Mittwoch, 5. Februar 2025

Vor 150 Jahren - preußischer Kulturkampf "auf einem Höhepunkt", Auswirkungen auf das Staatskirchenrecht

Im Februar 1875 wandte sich Pius IX. in seiner Enzyklika "Quod nunquam" an die Bischöfe in Preußen. Damit erreichte der "preußische Kulturkampf" einen neuen Höhepunkt - und dessen Ergebnis sollte bis heute über die "Weimarer Verfassung" und das "Reichskonkordat" das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen in Deutschland prägen.

Kurz gesagt:
Mit den "polnischen Teilungen", also der schrittweisen Aufteilung des polnisch-litauischen Staatsgebietes in den Jahren 1772 (1. Teilung), 1793 (2. Teilung) und 1795 (3. Teilung) unter Russland, Preußen und Österreich war die protestantische Nation Preußen mit einer großen, katholisch geprägten Bevölkerungsschicht konfrontiert. Der Grundsatz des Cuius regio, eius religio, auch cuius regio, illius religio (lateinisch für wessen Gebiet, dessen Religion, im damaligen Sprachgebrauch oft wes der Fürst, des der Glaub’) der seit dem 16. Jahrhundert den religiösen Frieden gewährleistet hatte (Passauer Vertrag von 1552 und Augsburger Religionsfrieden von 1555) konnte nicht mehr länger gelten.

In einer ähnlichen Situation - mit umgekehrten Vorzeichen - befanden sich die süddeutschen Länder, die infolge der Säkularisaion und der napoleonischen Neuordnung nicht nur erhebliche protestantische Bevölkerungsteile unter katholischen Herrschern erworben hatten (für Bayern vgl. Haus der bayerischen Geschichte), sondern mit der Verwaltung des säkularisierten Kirchengutes auch die aus den Vermögenserträgen zu bezahlenden Leistungen (Seelsorge, Religionsunterricht - Unterhalt von Priestern und Hilfspersonen wie Mesnern und dem entsprechenden Gebäudebestand - Kirchen, Pfarr- und Mesnerhäuser) übernehmen mussten.
Staat (also katholische Fürstenhäuser) und Kirche mussten sich also einigen, wer über die Besetzung entsprechender Stellen ("Pfründe") zu entscheiden hatte. Der Staat wollte natürlich keine Personen besolden, die nicht zugleich auch treu zum Staat standen. In den katholischen Ländern war es relativ leicht, eine entsprechende Vereinbarung zu schließen. Das Bayerische Konkordat vom 24. Oktober 1817 - also ein Staatskirchenvertrag, der zwischen dem Königreich Bayern und dem Heiligen Stuhl abgeschlossen wurde - regelte die entsprechende "Konkordanz". Und die - nicht durch eine ausländische Zentralgewalt gehinderten - bayrischen Protestanten bemühten sich, gleichberechtigte Leistungen aus der Staatskasse zu erhalten, ohne dem Staat all zu viel Einfluß auf die Stellenbesetzungen geben zu müssen.

Bedeutend schwieriger war das in den protestantisch geführten Ländern, insbesondere in Preußen. Da war nicht nur der Papst in Italien, der mit der staatlich (protestantisch) geforderten Stellenbesetzung katholischer Seelsorgestellen eine "Protestantisierung" der katholischen Kirche in Preußen befürchtete. Als "Gegenmittel" wurde 1870 im 1. Vatikanischen Konzil - übrigens mit der Zustimmung der polnischen Bischöfe und gegen den Protest des deutschen Episkopats, das zumindest zum Teil schon vor der entscheidenden Abstimmung abgereist war - das "Unfehlbarkeitsdogma" beschlossen.

Da war - zu allem Überfluß - auch noch eine zunehmende nationalpolnische Widerstandsbewegung, die sich insbesondere unter dem Mantel der "Katholizität" zusammen fand. Katholisch - das war gleichbedeutend mit polnisch. Nur unter dem Mantel der katholischen Kirche konnte das polnische Nationalbewusstein wachsen - in Abgrenzung zu den protestantischen Preußen und den orthodoxen Russen. Katholische Vereine für alle möglichen Bereiche des Lebens entstanden - nicht nur in Polen, sondern auch im gesamten deutschen Reichsgebiet. Das wiederum konnte dem protestantischen Herrscherhaus nicht gefallen, die mit zunehmener Gewalt versuchten, sich die katholische Kirche im Lande "untertan" zu machen.
Gleichzeitig nahm die Zentralisierung in Deutschland zu. Die Konstituierung des Deutschen Kaiserreichs erfolgte im Jahr 1871 und damit die Entstehung des modernen deutschen Nationalstaats - symbolisiert durch den 18. Januar 1871, an dem der der preußische König Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert wurde
* 1870: Pius IX. erklärt auf dem Ersten Vatikanischen Konzil Päpste für unfehlbar.

