Sonntag, 14. März 2021

Presseecho (6): Keine Ruhe im Caritas-Karton

siehe auch
Presseecho (1) zur Altenpflege: Beschluss der AK Caritas Bundeskommission
Presseecho (2): Caritas erledigt Drecksarbeit
Presseecho (3) zur Altenpflege: Beschluss der AK Caritas Bundeskommission - Machtmissbrauch in der / durch die Kirche?
Presseecho (4) zur Altenpflege: Caritas unter Druck
Presseecho (5) - Demonstrationen vor mehreren Caritas-Standorten vom 8./9. März


Es kehr keine Ruhe ein. Auf einzelne bemerkenswerte Reaktionen der Medien haben wir bereits in den letzten Tagen hingewiesen. Nun wird es Zeit, nochmal eine Abrundung vorzunehmen:

Die Fachzeitschrift "Altenpflege" schrieb am 8. Februar online:
Caritas-Präsident: Tarifabsage schadet dem Verband
In außergewöhnlicher Deutlichkeit hat der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, eingeräumt, dass dem katholischen Verband durch die Ablehnung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags für die Altenpflege Schaden entstanden ist.
und verwies am 11. Februar auf die
Stern-Petition: "Ein kollektiver Hilferuf"
"Rund 330.000 Unterschriften für die Petition sind ein kollektiver Hilferuf und ein starkes Signal für bessere Arbeitsbedingungen der Profession Pflege in Deutschland", sagt Christine Vogler, Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR). Am 1. März hatte sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Petition des Magazins "Stern" "Pflege in Würde" beschäftigt. Der DPR unterstützt die Petition des Stern-Journalisten Dr. Bernhard Albrecht, der sich auch mit dem Deutschen Pflegerat inhaltlich ausgetauscht habe.

Am 11. Februar
berichtete auch der Deutschlandfunk
Das Veto der Caritas und seine Folgen
Ein neuer Tarifvertrag sollte für bessere Bezahlung in der Altenpflege sorgen. Die Arbeitgeberseite der Caritas, einer der größten Player, stimmte dagegen. Von einer Minderheit in der Branche lasse man sich nichts aufzwingen, so die Begründung. Dafür erntet der katholische Wohlfahrtsverband heftige Kritik.
und weiter zunächst über Rechfertigungsversuche und Ausflüchte:
Dann aber sei dann die Refinanzierung unsicher. Zudem zahle die Caritas sowieso schon weit bessere Löhne als in der Branche üblich. Man bräuchte daher keinen neuen Tarifvertrag, sagt (Diplom-Verwaltungswirt Norbert Altmann, Sprecher der Caritas-Arbeitgeberseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission).

„Caritas und Diakonie haben keine Verantwortung übernommen“
Dem Argument aber kann Thomas Rühl von der Caritas-Arbeitnehmergegenseite nicht folgen: „Es ist nicht nur so, dass wir überall wer weiß was für tolle Vergütungen zahlen. Dann kommt ja von der Arbeitgeberseite immer das Argument: und die teure Zusatzversorgung! Da muss man doch mal sehen, was kriegt denn eine Pflegekraft, die jetzt eine Hilfskraft ist. Und wir haben in der stationären Altenpflege einen großen Anteil von Pflegehilfskräften, die keine Ausbildung haben. Wenn das einer 40 Jahre gemacht hat, dann hat er vielleicht eine Zusatzrente von 300 Euro. Also das sind jetzt nicht Reichtümer, die da verdient werden.“

Das sieht der Kölner Pflegewissenschaftler Martin Dichter auch so. Mit dem Veto der Caritas gegen einen allgemeinverbindlichen Flächentarifvertrag und dem verweigerten Votum der Diakonie würden die Kirchen auf Dauer großen Schaden anrichten: „Caritas und Diakonie haben keine Verantwortung übernommen für die Attraktivität des Pflegeberufes. Es gibt Berechnungen, wenn man als examinierte Pflegefachperson einen Stundenlohn von 15 Euro hat, das ist ja das, was als Mindestlohn derzeit in der Pflege angestrebt wird, dann muss man 42 Jahre arbeiten und erhält dann eine Rente auf Höhe der Grundsicherung. Das heißt, viele Pflegefachpersonen werden in Altersarmut mit Mini-Renten landen. Erst recht dann, wenn man sieht, wie viele Menschen gar nicht in Vollzeit beschäftigt sind, sondern nur in Teilzeit.“

Pflegekommission: „Erwartung ist gleich Null“
Der Weg über einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag ist wegen des Caritas-Votums also vorerst gescheitert. Arbeitsminister Hubertus Heil will nun die Pflege-Mindestlohnkommission anrufen. Doch die sei wenig effektiv, sagt ver.di-Tarifexperte Axel Weinsberg: „Der Weg über die Pflegekommission ist ja der Weg, der seit 10 Jahren gescheitert ist. Da sitzen Caritas und Diakonie drin und die privaten Anbieter, die sagen, nein wir wollen keine nachhaltige Verbesserung. Die sagen, wir wollen das in Cent-Schritten über Jahre entwickeln. Unsere Erwartung an die 5. Pflegekommission ist gleich Null, weil wir es mit den gleichen Akteuren zu tun haben wie jetzt auch schon.“

Ebenso berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland:
Caritas-Präsident verteidigt Scheitern des Tarifvertrags für die Altenpflege
Der erste bundesweite Tarifvertrag für die Altenpflege ist Ende Februar nach einem Ablehnen der Caritas gescheitert.
Caritas-Präsident Peter Neher reagiert nun auf die Kritik an der Wohlfahrtsorganisation.
Er will die Entscheidung jedoch nicht rückgängig machen.

