Sonntag, 21. März 2021

Sonntagsnotizen - und Presseecho (8) - kostet das Drama um Pandemie und Altenheime die Kanzlerschaft?

siehe auch
Presseecho (1) zur Altenpflege: Beschluss der AK Caritas Bundeskommission
Presseecho (2): Caritas erledigt Drecksarbeit
Presseecho (3) zur Altenpflege: Beschluss der AK Caritas Bundeskommission - Machtmissbrauch in der / durch die Kirche?
Presseecho (4) zur Altenpflege: Caritas unter Druck
Presseecho (5) - Demonstrationen vor mehreren Caritas-Standorten vom 8./9. März
Presseecho (6): Keine Ruhe im Caritas-Karton
Presseecho (7) - Die Medien lassen nicht locker ... wieder einmal: Tarifverhandlungen in der Altenpflege


An diesem Donnerstag ist das lange erwartete Gutachten zum "Mißbrauch" im Erzbistum Köln vorgestellt und vom Erbistum inzwischen auf der eigenen Homepage veröffentlicht worden.
Im Fokus des Gutachtenauftrags steht ... die Prüfung und rechtliche Bewertung des kirchlichen Umgangs mit den im Untersuchungszeitraum gegenüber dem Erzbistum Köln eingegangenen Verdachtsmeldungen anhand der den Gutachtern von Seiten des Auftraggebers überlassenen Unterlagen.
Entsprechend unserer Gepflogenheit werden wir zum sexuellen Missbrauch keine Stellungnahme abgeben.
Uns interessiert nicht das Fehlverhalten von Einzelpersonen, sondern einzig und alleine die systemischen Ursachen (im Gutachten S. 721 ff mit rein juristischen Ausführungen - andere Analysemethoden wie z.B. soziologische Untersuchungen fehlen), die ein solches Fehlverhalten und damit den Einbruch der Balken aus dem tragenden Gewölbe erst ermöglichten.
Die Beschränkung auf die rein "juristische Sichtweise" ist schade. Man kann auch den größten Unsinn formaljuristisch einwandfrei regeln, oder, wie die ZEIT schreibt:
Das Problem etwa, dass Kleriker in der Kirchenhierarchie über Kleriker bestimmen – ein wichtiges Ergebnis anderer Untersuchungen –, ist kein Rechtsverstoß. Und Moral ist vielleicht keine juristische Kategorie, eine der Kirche allerdings schon.
Ein Generalvikar, den ich durch seinen Auftritt in Eichstätt schätzen lernte, brachte eine weitere Perspektive am Mittwoch in seinem Eintrag bei Facebook mit einem Zitat von Dietrich Bonhoefer zum Ausdruck:
"Bei genauerem Zusehen zeigt sich, dass jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist dabei nicht der, dass bestimmte – also etwa intellektuelle – Anlagen des Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern dass unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt wird und dass dieser nun – mehr oder weniger unbewusst – darauf verzichtet, zu den sich ergebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden. (...) Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm (dem Dummen, KP), dass man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen missbraucht, misshandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Missbrauchs. ..."
(wobei Bonhoefer beim Begriff "diabolischen Missbrauch" mit Sicherheit nicht den ´sexuellen Missbrauch meint, sondern allgemein den Missbrauch von Macht - womit wir beim Thema "kirchliches Arbeitsrecht" sind)

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Nun also zurück zur Entscheidung der Caritas-Arbeitgeber:
Caritas und Diakonie gegen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Altenpflege - Protest in Freiburg: "Erst das Klatschen, dann die Klatsche für die Beschäftigten"
berichteten u.a. frn (Freies Radio net) bzw. auch hier, und über den
Protest in Freiburg: "Erst das Klatschen, dann die Klatsche für die Beschäftigten"
berichteten radio dreyeckland (rdl) und das badische "Untergrund-Blättle".
Die Spitzenverbände der kirchlichen Arbeitgeber Caritas und Diakonie haben die Allgemeinverbindlicherklärung eines neuen Tarifvertrages für die Altenpflege & die häusliche Krankenpflege verhindert. Dagegen protestierten 60 -70 Menschen am Donnerstagmittag in Freiburg, vor der Niederlassung der Caritas in der Herrenstraße. Organisiert wurde die Kundgebung von der Gewerkschaft ver.di.