* 1871: Der sogenannte Kanzelparagraf verbietet es Geistlichen im Deutschen Reich, sich in ihrem Amt politisch zu äußern. Seither werden Geistliche mit Haftstrafen belegt, wenn sie sich im Amt politisch äußern. 1875 sind ein Viertel der katholischen Pfarrstellen unbesetzt, entweder weil ihre Inhaber im Gefängnis oder untergetaucht sind. Keiner der elf Bischöfe in Preußen ist mehr im Amt, fünf von ihnen sogar in Haft.

* 1872: Verbot des Jesuitenordens, Schulaufsichtsgesetz in Preußen: Alle Schulen werden unter staatliche Kontrolle gestellt.

* 1873: Der Mediziner und Parlamentsabgeordnete Rudolf Virchow prägt den Begriff "Kulturkampf" und meint damit das Ringen um die Unabhängigkeit der modernen Kultur von der Kirche. "Maigesetze" stellen unter anderem die Ausbildung des Klerus in Preußen unter staatliche Kontrolle.

* 1874: Preußen beschließt, dass Standesbeamte Eheschließungen beurkunden müssen (Zivilehe).

* 1875: Am 5. Februar veröffentlicht Papst Pius IX. die Enzyklika "Quod nunquam", worin er die preußischen Kulturkampfgesetze verurteilt und für nichtig erklärt. Am 6. Februar führt auch das Deutsche Reich die obligatorische Zivilehe ein. Niemand darf nun kirchlich heiraten, der sich nicht zuvor schon auf einem Standesamt das Jawort gegeben hat. Am 26. April entzieht das "Brotkorbgesetz" der katholischen Kirche in Preußen staatliche Leistungen. Im Mai verbietet Preußen alle Orden, mit Ausnahme jener, die sich der Krankenpflege widmen.
(Quelle)

Mit den Herausforderungen, denen sich Preußens Herrscher - nun als Deutsche Kaiser - gegenüber sahen, verlor die "innerpreußische Auseinandersetzung" zunehmend an Bedeutung - und mit den Verhandlungen zwischen dem Papst und dem Reich (ab 1878) und der Rücknahme diverser Gesetze (ab 1886) war auch für Preußen der Weg für eine Neuordnung der Verhältnisse geebnet. Das Preußenkonkordat vom 14. Juni 1929 - ein Staatskirchenvertrag, der zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl - setzte wohl einen endgültigen Schlußstrich. Dabei dienten die Konkordate mit anderen deutschen Ländern und die am 31. Juli 1919 in Weimar beschlossene, am 11. August unterzeichnete und am 14. August 1919 verkündete erste demokratische Verfassung Deutschlands ("Weimarer Reichsverfassung") offensichtlich genauso als Vorbild, wie das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 auf diesen Grundlagen aufbaut.

Was wollen wir damit sagen?
Nun, das heutige Staatskirchenrecht ist keinesfalls "in Stein gemeisselt". Es ist das Ergebnis eines über Jahrzehnte hin andauernden dynamischen Prozesses. Und genauso, wie dieser Prozess dynamisch war, kann die staatskirchenrechtliche Grundlage auch in Zukunft dynamisch gestaltet und verändert werden. Aus staatlicher Sicht spiegelt das Staatskirchenrecht immer auch die Haltung der Gesellschaft einerseits und der Herrschenden andererseits zur Kirche wieder. Die Haltung der Gesellschaft zur Kirche hat sich - unter tatkräftiger "Mithilfe" kirchlicher Kreise und ihrer Skandale - in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Die Gesellschaft ist bunter,freier und säkukarer, aber deshalb nicht weniger religiös geworden. Es wäre verwunderlich, wenn sich diese gesellschaftliche Entwicklung nicht auch auf das Staatskirchenrecht auswirken würde.
Es stünde den Kirchen und ihren Vertretern gut an, sich nicht mit allen Fingernägeln an überholten Privilegien fest zu krallen, um nicht von der Entwicklung vollends überrollt zu werden. Ein guter Einstieg wäre, freiwillig und selbst auf Privilegien zu verzichten, die längst nicht mehr zeitgemäß sind. Im sogenannten "kirchlichen Arbeitsrecht" gibt es da noch genug zu tun.

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