Dienstag, 17. Juni 2014

Caritas und Grundordnung - war da was?

Mit  geradezu ambulanzschnellem Einsatz haben Caritas und Katholische Kirche auf zwei Entscheidungen aus Rom vom Jahr 2010 reagiert. Bis zum 31. Dezember 2013, so hieß es, muss die Grundordnung  in den Statuten der einzelnen kirchlichen Gesellschaften, der Vereine und Genossenschaften, der Orden und und und rechtsverbindlich übernommen werden. Sonst, so die unterschwellige Drohung, dürfe die jeweilige Einrichtung nicht mehr das kirchliche Arbeitsrecht anwenden. Sie müsse sich den Normen des Betriebsverfassungsgesetzes beugen und würde den Gewerkschaften zum Fraß vorgeworfen! Beelzebub ante portas!



Und jetzt?
Aus kirchlichen Arbeitnehmerkreisen war zu hören, dass zu Jahresbeginn die Quote der Einrichtungen, die mit der Übernahme der Grundordnung  konfrontiert waren und ihr entsprochen hatten, diözesan unterschiedlich, zwischen siebzig bis neunzig Prozent lag. Valide Zahlen wurden bislang nicht veröffentlicht. Offenbar waren die zweieinhalb Jahre zwischen der Neufassung der Grundordnung  und dem Termin »spätestens zum 31. Dezember 2013« zu knapp, um der Verpflichtung zu genügen. Wobei es neben der eigentlich zu erwartenden  gehorsamen Übernahme alle möglichen Varianten gab: Nichtübernahme, zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellte Übernahme, dispensierte Verspätung, Ignorieren der Norm...

Wo die Grundordnung  nicht übernommen wurde, war zum 1. Januar den Mitarbeitervertretungen (MAVen) die Rechtsgrundlage entzogen. Natürlich war es aber auch nicht so, dass man sich jetzt in Einrichtungen, die keine oder schwache MAVen hatten, plötzlich darum gerissen hätte, Betriebsräte wählen zu dürfen, sowenig wie die weggefallene Missbilligung von Arbeitskämpfen  gleich zu wilden Streiks geführt hätte.

Nur- wo bleibt die Konsequenz der Bischöfe und des Caritasverbandes? Wo bleibt eine klare Veröffentlichung in den diözesanen Amtsblättern, welche Einrichtungen künftig  noch oder nicht mehr dem kirchlichen Arbeitsrecht unterliegen? Dürfen die Beschäftigten nicht wissen, ob sie kirchliche Loyalitätspflichten auch in ihrem Privatleben beachten müssen?

Nur in wenigen Einrichtungen ist die dezidierte Entscheidung getroffen  worden, sich auf Dauer nicht mehr der Grundordnung zu unterwerfen. Die Beschäftigten dieser Einrichtungen finden sich seit dem 1. Januar außerhalb der Dienstgemeinschaft wieder und haben von einem Tag auf den anderen nicht mehr Teil am Sendungsauftrag der Kirche. Dass dieser Sachverhalt ein Aspekt theologischer Sorge gewesen wäre, konnte man in keiner der zahlreichen Konferenzen und Veranstaltungen, die es zu diesem Thema gab, erfahren und in keinem der ungezählten juristischen Analysen und Expertisen lesen, die die einschlägigen juristischen Fachzeitschriften füllen. Vielleicht auch, weil das Thema ausschließlich Juristen und Kirchenfunktionäre im Feld des kirchlichen Arbeitsrechts interessiert und ansonsten weder die Theologen, noch die Gläubigen, noch die Mitarbeiter/innen, noch die Klient/innen der kirchlichen oder nun nichtkirchlichen Dienste. Ob die Praxis der Nächstenliebe in qualitativer oder quantitativer Hinsicht von der Frage der Übernahme der Grundordnung berührt wird, wäre eine spannende Frage, die interessante Debatten verspräche, wenn sie denn geführt  würden.

Dort wo man die Grundordnung  fristgerecht über­nommen hat, hat  man die kirchlichen Normen formal respektiert. Wenngleich auch klar ist: Wer das Recht hat, die Grundordnung  in die Satzung zu übernehmen, kann sie aus dieser Satzung auch wieder  entfernen. Jene, die dieser Norm dann unterworfen werden und auch ihr Privatleben an der katholischen Sittenlehre zu  orientieren haben, haben es da deutlich schwerer: Mit der neuen Partnerschaft nach einer gescheiterten Ehe oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft riskiert man seinen Arbeitsplatz.

ln den zahlreichen Einrichtungen, die die Grundordnung  nicht zum Stichtag übernommen haben, sondern die Verpflichtung  erst später erfüllt  haben, wird es nach Einschätzung der Kirchenjuristen künftig  zwei Arten von Mitarbeiter/innen geben: solche, für die die starken Loyalitätspflichten  gelten und solche, die nur die einfachen Loyalitätspflichten  zu beachten haben, die eigentlich jedem Arbeitnehmer  auch weltlicher Betriebe selbstverständlich sind. Spannend könnte es werden, wie die Gerichte diese Konstellation bewerten, die der ohnehin bestehenden prekären Konsistenz der Sanktionierung von Loyalitätsverstößen einen weiteren Aspekt hinzufügt.