Der Verlag "Nürnberger Presse" (nordbayern.de), zu dem unter anderem die Fürther- und die Nürnberger Nachrichten sowie die Nürberger Zeitung gehören, berichtet von einer Demonstration in Fürth.
Altenheim-Beschäftigte demonstrieren für stabile Löhne
Mitarbeitende des Stiftungsaltenheims wollen nicht schlechter bezahlt werden


FÜRTH - Die Stadt sucht einen neuen Träger für das Stiftungsaltenheim. Für den Erhalt des Tarifvertrags kämpften Mitarbeitende und die Gewerkschaft - und protestierten vor der Sitzung des Stadtrats. ...
Das bisher kommunal geführte Altenheim soll durch einen anderen Träger weiter geführt werden. Die Beschäftigten fürchten nun Eingriffe in ihre Arbeitsbedingungen:
Die Forderung: Die Stadt solle sicherstellen, dass der bestehende Tarifvertrag bestehen bleibt. Damit wolle man nicht die "Arbeit der Fürther Wohlfahrtsverbände" herabsetzen. Allerdings würden kirchliche Träger Tarifverträge mit Verdi "generell ablehnen". "Eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen werden die Betroffenen auf keinen Fall akzeptieren", ließ die Gewerkschaft wissen.

Stefan Sell schreibt in seinem Blog "Aktuelle Sozialpolitik":
Von einem „schlechten Tag für die Pflege“ über die absehbare Festschreibung eines weitgehend tariffreien Geländes bis hin zu den gefährlichen Untiefen „ortsüblicher Löhne“. Anmerkungen zum Arbeitsentwurf für ein Pflegereformgesetz

„Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, hat mit Enttäuschung auf die heutige Entscheidung der Caritas gegen einen Pflegetarifvertrag reagiert“, meldet das Ministerium am 25. Februar 2021 unter der Überschrift „Heute ist ein schlechter Tag für die Pflege“ und verlinkt dazu ein Video mit dem Statement des Ministers. ...
und zum Arbeitsentwurf des "Gesetzes zur Pflegereform" aus dem Hause Spahn stellt Sell fest:
Über die Formulierung „wenn der Tarifvertrag oder die kirchliche Arbeitsrechtsregelung, nach der oder nach dem entlohnt wird, eine nach ortsüblichen Maßstäben wirtschaftliche Entlohnungsstruktur vorsieht. Für eine darüber hinausgehende Entlohnung der Beschäftigten bedarf es eines sachlichen Grundes“ schreibt man einfach rein, dass in Zukunft „eine nach ortsüblichen Maßstäben wirtschaftliche Entlohnungsstruktur“ der Bezugspunkt für die Nicht-Anerkennung der Wirtschaftlichkeit darstellt – auch, wenn es sich um tarifvertragliche Regelungen handelt, die höher angesiedelt sind.

Das gilt dann – wenn das Gesetz werden würde – auch für die kirchlich getragenen Einrichtungen, die doch angeblich gerade verhindert haben, dass ein allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag mit etwas höheren Mindestentgelten als den Mindestlohnsätzen das Licht der Welt erblicken kann, weil man befürchtet, irgendwann einmal könnte das der Bezugspunkt werden für die „Kostenträger“.
...
Das wäre aus Sicht der kirchlichen Verbände ein wirklich „tolles Ergebnis“ – man hätte sich doppelt ins Knie geschossen, weinmal wegen des enormen Image-Schadens, den man sich durch die Ablehnung des Tarifvertrags eingehandelt hat und dann auch noch durch eine die heutige beklagte Situation sogar noch verschlechternde Regelung seitens des Gesetzgebers.
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Aber auf alle Fälle ist dieser wirklich dreiste Versuch ein weiteres Beispiel, dass man in Teilen der Politik die Pflege, hier die Altenpflege, nicht für voll nimmt und offensichtlich noch einen weiteren Schlag ins Gesicht der Pflegekräfte platziert. Gleichzeitig werden die feuchten Träume der privatgewerblichen Arbeitgeber in der Pflege, die weiter in ihrem tarifpolitischen Wilden Westen herumreiten wollen, demütigst von Teilen der Ministerialbürokratie sicherlich auf Druck der politischen Führung – also von Jens Spahn – in die anstehende Pflege“reform“ eingebaut.
...

