Donnerstag, 3. Dezember 2020

Rund um die Pflege - nichts Neues unter der Wintersonne?

Heute widmen wir uns einmal einigen aktuellen Twittermeldungen.
Der Lambertus-Verlag weist auf einen Artikel im Schwäbischen Tablatt hin:
Tarifvertrag
Gemeinsam für bessere Pflege?

Bundesarbeitsminister Heil will eine verbindliche Vereinbarung für die 1,2 Millionen Beschäftigten. Die Wohlfahrtsverbände prüfen das. Widerstand kommt von anderer Seite.

02.12.2020
und dort wird dann ausgeführt:
...
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte an, Abhilfe zu schaffen: mit einer finanziellen Aufwertung der Pflegearbeit und einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Branche, der Dumpinglöhne ausschließen soll. Die Vorbereitungen für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag haben die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche BVAP im September abgeschlossen. Die Frage ist nun: Wer im Pflegebereich wird sich dafür erwärmen? Die Frage richtet sich an die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, so wie an private Träger.
Die Wohlfahrtsverbände zählen mit rund 40 Prozent zu den großen Anbietern im Bereich der Altenpflege. Ihre tarifrechtlichen Angelegenheiten regeln sie selbst. Das Grundgesetz garantiert Kirchen das Recht auf Selbstorganisation, und das umfasst auch den Bereich des Arbeitsrechtes. Kirchliche Arbeitgeber kennen weder Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, noch ein Streikrecht. In den 70er Jahren entwickelte sich daraus der sogenannte „Dritte Weg“.
Er sei eine Konsequenz aus der Nachkriegszeit und der Erfahrung zweier Diktaturen, sagt der Wirtschaftsethiker und Professor für evangelische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum, Traugott Jähnichen. In der NS-Zeit und später auch in der DDR habe die Politik versucht, auf Einrichtungen der Diakonie Einfluss zu nehmen. Solche Eingriffe wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes fortan ausschließen *).
Die Politik billigte den Kirchen zu, dass sich ihr Dienstrecht nicht allein an weltlichen Anforderungen orientieren muss. Man sprach von einer besonderen geistlichen Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, und schuf den Begriff der „Dienstgemeinschaft“. Sie steht für einen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Konsens, hat aber auch eine privatrechtliche Dimension. An Beschäftigte in kirchlichen Kindergärten, Heimen und Kliniken wurden Ansprüche auch in Bezug auf die persönliche Lebensführung gestellt; auf katholischer Seite strenger als auf evangelischer. Diese Eingriffe wurden durch Gerichte zuletzt in Schranken gewiesen.
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Einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die knapp 1,2 Millionen in der Pflege Beschäftigten, wie ihn Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) anstrebt, steht der Caritas-Verband nicht generell ablehnend gegenüber. „Als Caritas haben wir schon ein grundsätzliches Interesse an guten und angemessenen Entgelten in der Pflege“, **) sagt Beyer (Anm.: Norbert Beyer, Referatsleiter Arbeitsrecht beim Caritas-Verband).
...
Der Wettbewerb um begehrte Pflegekräfte wird im Westen seit Jahren über den Gehaltszettel ausgetragen. Abwerbungen von schlechter zahlenden Einrichtungen sind gang und gäbe. Einzelne Heime, bei denen neben der Entlohnung auch das Arbeitsklima stimmt, führen trotz Pflegenotstand sogar Wartelisten mit geeigneten Bewerbern.
Die Diakonie will sich zum Vorstoß vorläufig nicht äußern. Zuerst müsse sich die arbeitsrechtliche Kommission mit den Vorschlägen befassen, teilt Pressesprecherin Kathrin Klinkusch mit. Traugott Jähnichen meint jedoch, eine allgemeinverbindliche Regelung habe für alle den Vorteil, dass sie nicht unterboten werden könne, auch nicht von privaten Arbeitgebern. Von dieser Seite werde immer wieder Druck auf die Kostenträger ausgeübt, der sich dann oft negativ auf die Lohnentwicklung niederschlägt. Jähnichen: „Ein Flächentarifvertrag wäre eine sinnvolle Weiterentwicklung des Dritten Weges.“
Knapp 60 Prozent der Heime und ambulanten Dienste werden von privaten Arbeitgebern betrieben. Diese lehnen bindende Vorgaben ab und drohen mit dem Bundesverfassungsgericht. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums haben 2018 nur 40 Prozent der Pflegeheime ihre Angestellten nach Tarif bezahlt, bei den ambulanten Pflegediensten seien es 26 Prozent.
Der Mindestlohn in der Altenpflege liegt derzeit bei 11,60 Euro im Westen und 11,20 Euro im Osten Deutschlands. Nach Verdi und BVAP soll das Entgelt zum Juli 2021 um rund zehn Prozent über dem Pflegemindestlohn liegen. In drei Schritten soll der Stundenlohn für Pflegefachkräfte auf 18,50 Euro und für Pflegehelfer auf 14,15 Euro steigen. Auch der Urlaubsanspruch soll sich auf 28 Tage erhöhen.
Das Schwäbische Tagblatt verlinkt dann noch einen weiteren Artikel:
Tarifvertrag
„Der Ball liegt bei den Kirchen“
Mitte September schon wurde der Entwurf eines Tarifvertrags für die Altenpflege zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche vereinbart. Der Vorstandssprecher der BVAP, Gero Kettler, erklärt, warum bislang so wenig geschehen ist.

