Donnerstag, 13. November 2025

§ Arbeitsgericht Erfurt untersagt Streik in kircheneigener Einrichtung

Am 29. Oktober hatten wir auf die anstehende Urteilsverkündung hingewiesen. Am 12. November hat das Arbeitsgericht Erfurt - erwartungsgemäß - sein Urteil zu Lasten des verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsrechts verkündet. (Urt. v. 13.11.25, Az. 5 Ca 1304/24)

Die evangelische Kirche Mitteldeutschlands, die Diakonie und das Klinikum ließen den Streikaufruf von ver.di im einstweiligen Rechtsschutz untersagen (Landesarbeitsgericht (LAG) Erfurt, Urt. v. 11.10.2024, Az. 1 SaGa 10/24).
Leitsatz
1. Die Entscheidung der Kirchen, das Verfahren ihrer kollektiven Arbeitsrechtssetzung am bekenntnismäßigen Leitbild der Dienstgemeinschaft auszurichten und nach den Grundsätzen einer partnerschaftlichen Lösung von Interessengegensätzen auszugestalten (sog. Dritter Weg), schließt den Arbeitskampf zur Gestaltung von Arbeitsverhältnissen durch Tarifvertrag aus. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte koalitionsmäßige Betätigung der Gewerkschaften tritt dahinter zurück (in Anlehnung an BAG 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 - Juris).(Rn.192)

2. Da ein Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen in kirchlichen Einrichtungen allerdings mit der grundgesetzlich gewährleisteten Koalitionsfreiheit kollidiert, ist im Wege einer Güterabwägung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ein Ausgleich der jeweils widerstreitenden Grundrechte herbeizuführen.(Rn.197) Arbeitskampfmaßnahmen sind daher nur dann ausgeschlossen, wenn das Arbeitsrechtsregelungsverfahren bestimmte verfahrensrechtliche Anforderungen - paritätische Besetzung der Kommission, Schlichtungskommission unter neutralem Vorsitz - erfüllt, Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite verbindlich ist.(Rn.200)

3. Nach dem im einstweiligen Verfügungsverfahren anzulegenden Prüfungsmaßstab erfüllt das Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst des Diakonischen Werkes Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland e.V. (Arbeitsrechtsregelungsgesetz DW.EKM - ARRG-DW.EKM) diese verfahrensrechtlichen Anforderungen.(Rn.214)
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(Quelle)

Dabei blieb es nun auch in der Hauptsache:
Vergleich auch LTO - Legal Tribune Online: Kirche darf Streik im Kli­nikum Weimar unter­sagen
Deutsches Ärzteblatt vom 12.11.2025: Arbeitsgericht Erfurt verbietet Warnstreik an kirchlicher Klinik

Die Entscheidung des Arbeitsgerichs hat - ebenso erwartungsgemäß - ein vielfältiges Echo gefunden.

Kirchennahe Kommentatoren begrüßen das Urteil:
Caritas Dienstgeberseite: ArbG Erfurt: Untersagung von Arbeitskämpfen in Diakonischen Einrichtungen (womit sich die Caritas-Arbeitgeber massiv gegen das päpstliche Lehramt in Form der Sozialenzykliken stemmen)
Domradio vom 13.11.2025: Arbeitsgericht Erfurt untersagt Streiks an kirchlichem Klinikum

Unabhängige Berichterstatter üben dagegen deutlich Kritik: Der Humanistische Pressedienst (HPD) nimmt sich dagegen des Urteils mit kritischen Worten an:
Arbeitsgericht Erfurt verbietet Warnstreik in kirchlich getragenem Krankenhaus
Tarifverhandlungen im "geschwisterlichen Gespräch"

Dass rund 1,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kirchlicher Träger wie Caritas oder Diakonie arbeitsrechtlich schlechter dastehen als ihre Kollegen in anderen Bereichen, kann wohl nur der Gesetzgeber ändern. Von der Justiz jedenfalls ist bislang keine entsprechende Rechtsprechung zu erwarten. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt, das den Arbeitnehmern eines Krankenhauses in kirchlicher Trägerschaft das Streikrecht verweigert.
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Das "letzte Wort" ist noch nicht gesprochen. Man darf gespannt sein, wie sich das Bundesarbeitsgericht zu dieser Frage positioniert. Es hat schon vor Jahren entschieden, dass "Tarifverhandlungen ohne Streikrecht nichts anderes als kollektives Betteln" sind (Urteil vom 10.06.1980 - 1 AZR 168/79, Rd.Nr. 22 - vgl. BAG Urteil vom 12.03.1985 - 1 AZR 636/82). Und das hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. Beschlüsse vom 09.07.2020 - 1 BvR 719/19 und 1 BvR 720/19 - Rd.Nr. 14 / Pressemitteilung Nr. 67/2020 vom 5. August 2020

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