Samstag, 6. März 2021

Sozialethische Stellungnahme zur Weigerung der Caritas einem Tarifvertrag Altenpflege zuzustimmen

Wie angekündigt dokumentieren wir in Auszügen eine sehr gute und fundierte sozialethische Stellungnahme zur Weigerung der Caritas einem Tarifvertrag Altenpflege zuzustimmen, unterschrieben von namhaften Theologieprofessoren und Professorinnen. Den entsprechenden Link zum Gesamttext der Stellungnahme fügen wir unten an:
Die Arbeitsrechtliche Kommission (Bundeskommission) der Caritas hat – zumindest vorerst – einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag Altenpflege verhindert. Damit steht sie einer notwendigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge im Wege und untergräbt die Gemeinwohlorientierung der Caritas. Zugleich setzt sie sich in einen eklatanten Widerspruch zu grundlegenden Maßstäben der kirchlichen Sozialverkündigung und fügt dem eh schon angeschlagenen gesellschaftlichen Ansehen der katholischen Kirche weiteren Schaden zu. Die unterzeichnenden Professor*innen der Christlichen Sozialethik fordern deshalb die Bundeskommission auf, der Ausweitung des Tarifvertrags Altenpflege in einem zweiten Anlauf zuzustimmen. Zugleich ermutigen sie die Gremien der Caritasverbände und andere kirchliche Stellen sowie die Beschäftigten der Caritas und ihre Vertreter*innen, bei der Bundeskommission und dort insbesondere auf der ›Dienstgeber‹-Seite darauf zu dringende, die ablehnende Entscheidung zu revidieren.

Der gesellschaftlich-kirchliche Doppelauftrag der Caritas
...
... In der politischen Öffentlichkeit ist seitdem weitgehend unumstritten, dass Arbeitsbedingungen und Einkommen der in der Pflege Beschäftigten erheblich verbessert werden müssen.

Ein einheitlicher Tarifvertrag als Sperre gegen ›race to the bottom‹-Konkurrenz

Eine über die Arbeitskosten ausgetragene Konkurrenz verschafft denjenigen Anbietern einen unfairen Wettbewerbsvorteil, die ihre Beschäftigten schlecht behandeln. Andere Anbieter, die ihren Mitarbeiter*innen anständige Arbeitsbedingungen und Löhne bieten, geraten auf die Dauer unter Druck, ihre Beschäftigten in ähnlicher Weise auszupressen wie die Dumping-Konkurrenten. ...
... Der Tarifvertrag legt für die jeweilige Tarifgruppe in der Altenpflege Mindestbedingungen fest; bessere Regelungen bleiben davon unberührt und sind auch weiterhin möglich.

Das Scheitern des einheitlichen Tarifvertrags

Aufgrund des kirchlichen Sonderwegs im kollektiven Arbeitsrecht (›Dritter Weg‹) spielen die kirchlichen Einrichtungen, obgleich sie den größten Teil der Freien Wohlfahrtspflege ausmachen, bei der Gestaltung der tarifvertraglichen Regelungen in der Pflegebranche keine aktive Rolle. Die kirchlichen ›Dienstgeber‹ sind weder in dem BVAP noch in irgendeinem anderen tarifpolitisch handlungsfähigen Arbeitgeberverband vertreten. Gleichwohl wurden sie in den Verhandlungen zwischen Ver.di und BVAP über die im Arbeitnehmerentsendegesetz vorgesehenen Anhörungen beteiligt. Auf die dort aus den kirchlichen Arbeitsrechtlichen Kommissionen geäußerten Bedenken wurde in dem von Ver.di und BVAP ausgehandelten Tarifvertrag Rücksicht genommen.
...
... Insofern zeugt es von betriebswirtschaftlicher Kurzsichtigkeit, einem Mangel an ökonomischem Sachverstand und Missachtung der kirchlichen Sozialverkündigung, wenn die ›Dienstgeber‹ der Caritas als Begründung für ihre Ablehnung erklären, sie setzten auf den »Wettbewerb von Tarifwerken«.

Der Schaden für die Caritas

Seit den 1990er-Jahren wird die Caritas nicht müde, sich als »Dienstleister, Anwalt, Solidaritätsstifter« vorzustellen. Mit der Ablehnung des einheitlichen Tarifvertrags Pflege tritt die ›Dienstgeber‹-Seite der Caritas nun als ein für die Beschäftigten gefährlicher Entsolidarisierer auf.
...
... Mit der Weigerung, der Allgemeinverbindlichkeit des von Ver.di und BVAP stellvertretend ausgehandelten Tarifvertrags zuzustimmen, verfehlt die Caritas nicht nur diesen Gestaltungsauftrag als Wohlfahrtsverband, sondern tritt als Akteur auf, der eine angemessene Organisation der pflegerischen Versorgung aktiv hintertreibt.