Das SWR Fernsehen - Landesschau Rheinland-Pfalz berichtet
MITARBEITER DER ALTENPFLEGE SIND ENTTÄUSCHT
Caritas lehnt Flächentarifvertrag in der Altenpflegebranche ab
(da darf man sich nicht wundern, wenn die Enttäuschten aus der Kirche austreten).

Inzwischen mehren sich auch eher kritische Stimmen aus der Caritas:
Der Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission, der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags Altenpflege nicht zuzustimmen, war kommunikativ ein Desaster. Das Image der Caritas ist massiv beschädigt.
kommentiert Marc Boos in der Verbandszeitschrift "neue caritas" https://bit.ly/3bR311H

Immer wieder versuchen Verantwortliche der Caritas aus den einzelnen Bistümern "Schadensbegrenzung" indem sie die Entscheidung der Arbeitgeber rechtfertigen:
Caritas antwortet auf Kritik
Speyerer Caritas-Verantwortliche zum Streit über einen Flächentarif in der Altenpflege
(Quelle + klick+)

Auch Dr. Frank Johannes Hensel, Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln, äussert sich in der caritas in NRW:
Es ist sehr bedauerlich, dass offenbar der falsche Eindruck entstand, dass die Caritas nicht an verbesserten Arbeitsbedingungen von Pflegekräften in fremder Trägerschaft interessiert sei, sondern nur die Stabilität und Unabhängigkeit der besser vergüteten Arbeitsverhältnisse in den eigenen Reihen verteidige.
...
Wie geht es nun weiter? Die Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten in der Pflege müssen deutlich angehoben werden. Alle Beteiligten auf Bundesebene müssen ihre Gespräche wieder aufnehmen. Ziel ist eine nachhaltige Verbesserung der Bedingungen für alle Pflegekräfte, ohne die tarifliche Weiterentwicklung für den gesamten Pflegebereich auf ein niedrigeres Niveau hin zu orientieren."

Einzelne schrecken dabei aber auch - z.B. auf Twitter - vor Beschimpfungen und Unterstellungen gegenüber ver.di nicht zurück. Gleichzeitig zeigen sie damit, dass sie die päpstlichen Sozialenzykliken (z.B. Laborem exercens) oder den einschlägigen Beschluss der Würzburger Synode nicht gelesen und/oder nicht verstanden haben. Und dass diese Vorgaben nach can. 1286 1° CIC von den Vermögensverwalter beachtet werden müssen ist den Gewerkschaftsfeinden in kirchlichen Diensten wohl auch nicht bekannt.

Manchmal offenbaren sich dabei mögliche Zusammenhänge: das kleine Caritas-Altenheim "Schloss Furth" bei Landshut soll überraschend zum Ende April schließen.
Eigentlich hätte das Heim Ende 2023 schließen sollen - wegen zu wenig Personal macht die Caritas früher zu
Diese Schließung ist eines der vielen Beispiele für die Personalnöte in der Altenpflege. Das "Nein" der Caritas-Arbeitgeber zu einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag, der insbesondere bei den kommerziellen Trägern die Mindestlöhne deutlich erhöht hätte, wird vor diesem Hintergrund ganz anders verständlich.
Dieses "Nein" hat die Caritas-Straubing wie folgt begründet:
... "Wir wünschen uns statt eines Einheitsmindesttarifs den Wettbewerb von Tarifwerken in der Altenpflege. ... Das würde nicht nur ... zu einem "Wettbewerb der gesamten Arbeitsbedingungen" führen, sondern auch regionale Differenzierungen ermöglichen, meint Caritas-Geschäftsführer Scheidler.
also doch "ortsübliche Löhne", die Stefan Sell zurecht angreift? Will man die eigene Vergütung gerade so hoch halten, wie es für die Personalgewinnung nötig ist? Dass dabei gerade die eigene Refinanzierung in Frage gestellt wird, braucht die in Jahresabschlüssen denkenen Geschäftsführer der Unternehmens-Caritas ja zunächst nicht zu interessieren. Ein "weniger an Finanzierung" kann nach deren Denkweise durch ein "weniger an Personalkosten" ausgeglichen werden. Und der Ausgleich von Altersarmut ist danach sowieso Sache der Allgemeinheit, nicht der Betriebe, in denen die Betroffenen vorher gearbeitet haben *)
Wie hoch die Mindestvergütung sein müsste, um Armutslöhne zu vermeiden, haben wir hier (klick) geschrieben. Und die Grenze von Armutslöhnen liegt bundesweit einheitlich.
Die von den Kirchen beanspruchte "soziale Verantwortung" setzt auch nicht auf den Kostenwettbewerb zu Lasten der Pflegenden (siehe unten). Diese Verantwortung erlaubt lediglich einen Qualitätswettbewerb. Ein solcher Wettbewerb um "bessere Qualität" verlangt aber faire Wettbewerbsgrundlagen - d.h. in der Dienstleistungsbranche, deren Kosten überwiegend aus Personalaufwendungen entstehen, flächendeckend gleiche Mindestlöhne. Das schließt nicht aus, dass die im Qualitätswettbewerb stehenden Einrichtungen mehr Personal, zusätzliche Qualifzierungen oder besondere Betreuungen (z.B. durch Seelsorger) bereit stellen.