Was sich abzeichnet, wenn man sich einen Über­ blick über die verschiedenen Varianten der Übernahme und Nichtübernahme verschafft, ist: Sogar viele kirchen- und ordenseigene Betriebe und Einrichtungen haben, auch unabhängig von betrieblichen Zwecken, die Wahl, die Grundordnung  zu übernehmen oder nicht zu übernehmen -selbst die hundertprozentige Trägerschaft einer sozialen Einrichtung durch Kirche und/oder  Caritas zieht nicht zwangsläufig die Verpflichtung zur Übernahme der Grundordnung nach sich.
Wie auch immer: Zweck des ganzen Unternehmens ist weiterhin, Gewerkschaften und Betriebsräte aus den kirchlichen Betrieben fernzuhalten, dies aber nicht ohne die Bedeutung ihrer Tarifverträge und Tätigkeiten für die Arbeitnehmer/innen und das Gemeinwohl in Sonntagsreden und -predigten hochzuhalten. Für kirchliche Betriebe genügen die Surrogate, die sich der Vorbilder (Tarifverträge, staatliche Mitbestimmungsregelungen, Gewerkschaften) zwar als Vorlagen für entsprechende Light-Versionen bedienen, sie aber gleichzeitig verachten und schwächen, indem sie suggerieren, dass es ohne selbstbewusste und selbstorganisierte Arbeitnehmerorganisationen Fortschritte bei Arbeitnehmer­rechten und Arbeitsbedingungen geben könnte.

Man mag sich gar nicht  vorstellen, welchen Schwung die Branchen Pflege, Gesundheit, Erziehung und Soziales erfahren könnten, wenn die Beschäftigten sich Konfessions-, Wohlfahrtsverbands-  und Arbeit­geberübergreifend  gemeinsam für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Ergebnisqualitäten ihrer Arbeitsgebiete einsetzen würden und dabei auch Unterstützung von den Kirchen erhalten würden.

Ein Erfordernis der grundgesetzlich garantierten  Religionsfreiheit ist das Sonderrecht der Kirchen jedenfalls nicht: Niemand behauptet ernsthaft, in den europäischen Ländern, die kein kirchliches Sonderarbeitsrecht kennen, würde  die Religionsfreiheit systematisch missachtet.


Grundordnung der Katholischen Kirche – Randnotizen aus gegebenem Anlass


Einrichtungen der Katholischen  Kirche mussten sich zum Jahreswechsel für oder gegen die Grundordnung entscheiden. Indes: Keine Einrichtung interessiert  es.
In einem süddeutschen Bistum soll der Generalvikar im Amtsblatt veröffentlicht  haben, dass die vom Bischof als Gesetzgeber gesetzte Übernahmefrist  erst einmal für alle Bedürftigen  verlängert wird. Der Leiter der Verwaltung befreit vom Gesetz?
Grundordnung? Können wir selbst!

Eine ambulante Krankenhilfe erklärt den Mitarbeitern, dass künftig  die Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) nicht mehr angewendet  werden kann, aber das Betriebsverfassungsgesetz auch nicht angewendet werden darf - und die Beschäftigten lassen sich breitschlagen und wählen einen Sprecher/in der Beschäftigten.  Ohne Rechte, ohne Pflichten, aber ganz vertrauensvoll.
Grundordnung? Ohne alles lebt  es sich so befreit!

Gewerbebetriebe  in kirchlichem Eigentum, die bisher einen Betriebsrat hatten, sollen plötzlich »erzieherisch oder caritativ tätig« sein, und daher nicht mehr dem Betriebsverfassungsgesetz unterliegen.
Grundordnung? Ganz neue Möglichkeiten!

Caritativ (gemeinnützig) oder erzieherisch tätig oder nicht? Die Entscheidung über die Übernahme/Nichtübernahme der Grundordnung  erfolgte  häufig nach pragmatischen/wirtschaftlichen Überlegungen, nicht nach kirchlichen oder juristischen Vorgaben.
Grundordnung? Mal  sehen, ob sie zu uns passt.

Die kirchlichen Arbeitsgerichte stehen wie der Erzengel Michael mit dem Flammenschwert und prüfen, ob sie in einem Streitverfahren überhaupt  zuständig sind, ob denn die Grundordnung wirklich  rechtzeitig in den Statuen verankert wurde.
Grundordnung? Anarchie!

Aus der ultimativen Drohung der »Entkirchlichung« ist - was geworden?  Kuschelkurs mit allen, die sich schon bisher nicht die Bohne um die Vorgaben der Bischöfe gekümmert  haben? Hauptsache, der katholische »Liebeskonzern« bleibt möglichst umfangreich erhalten. Und seit der ADAC vom Finanzamt geprüft  wird, weiß man ja allgemein, dass ein angeblich »gemeinnütziger Verein« irgendwie  weniger Steuern zahlen muss, als ein gewerbliches Unternehmen.
Grundordnung? Sind wir doch irgendwie alle.

Der kreißende Berg gebar eine Maus - oder so. Wer derart »großzügig« mit seiner Sonderrolle spielt, riskiert seinen Sonderweg. Aber wie könnte man »Besonderheit« auch bezeichnen? Das Wort »absonderlich« trifft es wohl besser.


(aus: Kircheninfo Nr. 23/Sommer 2014, S 25ff)

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