Sonntag, 28. März 2021

Sonntagsnotizen - und Presseecho (9): "Diese Woche hat beispielhaft gezeigt, wie sehr die katholische Kirche sich von ihren Gläubigen entfremdet hat."

meint die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar vom 21. März und führt aus:
Die Geschwindigkeit, mit der es nun hohe Geistliche hinwegfegt, ist für katholische Verhältnisse atemberaubend. Man kann das Gutachten durchaus kritisieren für seine rein juristische Perspektive. Doch die Wirkung ist schon jetzt unbestreitbar. Hinter den 18. März kommt die Kirche insgesamt nicht mehr zurück. In vielen deutschen Bistümern wird man die Nachrichten aus Köln mit wachsendem Unbehagen verfolgen. Irgendwann wird der Nebel sich ganz verziehen, und dann stehen sie da, die Brüder.

Diese Einschätzung der Süddeutschen Zeitung korrespondiert mit dem Ergebnis einer Umfrage, die "katholisch.de" sowie "Kirche und Leben" am Freitag veröffentlichten:
Jeder Vierte denke über Austritt nach
Umfrage: Katholische Kirche hat massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt
"Die katholische Kirche in Deutschland hat in den letzten Monaten an Glaubwürdigkeit verloren": Bei einer neuen Erhebung erhält diese Aussage große Zustimmung. Dazu erwäge jeder Vierte, aus der Kirche auszutreten – aus verschiedenen Gründen.
...

Und die Zeitschrift PUBLIK Forum bringt als Schlagzeile:
Lügen! Vertuschen! Diskriminieren! Jetzt gilt es, Farbe zu bekennen

das vatikanische Verbot, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, hat einen Proteststurm unter Gläubigen, Theologen und Bischöfen entfacht. Ordensleute hissen die Regenbogenflagge am Kirchturm. Schockierend ist zudem, was ein Gutachten zum Missbrauch im Erzbistum Köln ans Licht gebracht hat. Der Druck auf Kardinal Woelki wächst.

Zudem in dieser Ausgabe:
Lass dich nicht erwischen!
Die Botschaft des Kölner Missbrauchsgutachtens: Zurücktreten muss nur, wer die Akten nicht ausreichend säubern konnte.
...
und verweist im Internet auf
Pflege weiter zu schlecht bezahlt - Die Caritas-Arbeitgeber verhindern einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Altenpflege. Arbeitnehmer sprechen von »Super-GAU«. ...

Der »Super-GAU« war dann auch Thema eines Interviews im Münchner Kirchenradio (radio mk.online bzw. MKR) :
Unsolidarisch und falsch, habe sich der Caritas Verband mit seiner Entscheidung verhalten, sagen sogar die eigenen Mitarbeiter. Wie es dazu kam und wie es jetzt weitergeht, darüber sprechen Robert Hinke von der Gewerkschaft Verdi und Gabriele Stark-Angermeier aus dem Caritas Vorstand im Erzbistum München und Freising in Total Sozial.
(Der Podcast "Total Sozial" vom 26. März 2021 - Radiobeitrag 30 Minuten - Stark-Angermeier beklagt den "Imageschaden" und behauptet entgegen § 84 Abs. 2 S. 5 SGB XI
Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden.
eine Gefährdung der Refinanzierung der Caritas-Einrichtungen). Ist diese Behauptung glaubwürdig?


Glaubwürdigkeit - wir haben in Zusammenhang mit der eigenen Soziallehre und dem Arbeitsrecht der deutschen Kirche immer wieder auf die Widersprüche zwischen "Anspruch" und "Wirklichkeit" hingewiesen (dieser Widerspruch ist offenbar in der Umfrage nicht abgefragt worden), auf den beinahe flehentlichen Appell der Würzburger Synode, "bei den Gewerkschaften mit zu tun" einerseits und die (kirchengesetzlich in Art. 7 Abs. 2 der Grundordnung *) sogar normierten) Blockade von gewerkschaftlichem Engagement und Tarifautonomie in den kirchlichen Einrichtungen andererseits.
Und geradezu offenkundig wurde das Glaubwürdigkeitsproblem in der Entscheidung der Arbeitgeber der Caritas, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Altenpflege insgesamt zu blockieren - und damit die Schmutzkonkurrenz durch kommerzielle Anbieter zu stärken.