Die Bischöfe haben die "gesamtwirtschaftliche soziale Verantwortung" nun leider an die Unternehmens-Caritas delegiert. Daher dürfen sich die Beteiligten nicht wundern, dass diese Arbeitgeber dann auch nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren.

Der Beobachter fragt sich dabei, ob den Akteuren wenigstens bewusst ist, dass sie sich damit auch gegen Leitlinien und Vorhaben der Bischöfe wenden.

Am Laetare-Sonntag (14.3.21) sprach etwa Bischof Bätzing im Fernsehgottesdienst des ZDF davon, wie wichtig es ist, die Arbeit der Pflegekräfte anzuerkennen.
Ist nicht jetzt der rechte Zeitpunkt, grundlegend umzusteuern, den Kairos zu nutzen und zum Beispiel Menschen in Pflegeberufen endlich spürbar mehr Anerkennung zu zollen und viele andere Lehren zu ziehen aus den Erfahrungen dieser Zeit?
...
Der Zeitpunkt ist günstig, Kairos.
Krise – Katastrophe – Kairos: Jetzt ist die Zeit. Liebe Schwestern und Brüder, unsere Gegenwart hat etwas von alledem. Mein Glaube und meine Erfahrung machen mich zuversichtlich: Es ist eine günstige Zeit – mit Gottes Hilfe
Wenn man die Predigt nicht als "scheinheilig" bezeichnen will, dann ist sie als klare Distanzierung vom vorhergehenden Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas zu verstehen. Dann sollten aber auch reale und verbindliche Konsequenzen folgen. Worte alleine sind wohlfeil (Matthäus 7,20).


Inzwischen wurde bekannt, dass sich Jens Spahn vor der Abstimmung der Caritas mit Vertretern aus den Arbeitsvertragskommission getroffen haben soll. Laut Tagesspiegel soll er in persönlichen Gesprächen Kommissionsmitglieder zur Ablehnung errmuntert haben. Hat Spahn (CDU) mehr Einfluss auf die Caritas-Arbeitgeber als die Bischöfe?
Spahn möchte ebenso wenig einen Tarifvertrag wie Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) ... Der Protestant Kampeter betont den „besonderen Schutz“ der Kirchen bei der Festlegung der Arbeitsbedingungen und wirft Arbeitsminister Heil eine „rechtlich fragwürdige Aktion“ vor.
Quelle: Tagesspiegel
"Rechtlich fragwürdig" ist allerdings der überzogene Anspruch der Kirchen auf einen Status als "Staat im Staat". Das vermeintliche "Selbstbestimmungsrecht" entpuppit sich lediglich als Recht auf Selbstordnung und Selbstverwaltung. Etwas, was jedem Verein auch zugestanden ist. Und die Grenzen dieses Rechts legt der Staat in den Schranken der "für alle geltenden Gesetze" fest. Die Kirchen können also nur soweit selbst ordnen und verwalten, wie ihnen das durch den Staat zugestanden wird. Bereits durch einfachgesetzliche Regelungen können Bund und Länder den Kirchen also Grenzen setzen **).
Wollen es die Kirchen wirklich darauf ankommen lassen, dass der Staat die Grenzen "enger zieht"?
Der Staat könnte beispielsweise die Förderung von Pflegeeinrichtungen problemlos davon abhängig machen, dass die rechtliche und wirtschaftliche Situation der Beschäftigten ausreichend gesichert ist - durch Tarifverträge, und nicht nur durch "Allgemeine Geschäftsbedingungen" wie "Vertragsrichtlinien", die auch die BPA als arbeitsvertragliche Grundlage für die kommerziellen Pflegeheimträger präferiert. Denn solche "AGB" haben einen Nachteil: während bei Tarifverträgen eine Abweichung nur zugunsten der Arbeitnehmer möglich ist (§ 4 Abs. 3 TVG), können "Allgemeine Geschäftsbedingungen" einzelvertraglich auch zu Lasten der Arbeitnehmer geändert werden (§ 305 b BGB). Das verführt zum "Subventionsbetrug" - einerseits werden die Kosten in Höhe der AGB-Regelungen abgerechnet, andererseits wird durch einzelvertragliche Vereinbarungen weniger bezahlt.

