Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag Altenpflege gescheitertInzwischen haben auch die größeren Medien *) das Thema aufgegriffen:
Die Abstimmung zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags in der Altenpflege ergab keine Mehrheit für den Antrag. Schon im Vorfeld hatten einige Dienstgebervertreter in der Öffentlichkeit Bedenken gegen eine derartige Regelung geäußert. Damit ist das Anliegen durch die Ablehnung der Bundeskommission gescheitert.
...
Wir können nicht alle Medienberichte vermelden, daher nur eine Auswahl unter den online zugänglichen seriösen Publikationen.
HEUTE (ZDF) meldet:
Caritas stimmt nicht zuund bemerkt dann, wer die Entscheidung kritisiert - und wer sie lobt, in wessen Interesse also die Weigerung der Caritas-Arbeitgeber erfolgt ist.
-Altenpflege-Tarifvertrag vorerst gescheitert
Bessere Löhne für Altenpfleger - das sollte ein Branchentarif garantieren. Aber die Caritas hat den Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit abgelehnt....
N-TV ist etwas deutlicher:
"Ideologie schlägt Humanität"
Caritas verhindert flächendeckenden Altenpflege-Tarifvertrag
Seit Monaten stellt die Politik den Altenpflegern in Deutschland eine Regelung für bessere Löhnen in Aussicht. Nun kommt der flächendeckende Tarifvertrag für die Altenpflege wohl doch nicht zustande. Die Caritas ist dagegen.
Der geplante flächendeckende Tarifvertrag für die Altenpflege in Deutschland steht vor dem Aus. Die Arbeitgeberseite der Caritas hat sich dagegengestellt. ...
Die Süddeutsche Zeitung schreibt:
Bundesweiter Tarifvertrag gescheitert
Kein Ende der Dumping-Gehälter: Verdi, einige Arbeitgeber und Arbeitsminister Heil wollten höhere Mindestlöhne in der Altenpflege durchsetzen - und scheitern an der Caritas
Die Tagesschau berichtet:
Flächendeckender Tarifvertrag vor dem Ausund verweist ebenfalls auf: "Genugtuung herrschte hingegen bei privaten Pflegeanbietern."
Die Hoffnungen der Gewerkschaften waren groß: Ein flächendeckender Tarifvertrag für die Altenpflege sollte die Lohnungleichheiten in der Branche endlich beenden. Doch nun hat die Caritas ihr Veto eingelegt. ....
Der Tagesspiegel dazu:
Kein Tarifvertrag für die Altenpflege
Caritas blockiert Allgemeinverbindlichkeit
Überraschende Entscheidung der Caritas-Arbeitgeber. Arbeitnehmervertreter sind entsetzt: Schlechter Tag für Pflegekräfte. ...
Die taz berichtet ebenfalls:
Tarifvertrag für Pflegende scheitertwer die Zusammensetzung der Arbeitgeberseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission kennt, der weiß, dass Vertrauenspersonen der Bischöfe dort nicht unbedingt "am Katzentisch" sitzen.
Ausgerechnet die Caritas
Ein allgemeiner Tarifvertrag für die Altenpflege schien greifbar – doch jetzt hat sich die Caritas quergestellt. Pflegekräfte sind entsetzt.
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Wir sind komplett überrascht und erschüttert“, sagte Rolf Cleophas von der Caritas-Beschäftigtenseite gegenüber der „taz“. „Wir wussten, dass es kritische Stimmen gibt, aber dass sich die komplette Dienstgeberseite in dem Gremium dagegen ausgesprochen hat, ist ein Schock.“
Angst um Sonderrechte
Der Tarifvertrag hätte laut Gewerkschaft Verdi für einige Beschäftigte der Altenpflege Lohnsteigerungen bis zu 25 Prozent vorgesehen. Gerade die privaten Anbieter, die oft nur den Pflegemindestlohn zahlen, hätten ihre Beschäftigten deutlich besser honorieren müssen. „Das wäre schon ein wichtiger Schritt für die Aufwertung der Pflege gewesen“, sagte Cleophas.
Die Ablehnung der Caritas kommt nicht nur für deren Beschäftigte überraschend. Denn ausgerechnet das katholische Büro, die Dienststelle der Deutschen Bischofskonferenz und die des Verbandes der Diözesen Deutschlands, hatten das Projekt Tarifvertrag in den vergangenen Jahren forciert.