Aber ist das kirchliche Arbeitsrecht, etwa mit seinen Konsequenzen bei sogenannten Loyalitätsverstößen, nicht insgesamt ein Glaubwürdigkeitsproblem? Wird die "frohe Botschaft" durch Angst glaubwürdiger?

Nun haben wir eine "Kultur der Angst" schon mehrfach angesprochen. Diese "Verbotskultur" geht einher mit einem "System der Unzuständigkeit, der fehlenden Rechtsklarheit, der fehlenden Kontrollmöglichkeiten und der Intransparenz", dessen wichtigstes Ziel allerdings klar scheint:
"Reputationsschäden von der Kirche abzuwenden"
(wie das Domradio aus Köln das dortige Missbrauchsgutachten analysiert).

Ist die Kirche noch zu retten? - fragte jetzt der WDR (Video-Aufzeichnung 1:28 u.a. bei Youtube, Live übertragen am 25.03.2021)


Tatsächlich findet sich eine systemische Ursache, die allen derzeit hochgespülten Skandalen in der und um die Kirche gemeinsam ist - und auch andere Organisationen einbezieht. Der SPIEGEL bring es auf den Punkt:
Machtmissbrauch in CDU/CSU und katholischer Kirche
...
Was haben Korruption in CDU/CSU, #MeToo-Vorwürfe an deutschen Theatern und Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gemeinsam? Überall nutzen Menschen an der Spitze ihre Macht aus – was sich nun ändern muss.
...
Praktischerweise lassen sich der Übersicht halber beachtlich viele zentrale Nachrichten dieser Tage unter einem Stichwort zusammenfassen: Machtmissbrauch. In der CDU/CSU, in der Kirche, im Theater.
So unterschiedlich die Fälle sind, so sehr gleichen sie sich darin, dass sie in Institutionen geschehen, in denen der falsche Umgang mit Macht ein strukturelles Problem ist. »Strukturell« mag inzwischen ein etwas ausgelutschtes Wort sein, aber passt trotzdem gut, denn es heißt: sich permanent wiederholend und in den gelebten Werten der jeweiligen Gruppe angelegt.
...
Es ist eigentlich bekannt, dass Machtmissbrauch besonders oft da stattfindet, wo die Macht ungleich verteilt ist. Macht an sich ist nicht das Problem. Wenn Macht die Fähigkeit von Subjekten ist, mit Wirkung im sozialen Raum zu handeln, dann kann sie einer Gruppe gehören, die sich gegenseitig kontrolliert und abstimmt. Das Problem sind Hierarchien.
Nun, wir können uns auf die starke hierarchische Struktur der Kirche beschränken - und auf das Selbstverständnis, das in den diversen Stellungnahmen zu aktuellen Themen durchklingt. Die ZEIT hat das in einem Kommentar von Hannes Leitlein aufgenommen und mit den Worten charakterisiert:
... – die Kirche hat ein Arroganzproblem.



Anmerkungen:
*)
Wie der Text von Art. 7 Abs. 2 der Grundordnung
Wegen der Einheit des kirchlichen Dienstes und der Dienstgemeinschaft als Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts schließen kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.
mit Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
in Konkordanz gebracht werden kann, müssen die Bischöfe immer noch erklären.
Dazu jedenfalls Kühling AuR 2001 (S. 241 ff), im Ergebnis auch schon Gamillscheg (Festschrift für Zeuner, 1991, S.9, 50) - vgl. Schiering.org

siehe auch
Presseecho (1) zur Altenpflege: Beschluss der AK Caritas Bundeskommission
Presseecho (2): Caritas erledigt Drecksarbeit
Presseecho (3) zur Altenpflege: Beschluss der AK Caritas Bundeskommission - Machtmissbrauch in der / durch die Kirche?
Presseecho (4) zur Altenpflege: Caritas unter Druck
Presseecho (5) - Demonstrationen vor mehreren Caritas-Standorten vom 8./9. März
Presseecho (6): Keine Ruhe im Caritas-Karton
Presseecho (7) - Die Medien lassen nicht locker ... wieder einmal: Tarifverhandlungen in der Altenpflege
Sonntagsnotizen - und Presseecho (8) - kostet das Drama um Pandemie und Altenheime die Kanzlerschaft?

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