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Am letzten Sonntag waren zugleich die ersten großen Wahlen im "Superwahljahr". Zwei Landtage wurden neu gewählt. Und in beiden Bundesländern waren keine "christlichen Parteien" am Ruder. Insofern kann man beim Ergebnis nicht von einer Abwahl sprechen. Allerdings ist eines bemerkenswert: in beiden Bundesländern kann eine neue Regierung ohne Beteiligung der kirchenfreundlichen Unionsparteien gebildet werden. Ist das auch eine Krise des "christlichen" in der Politik - oder eine Krise der beiden "christlichen Parteien"?

Die Medien zeichnen inzwischen ein desaströses Bild und spülen dabei auch frühere Nebentätigkeiten heutiger Minister an die Oberfläche. Im Fokus steht das Agieren der Verantwortlichen in - und während - der Corona-Pandemie. Und das "Gesicht" dieses Agierens ist der Bundesgesundheitesminister, um den es - wie die Tagesschau meint - zunehmen "einsamer wird".

Aus der Distanz blickt die konservative NZZ über die Grenze und stellt fest:
Autoritätsgläubig und lammfromm? Das war einmal. Die Stimmung in Deutschland dreht.
Die Menschen wollen endlich Resultate: Mehr Impfungen und die Rückkehr zur Normalität. Die Kanzlerin und ihre Partei liefern aber nicht. Sie erhalten dafür die verdiente Quittung.
...
In den nächsten Monaten ist effizientes Krisenmanagement gefragt und vor allem eins: Ergebnisse, Ergebnisse, Ergebnisse. Werden diese erkennbar, dürften die Wähler der Union manchen Schnitzer vergeben und ihr einen überzeugenden Wahlsieg bescheren. Bleiben sie aus, müssen CDU und CSU zittern.
...

Der SPIEGEL meint:
CDU und CSU versinken im Impfchaos
Braucht Deutschland eine neue Staatspartei?

Die deutsche Verwaltung kapituliert vor dem Virus – und die Union gibt ihre Führungsrolle auf. Die Republik steht womöglich vor einer grundlegenden Umwälzung.
und nimmt in dem Kontext dann auch die verhinderte Absicherung in der Altenpflege aufs Korn:
Heute macht sich in der Republik wieder Krisenstimmung breit. Doch diesmal ist es nicht die Ökonomie, die Notsignale funkt. Diesmal ist es der Staat, der sich in der Pandemie als überfordert erweist: zu zögerlich beim Schutz der Altenheime, zu langsam beim Impfen, zu bürokratisch bei der Organisation von Warn-App, Wirtschaftshilfen oder Massentests.

