In der Caritas streiten sich "Markt-Caritas" und "sozialanwaltliche Caritas", analysiert Sozialethiker Bernhard Emunds. Dieser Konflikt ist nicht geklärt, weshalb sich der Sozialverband nicht nur durch die Ablehnung des Pflege-Flächentarifs in einer Krise befindet – und die Kirche gleich mit.Quelle und mehr: katholisch.de
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Frage: Professor Emunds, "die Caritas wird für die Kirche zu einer öffentlichen Belastung", heißt es in dem Papier der Sozialethikerinnen und Sozialethiker. Ist das nicht etwas hart formuliert? Wenn die Kirche momentan für etwas noch geschätzt wird, dann für ihr soziales Engagement.
Bernhard Emunds: Tatsächlich gelten die Kirchen in der Gesellschaft heute dort noch als glaubwürdig, wo es um ihr soziales Engagement geht – in zahllosen Initiativen, aber eben auch bei Caritas und Diakonie. Das ist aber in den letzten Jahren brüchig geworden, weil die beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbände der Ökonomisierung sozialer Dienstleistungen nicht entgegengetreten sind, sondern im Grunde einfach mitgespielt haben. Und jetzt, mit der Blockade des Flächentarifs, sind wir an einem Punkt, wo die Caritas das bereits schlechte Image der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit verstärkt – das zeigt auch die große öffentliche Aufregung.
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Zum einen folgte die Markt-Caritas *) einer kurzsichtig-betriebswirtschaftlichen Logik, die Flächentarifverträge nur als Beschneiden unternehmerischer Freiheit begreift. So haben sich die Vorstände der katholischen Sozialkonzerne die Ablehnung des Tarifvertrags Altenpflege durch die privat-gewinnwirtschaftlichen Träger zu eigen gemacht. Zum anderen ist es aber auch den anderen Akteuren in der Caritas nicht gelungen, das Management der caritativen Unternehmen von einer längerfristigen Strategie zu überzeugen – ob sie es in ausreichendem Maße versucht haben, müssen sie sich selber fragen! Bei einer solchen Langfriststrategie setzt man darauf, dass auf die Dauer auch das eigene Unternehmen von verpflichtenden Mindeststandards für alle profitiert. Denn solche Regeln sichern die Handlungsspielräume von morgen. Sie verhindern, dass der Wettbewerb über die Arbeitskosten ausgetragen wird, verhindern also, dass in der Zukunft auch das eigene Unternehmen gezwungen sein wird, den Beschäftigten schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhnen zuzumuten. Im aktuellen Fall der Pflege könnten sie verhindern, dass man auch künftig gezwungen sein wird, weit hinter den dringend gebotenen Verbesserungen zurückzubleiben. Die Überzeugung, dass es allgemein verbindliche Tarifverträge braucht, um gleiche Ausgangsbedingungen für alle zu schaffen, ist deshalb nicht nur in der kirchlichen Sozialverkündigung fest verankert, sondern wird auch in der Ökonomie breit vertreten: Nur dann benachteiligt der Wettbewerb nicht die, die anständige Löhne zahlen und anständige Arbeitsbedingungen schaffen. Im Übrigen gehört es zur Tradition der freien Wohlfahrtspflege, dass die Verbände und ihre Mitglieder die sozialen Dienstleistungen, in denen sie tätig sind, und damit auch die Arbeitsbedingungen der Dienstleisterinnen und Dienstleister positiv zu gestalten suchen. Dieses Erbe hat die Caritas nun, mit dem Nein zum Flächentarifvertrag, aufs Spiel gesetzt.
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Frage: Halten sie es überhaupt für plausibel, dass die Kirchen am Dritten Weg festhalten?
Emunds: Nein, nicht in den Bereichen, in denen Caritas und Diakonie auf Wettbewerbsmärkte aktiv sind. Aber gerade bei der Caritas tun sich beide Seiten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sehr schwer, vom Dritten Weg wegzukommen und auf den Zweiten Weg zu wechseln. Die Arbeitnehmerseite hängt am Dritten Weg, weil sie hofft, durch Appell an das soziale Gewissen der „Dienstgeber“ und unter Berufung auf die katholische Soziallehre bessere Konditionen auszuhandeln. Und die Arbeitgeberseite, vor allem das Management der großen caritativen Unternehmen, setzt darauf, im Dritten Weg mehr Freiheiten zu haben als im Zweiten. Diese unternehmerische Freiheit will man sich bewahren. Aber eigentlich ist für Branchen wie der Pflege **) der Dritte Weg am Ende, was vielleicht auch in die Entscheidung über den Flächentarif mit hineingespielt hat.
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Frage: Das sind Ihre Argumente – aber werden die auch von den Beteiligten gehört?
Emunds: Ich hoffe es. Es führt kein Weg daran vorbei, dass der Konflikt in der Caritas noch einmal ganz grundsätzlich aufgearbeitet wird – auch als Konflikt zwischen den verschiedenen Akteuren im Deutschen Caritasverband. Ich hoffe, dass diese Aufarbeitung auch sozialwissenschaftlich und vielleicht auch sozialethisch informiert geschieht, mit Wissen darüber, wie der soziale Sektor sich entwickelt und welche Herausforderungen das für die Kirche mit sich bringt. Dabei ist grundsätzlich zu überlegen, wie man zu Regelungen kommt, die den aktuellen Herausforderungen in der boomenden Sozial- und Gesundheitsbranche gerecht werden und was die Caritas dazu beitragen kann. Die Regelungen des Dritten Wegs scheinen mir da doch vor allem ein Klotz am Bein zu sein.
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siehe auch Domradio: >Sozialethiker sieht kircheneigenes Tarifrecht "am Ende" - Konflikt müsse "ganz grundsätzlich" aufgearbeitet werden<
Anmerkungen:
*)
Die "Markt-Caritas" oder "Unternehmens-Caritas" agiert mit ihren Einrichtungen wie jeder gewerbliche Anbieter - nicht uneigennützig sondern mit der Absicht zur Gewinnerzielung. Wir haben uns schon öfter gefragt, wieso diese gewerblichen Unternehmen von einem Privileg betroffen sein sollen, das nur der (verfassten) Kirche und ihren gewerblichen oder erzieherischen Einrichtungen zusteht - der Befreiung vom Betriebsverfassungsgesetz und den Personalvertretungsgesetzen.
Die Befreiung ist lediglich aufgrund der Eigentümersituation begründet. Aber auch ein großer deutscher Autokonzern in Ingolstadt wird keine caritative Einrichtung, wenn das Bistum Eichstätt die Mehrheit der Aktien erwerben würde.
Ein Altenheim oder Krankenhaus mit einem kirchlichen Eigentümer unterscheidet sich betriebswirtschaftlich gesehen in keiner Weise von einer gleichartigen Einrichtung der AWO, des Roten Kreuzes oder insbesondere auch prviat geführten Krankenhauskonzernen. Und das gilt auch für die Einrichtungen des "Sozialkonzerns Caritas". Auch dort werden die Aufwendungen für das Personal als "Kostenfaktor" gesehen, den man möglichst gering halten muss, um Erträge zu erzielen (vgl. "Quadragesimo anno" 109 und "Mater et magistra", 36).
**)
"Kirche und Leben" weist in einem ebenfalls heute veröffentlichten Beitrag auf nackte Zahlen hin:
Deutschland verliert in der Corona-Pandemie 9.000 Pflegekräfte
Deutschland hat in der Pandemie tausende Pflegekräfte verloren.
Der Rückgang betrifft Krankenhäuser ebenso wie die Altenpflege.
Das geht aus bislang unveröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor.
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