Krankenhausfinanzierungssystem, die finanziellen Mittel stammen aus zwei Quellen. Für Bau, Unterhalt und Investitionen sind die Bundesländer zuständig. Die laufenden Kosten für Personal oder Material tragen die Krankenkassen. Beide Säulen der Finanzierung werden seit Jahren auf groteske Weise vernachlässigt und untergraben, so dass ein Zerstörungsprozess in der Krankenhauslandschaft die zwangsläufige Folge ist.

...
Das Versagen der dualen Krankenhausfinanzierung hatte zwei weitreichende Folgen: Schließungen und die Zunahme von Privatisierungen. Entscheidend sind die Bilanzen, nicht medizinische Notwendigkeiten. Weil das DRG-System etwa die kinderärztliche Tätigkeit völlig unterbewertet, schlossen viele Kinderkliniken wegen roter Zahlen. Eine ähnliche Entwicklung nahm die Geburtshilfe, die nie eine angemessene Abbildung in den DRGs gefunden hat, sodass bis heute ein Kreißsaal nach dem anderen geschlossen wird. ...

Krankenhausschließungen sind nichts anderes als Vernichtung von Gemeineigentum. Das geschieht völlig planlos, nicht nach Bedarf, sondern nach Bilanz. Krankenhausprivatisierungen sind Verschleuderung und Dividenden sind Diebstahl von Gemeineigentum.
Der Autor, Dr. med. Bernd Hontschik, ist selbst Chirurg und Publizist.

Muss man mehr sagen, um das Dilemma zu beleuchten?

Ja - die Auswirkungen des finanziellen Drucks auf die Motivation der Pflegenden haben wir noch nicht erwähnt:
«Pflegepersonen sind zunehmend desillusioniert»

...
Das Gesundheitssystem ist vielen Turbulenzen und zunehmenden ökonomischen Zwängen ausgesetzt. Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft des Pflegeberufs?

Es besteht die Gefahr, dass sich Pflegestudierende angesichts der ökonomischen Zwänge im Gesundheitswesen, die oft die Besonderheiten der Disziplin nicht berücksichtigen, von diesem grossartigen Beruf abwenden.

Die Pflegefachpersonen sind von der Realität im Alltag zunehmend desillusioniert. Er ist Zwängen unterworfen, die insbesondere von den Krankenkassen diktiert werden. Die Grundsätze der Disziplin Pflege werden dabei völlig ignoriert.
(schreibt eine Quelle aus dem gewerkschaftspolitisch neutralen Ausland)

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