Die Wut über die Maskenraffkes ist groß
In der Coronakrise sehen sich ohnmächtige Bürger einem ohnmächtigen Staat gegenüber. Das ist für die Deutschen, deren Verwaltung mal ein Vorbild für die ganze Welt war, eine neue Erfahrung, und so ist es nur konsequent, dass bei den jüngsten Landtagswahlen vor allem jene Partei abgestraft wurde, die sich wie keine andere als Staatspartei versteht.
...
Festzuhalten bleibt zweierlei: Erstens, die Coronakrise hat gezeigt, dass die staatliche Verwaltung der Bundesrepublik im sechzehnten Jahr unionsgeführter Bundesregierungen nicht mehr fit ist für den internationalen Wettbewerb. Zweitens, die Staatspartei Union ist offenbar weder fähig noch willens, die nötigen Reformen anzugehen. Auch das erinnert an die politische Lage vor zwanzig Jahren.

Und so liegt die eigentliche Frage des Superwahljahres 2021 auf der Hand: Braucht Deutschland eine neue Staatspartei?

Der STERN berichtet:
Deutschland nimmt AstraZeneca von der Karte. Imagemäßig dürfte das Serum nun auf einem Level mit Jens Spahn liegen. Viele fragen sich, ob man statt des Impfstoffs nicht lieber den Gesundheitsminister aussetzen kann.
...

Zum nachdenken - meint jedenfalls

e.s.


Anmerkungen:
*)
Der gerechte Lohn muss dem Arbeitnehmer „und seiner Familie eine menschenwürdige Lebenshaltung gestatten“ (Joh. XXIII. „Pacem in terris“ (20) 1963)
Dazu gehört das „Recht auf Ruhestandbezüge, auf Sicherung im Alter und für die Folgen von Arbeitsunfällen“ (Joh.Paul II. „Laborem exercens“ (19-6) 1981)
Das ist ein Auftrag des universellen Kirchenrechts an alle Verwalter (Ökonomen) von kirchlichem Vermögen (can. 1286 1° CIC)

**)
Hier bringt "Kirche und Leben" einen beachtenswerten Ansatz:
Fragen und Antworten zu kirchlichen und staatlichen Normen
Damit wird eines angedeutet - die Kirche hat eigene Regelungen, die auch den staatlichen Rechtskreis tangieren. Beide Rechtskreise überschneiden sich. Wer sich nur an den kirchlichen Vorgaben orientiert wird über kurz oder lang in Konflikt mit staatlichen Regelungen geraten (zu einem Teilbereich vgl. Gutachten Gercke/Wollschläger, Köln, S. 790 ff).
Eine Kirche, die von der Zeugung bis zur Totenruhe das gesamte menschliche Leben regeln möchte, gerät leicht in die Gefahr, zum "Staat im Staat" zu werden. Daher muss die Konkordanz zwischen beiden Rechtskreisen geregelt werden. Nichts anderes macht das Staatskirchenrecht. Und sowohl durch die Konkordatsvereinbarungen wie auch durch die im Grundgesetz übernommene Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ist nun eindeutig geregelt, dass das kirchliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht lediglich für die originiären eigenen Angelegenheiten der Kirchen besteht. Dort begrenzen die "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen. Wo sich aber beide Rechtskreise überschneiden, liegen keine eigenen Angelegenheiten mehr vor. In diesem "Überschneidungsbereich" bestimmt der Staat - und das erst recht in den Angelegenheiten, die nur den staatlichen Rechtskreis tangieren.
Die Arbeitsverhältnisse in kirchlichen Einrichtungen unterliegen (zumindest auch) dem staatlichen Rechtskreis; infolge einer Rechtswahl, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahrzehnten erkannt hat (1. Leitsatz im Beschluß des Zweiten Senats vom 4. Juni 1985 -- 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 --). Und eine Rechtsetzungsbefugnis für Personen, die der jeweiligen Kirche nicht angehört, besteht schon gleich gar nicht (3. Leitsatz bei BVerfG, 14.12.1965 - 1 BvR 413/60, 1 BvR 416/60).
Hier bestimmt also einzig und Alleine der Staat, welche Regelungen gelten sollen.
Damit besteht nach unserer Ansicht kein Freibrief für die Kirchen, sich arbeitsrechtlich als "Staat im Staat" zu gebärden, erst recht nicht, wenn es um Arbeitsverhältnisse von und bei Dritten geht, wie die Verhinderung von allgemein verbindlichen Tarifverträgen bei anderen Trägern.

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