ZEIT ONLINE schreibt:
Caritas lehnt flächendeckenden Tarifvertrag für Altenpflege abund analysiert dann:
Der Tarifvertrag sollte für bessere Löhne in der Altenpflege sorgen. Doch daraus wird vorerst nichts: Die Caritas lehnte den Antrag von Pflegeverband und ver.di ab.
Die von der Kirche machen nicht mit
Ausgerechnet die katholische Caritas verhindert den Tarifvertrag zur Altenpflege. Dabei zahlen die Kirchen sowieso gut und sind große Arbeitgeber **). Warum die Ablehnung?
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Die Kirchen befürchten, dass mit dem Tarifvertrag grundsätzlich der sogenannte Dritte Weg, ein Sonderrecht der Kirchen bei den Lohnverhandlungen, beeinträchtigt worden wäre.
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In den Kontext passt dann auch der Kommentar der Frankfurter Rundschau (FR):
LEITARTIKELDer Kommentar bezieht sich zwar auf die zeitgleich stattfindende Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe; aber die Abstimmung bei der Caritas ist symptomatisch für die gesamte Krise, in der unsere Kirche steckt. Konservative Kräfte ringen um den Machterhalt, unabhängig von der Gesellschaft. Und sie beanspruchen dazu vom Staat scheinbar gewährte Sonderrechte, um sich als Staat im Staat jeder Kontrolle entziehen zu können. Im Kielwasser dieser scheintheologisch verbrämten Ansprüche werden knallharte Machtinteressen durchgesetzt. Bei der Caritas nutzen kirchliche Arbeitgeber den arbeitsrechtlichen Sonderweg **), um reine Arbeitgeberinteressen gegen den sozialen Anspruch der Institution durchzusetzen. Damit wird die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Sozialethik durch das eigene Führungspersonal angeschossen, oder wie die FR schreibt:
Letzte Chance
Die katholische Kirche muss vieles grundsätzlich ändern. Sonst wird sie bedeutungslos.
Es war einmal eine katholische Kirche, an die hierzulande ihre Mitglieder glaubten. Es war einmal eine Kirche, auf die ihre Anhänger vertrauten. Eine Kirche, die spirituelle Autorität besaß. Es war einmal … Um es mit einem Bild der Bibel zu sagen: Der Fels, auf den Petrus seine Kirche gebaut hat, ist unterspült, das Fundament untergraben. Denn die Basis ist nicht mehr bereit, das Gebäude zu tragen – nicht in seiner bisherigen Form.
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Unübersehbar – die Gläubigen sind wütend. Die Verfasstheit der jahrtausendealten Anstalt wird so heftig kritisiert wie selten zuvor. Es geht nicht mehr um einzelne Konflikte, es geht um das System.Während die Bischöfe mühsam versuchen, mit optischen Signalen (wie der Besetzung von organisatorischen Führungspositionen durch Frauen) dem Druck der kirchlichen Bewegungen nachzugeben und die durch zahlreiche Skandale deutlich gewordenen Spannungen zu lösen und die Risse zuzukleistern, zeigen die Arbeitgebervertreter in der Caritas einmal mehr das ungeschminkte Gesicht der "Machtanstalt Kirche". Es geht um rein wirtschaftliche Interessen - und den Machterhalt der Firma. "Sozialpartnerschaft" ist suspekt und kann auf dieser Grundlage nur abgelehnt werden, auch wenn es andere betrifft.
Den hierarchischen Aufbau der Kirche: der Papst ein oberster Potentat, jeder Bischof ein kleiner König, fehlende Mitsprache der Untertanen. Die patriarchalen Verhältnisse: keine Frau in geweihtem Amt oder Beteiligung an der Macht.
Die internen Strukturen: geprägt vom Selbstverständnis eines Clans, der sich außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit und der Öffentlichkeit wähnt. Die Führungskultur: Gehorsamsgelübde nach oben, Folgsamkeitserwartungen nach unten, organisierte Verantwortungslosigkeit als Folge. ....
„Verspielen Sie nicht die letzte Chance!“ Mit diesem Appell haben sich katholische Laienorganisationen an ihre Bischöfe gewandt. Der Aufschrei ist auch ein Hilferuf: Zerstört unsere Kirche nicht! Ohne Gläubige kann es sie nicht geben. Wird der Weckruf endlich gehört? Wenn nicht, werden wir zusehen, wie das System kollabiert: Eine Institution, die an sich selbst erstickt.
Anmerkungen:
*)
Auch kirchennahe Medien berichten. Die Meldungen sind aber sehr schnell "nach unten gerutscht". Beispielhaft möchten wir "Kirche und Leben" anführen.