...


Vor diesem Hintergrund sind dann auch die erneuten Warnungen vor einem Mangel an Pflegepersonal zu bewerten.
Corona-News im Ticker: "Flucht unbedingt stoppen": Experten warnen vor Mangel an Pflegepersonal
...
"Wir müssen die Flucht aus dem Pflegeberuf unbedingt stoppen." In der beginnenden dritten Welle der Pandemie hielten die Pflegenden derzeit aus Pflichtgefühl noch durch, die Frage sei aber, was danach komme, warnte Marx. Nach einer neuen Umfrage überlegten rund 32 Prozent der Pflegenden derzeit, aus dem Beruf auszusteigen. ...
berichtet auch der Tagesspiegel und verweist auf
Unzureichende Bezahlung, Überlastung, keine psychosozialen Hilfsangebote: Immer mehr Pflegekräfte geben ihren Job auf. Experten fordern konkrete Verbesserungen.
und auch der SR berichtet:
Kündigungswelle von Pflegekräften befürchtet
Die Corona-Pandemie hat nach Ansicht der Gewerkschaft Verdi den Pflegenotstand weiter verschärft. Verdi befürchtet, dass im Saarland nach der Pandemie viele Beschäftigte aus dem Pflegeberuf ausscheiden werden.


....und verweist auf eine Studie der Bremer Arbeitnehmerkammer.

VIELE FACHKRÄFTE KÖNNEN SICH RÜCKKEHR VORSTELLEN
Die Kammer hatte unter dem Titel "Ich pflege wieder, wenn.." ausgebildete Pflegekräfte gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, in den Pflegeberuf zurückzukehren. 87,5 Prozent bejahten diese Frage. Fast drei von vier befragten Teilzeitkräften waren grundsätzlich zu einer Stundenerhöhung bereit. Allerdings müssten sich dafür die Rahmenbedingungen grundsätzlich ändern.
Die Kammer fasst zusammen, Bedingung für eine Rückkehr bzw. Stundenerhöhung sei
"den eigenen Ansprüchen entsprechend und unter Anerkennung ihrer Fachlichkeit pflegen zu können, dabei von Vorgesetzten wertgeschätzt zu werden, betrieblich mitbestimmen zu können, das Privatleben nicht immer wieder ungeplant der Arbeit unterordnen zu müssen, psychisch gesund zu bleiben und dabei der Verantwortung angemessen bezahlt zu werden".
Unterdessen dauert es immer länger, offene Stellen in den Pflegeberufen zu besetzen. ....
Bundesweit betrug die Vakanzzeit in der Altenpflege im vergangenen Jahr 188 Tage, in der Gesundheits- und Krankenpflege 173 Tage.

Aber das wussten die Arbeitgeber der Caritas ja schon vor ihrem Blockadebeschluss und jetzt erst recht ....


Nachtrag 16.03.2021
Auf Caritas.de (neue caritas) findet sich nicht nur ein Kommentar zum Thema
Tarifvertrag Altenpflege: Nachhaltiger Flurschaden
Der Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission, der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags Altenpflege nicht zuzustimmen, war kommunikativ ein Desaster. Das Image der Caritas ist massiv beschädigt.

...
"Ausgerechnet die Caritas" titelt die Taz, "Ideologie schlägt Humanität" findet N-TV und Zeit Online schreibt: "Die von der Kirche machen nicht mit."

Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung braucht für seine Überschrift nur ein Wort: "Egoistisch". Einzig das Handelsblatt lobt, dass sich die Caritas nicht vor den Karren der Politik spannen ließ, um "einen bundesweiten Pflegetarifvertrag herbeizutricksen"

In den sozialen Medien werden dazu mehrere Tausend Kommentare veröffentlicht. Ignoriert man die übliche Empörungsrhetorik, wird deutlich: Die Leute sind entsetzt über die vertane "historische Chance", die Bedingungen für viele Mitarbeitende in der Pflege zu verbessern und renditeorientierten Betreibern von Pflegeeinrichtungen das Wasser abzugraben.

Mitglieder von Verdi und der AWO prügeln verbal auf die Caritas ein, SPDler(innen) unterstützen sie. Bodo Ramelow twittert, der Beschluss sei "tarifpolitisch falsch und gesamtgesellschaftlich eine Katastrophe". Hinzu kommen Kritiker(innen), die die "Sonderrechte der Kirchen" abschaffen wollen. Doch es mischen sich auch Pfleger(innen) ein. Sie sind enttäuscht und wütend. Das Bild, das sie zeichnen, ist das einer selbstgefälligen Caritas, die in ihrer Jahreskampagne für mehr Wertschätzung in der Pflege wirbt und sich nun unsolidarisch aus der Verantwortung stiehlt. "Es hätte euch nichts weggenommen, uns aber so viel gegeben!", schreibt eine Userin im Netz.
sondern auch eine interessante Diskussion, auf die wir gerne aufmerksam machen.

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