Ver.di twittert dagegen eine Frage in die Runde:
In der #Pflege fehlt es an Fachkräften. Doch wie viele sind es bis 2030? Was schätzt du?
(die Antwort gibt es hier "klick mich")

Dass der Personalmangel eines der größten Probleme ist, sieht wohl auch die Diakonie:
Pflege
Aktualisiert am 03.12.2020 - 08:59
Diakonie warnt vor Überlastung
Der Personalmangel ist das Hauptproblem bei der Bekämpfung der Pandemie. Corona verschärfe die Lage drastisch, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie.

Und was machen kirchlche Träger?

Sie fusionieren und verstärken damit den Trend, weg von der Gemeinnützigkeit und hin zur Gewinnerzielung:
DiCV Mainz scheidet als Gesellschafter zweier Krankenhäuser aus Die Marienhaus Holding übernimmt vom Caritasverband für die Diözese Mainz die Anteile an zwei Krankenhäusern und einer Servicegesellschaft. Der Verband gibt damit die Verantwortung für die Krankenhäuser vollständig auf. ...
Na, ob das mehr christliche Nächstenliebe oder wenigstens besser bezahlte und damit mehr Pflegekräfte bringt?
(Die einzige Auswirkung ist doch, dass der Druck auf die MitarbeiterInnen zunimmt und der Caritasverband für die Diözese Mainz dann nicht mehr in die Verantwortung gezogen wird)


*)
Nein - wollten sie nicht; sonst hätten sie nicht die noch in der NS-Zeit geltenden Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung (WRV) im Grundgesetz übernommen. Und bei der Veröffentlichung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) war die am 07. Oktober 1949 gegründete DDR noch gar nicht existent. Diese den Vätern des Grundgesetzes zugeschriebene Absicht ist offenbar Geschichtsfälschung. Die Väter des Grundgesetzes wollten eine Beibehaltung der staatskirchenrechtlichen Regelungen der WRV.
Und die WRV beschränkt das Recht der Kirchen auf die Selbstordnung und Selbstverwaltung der eigenen Angelegenheiten, wozu - wie der systematische Vergleich mit den Konkordatsvereinbarungen, insbesondere dem Reichskonkordat (RKonk) zeigt, die Arbeitsverträge mit Nichtkatholiken gar nicht gehören können. Hier handelt es sich allenfalls um gemeinsame, nicht aber kircheneigene Angelegenheiten.
Die Kirchen könnten zwar eigene Dienstverhältnisse wie Mitgliedschaften in Ordensgemeinschaften schaffen - dort, wo sie sich in Form einer Rechtswahl aber für das weltliche Arbeitsvertragsrecht entschieden haben, gilt dieses weltliche Arbeitsvertragsrecht, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahrzehnten festgestellt hat (B. vom 4. Juni 1985 -- 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 --, Rd.Nr. 60 und 61 der Begründung).

**)
Das ist also der Hintergrund für die spröde Haltung der Dienstgeberseite in den aktuellen Verhandlungen der Bundeskommission der AK-Caritas - aha

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