Arbeitsminister Heil: Heute ist ein schlechter Tag für die Pflege in Deutschland
Caritas lehnt Antrag für bundesweiten Tarifvertrag für Altenpflege ab
**)
Dass diese mit Stolz verkündete eigene Leistung einer Tarifregelung sich im Wesentlichen dem Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes vom 25. Oktober 2020 verdankt, wird mit keinem Wort erwähnt! Dann kann man allerdings stolz auf die vermeintlichen eigenen Erfolge melden:
Tarifrunde 2021/22 fast abgeschlossenFür die Umsetzung dieses BK Beschlusses in den Regionen ist noch die Beschlussfassung in den Regionalkommissionen notwendig. Die Sitzungen stehen bereits in den nächsten Monaten an:
Einigung gab es beim Antrag zur Tarifrunde auf Grundlage des Tarifabschlusses des VKA/TVöD von 2020. Damit konnte nicht nur weitestgehend eine 1:1 Übernahme, sondern auch die zeitgleiche Inkraftsetzung mit dem VKA /TVöD Abschluss zum 01.04.2021 erreicht werden!
RK BW: 05.03.2021
RK NRW: 09.03.2021
RK Mitte: 17.03.2021
RK Nord: 18.03.2021
RK Bayern: 24.03.2021
RK Ost: 22.04.2021
Und danach bedarf es auch noch der Inkraftsetzung durch den jeweiligen (Erz-)Bischof. Man sieht, wieviele "Sicherungen" eingebaut sind, damit ja kein Bischof genötigt wird, die caritativen Einrichtungen mit mehr Mitteln zu unterstützen, als freiwillig von der Kirchensteuer abgezwackt werden.
**)
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sieht vor, dass die zuständigen Gremien von Caritas und Diakonie Anträge auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen in der Pflege prüfen. Das ist ein Beteiligungsrecht, das die kirchlichen Wohlfahrtsverbände ohne Grund bevorzugt. Mit welcher Grundlage wollen die Kirchen mit entscheiden, welche Löhne bei privaten Anbietern der Altenpflege gezahlt werden? Diese Befugnis für Caritas und Diakonie ist verfassungsrechtlicher Unsinn. Er ist auch bei großzügigster Ausdehnung der Religionsfreiheit nicht zu begründen. Welcher religiöse Glaubenssatz bestimmt, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von privaten Anbietern Dumpinglöhne gezahlt und diesen gewerblichen Anbietern damit möglichst hohe Gewinne ermöglicht werden? Daher gehört die Arbeitnehmerentsendegesetz vorgesehenen Anhörungen von Diakonie und Caritas auf den Müllhaufen der Geschichte.
Der Sonderstatus der Kirchen ist auch Machtmissbrauch. Und das bei näherer Sicht ohne jede Grundlage. Das Recht zur Selbstordnung und Selbstverwaltung besteht nur für die eigenen Angelegenheiten und im Rahmen der für alle geltenden Gesetze.
Kann der demokratische Rechtsstaat seine Bürger der Willkür von nicht gewählten Gesetzgebern ausliefern? Nein - und das steht schon im Artikel 1 Abs. 2 des Reichskonkordats. Da fehlt ausdrücklich eine Rechtsetzungsbefugnis für Dritte.
Der "dritte Weg" der Kirchenbeansprucht auch Geltung für Beschäftigte ohne kirchliche Bindung. Er ist verfassungsrechtlich nicht konstituiert. Das ist ein Eigenkonstrukt. Die Kirchen machen lediglich vom Recht der "negativen Koalitionsfreiheit" Gebrauch, das jedem Arbeitgeber zusteht - müssen aber dann wie jeder andere Arbeitgeber auch mit Arbeitskampfmaßnahmen bis hin zum Erzwingungsstreik rechnen.
Warum also ein eigenes Betriebsverfassungsrecht, das es schon in der Weimarer Zeit - bei gleicher verfassungsrechtlicher Grundlage - nicht gab? Jedes (!) Bundesland kann durch das "für alle geltende Gesetz" die Schranken des kirchlichen Selbstordnungsrechts enger ziehen. Wie wäre es z.B. damit, im Personalvertretungsrecht die kirchlichen Verwaltungen nicht mehr ausdrücklich auszunehmen?
Warum etwa ein eigenes Datenschutzrecht? Sind das die Daten der Kirche oder die Daten der Beschäftigten oder Patienten, die vielfach gar nicht Mitglieder der Kirche sind? Was ist an Datenverarbeitung "kircheneigen" oder "kirchenspezifisch"? Nichts !
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