Ohne plausible Begründung

Als Begründung für ihre Weigerung gibt die Arbeitgeberseite der Caritas an, dass sie die besseren Tarife der Caritas gegenüber dem einheitlichen Tarifvertrag schützen wolle. Diese Begründung hat die Gewerkschaft Ver.di zu Recht als »scheinheilig« bezeichnet:
....
... Die ›Dienstgeber‹ der Caritas haben sich offenbar mit der – aufgrund des Nebeneinanders verschiedener Tarife – allmählich verwilderten Wettbewerbskonstellation in der Daseinsvorsorge abgefunden und können sich davon nun nicht trennen.

Schaden für die Kirche

Für die katholische Kirche in Deutschland war die Caritas bisher ein seltener und deshalb so wichtiger gesellschaftlicher ›Aktivposten‹. Bereits in den letzten Jahren ist ihre Bedeutung als Aushängeschild der Kirche geschrumpft.
...
gezeichnet von
Prof.in Dr. Michelle Becka
Professorin für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Prof. Dr. Monika Bobbert
Professorin für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Prof. Dr. Bernhard Emunds
Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen und Leiter des Nell-BreuningInstituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.

Prof. Dr. Alexander Filipović
Professor für Sozialethik am Institut für Systematische Theologie und Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Karl Gabriel
em. Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, ehem. Direktor des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften.

apl. Prof. Dr. Hermann-Josef Große Kracht
Akademischer Oberrat am Institut für Theologie und Sozialethik der Technischen Universität Darmstadt.

Prof.in Dr. Marianne Heimbach Steins
Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und sozialethische Genderforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-UniversitätMünster und Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften.

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ
em. Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen und ehem. Leiter des NellBreuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.

Prof. Dr. Gerhard Kruip
Professor für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Prof. Dr. Bernhard Laux
Professor für Theologische Sozialethik, Anthropologie und Wertorientierung an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg.

Prof. Dr. Christof Mandry
Professor für Moraltheologie und Sozialethik am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse
Professor für Theologische Ethik/Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Prof. Dr. Martin Schneider
Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der Fakultät für Religionspädagogik / Kirchliche Bildungsarbeit (FH) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Vertretung).

Prof. Dr. Michael Schramm
Lehrstuhl für Katholische Theologie und Wirtschaftsethik an der Fakultät Wirtschaftsund Sozialwissenschaften an der Universität Hohenheim.

Prof. Dr. Christian Spieß
Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholischen Privatuniversität Linz und Vorstand des Johannes Schasching SJ Instituts.

Prof. Dr. Markus Vogt
Professor für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Ass.-Prof. Dr. Katja Winkler
Assistenzprofessorin am Institut für Christliche Sozialwissenschaften Johannes Schasching SJ an der Katholischen Privatuniversität Linz.
Quellen und mehr: 
D:\MMH\Themen\Sozialpolitik\Dritter_Sektor\Wohlfahrtsverbände\Gelegenheitsschriften\Erklärung_EinheitlicherTarifvertragAltenpfl (uni-wuerzburg.de)

Der Caritasverband hat inzwischen in einer Pressemitteilung auf die Stellungnahme reagiert:
PRESSEMITTEILUNG Berlin Tarifvertrag Pflege:
Die Caritas kann ihre Entscheidung nicht einfach verwerfen ...

Wir halten es für fair, auch auf die inzwischen veröffentlichte Entgegnung von Caritas-Präsident Neher zu verweisen. Unter der Überschrift
Caritas-Präsident weist Kritik zurück
ist diese am Freitag vom Domradio veröffentlicht worden. President Neher bestätigt nach katholisch.de aber auch:
Entscheidung komme "zu Unzeiten für die katholische Kirche"
Caritaspräsident Neher: Veto zu Altenpflege-Tarif schadet uns

... Neher erklärte am Freitag in Berlin, die Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Kommission (AKR) "schadet der Glaubwürdigkeit der Caritas und sie kommt zu Unzeiten für die katholische Kirche". ...
Beschränkt sich die Selbsterkenntnis jetzt nur auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung? Zu welchen "anderen Zeiten" wäre der Beschluss für die Glaubwürdigkeit der Caritas nun unschädlich gewesen?

Wir verweisen weiter auf das von epd sozial abgedruckte Statement
Caritas-Präsident räumt Schaden durch Veto zu Altenpflege-Tarif ein 

Das Statement von Caritas-Präsident Neher bringt es auf den Punkt: die Kirchen haben im Rahmen der Befreiung vom Betriebsverfassungsgesetzes und den Personalvertretungsgesetzen das Privileg, ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht zu schaffen. Sie beanspruchen daraus ein verfassungsrechtliches Privileg, umfassendes Sonderarbeitsrecht zu setzen, besondere Loyalitätspflichten bis in den persönlichen intimen Bereich der MitarbeiterInnen zu fordern und anstelle von Tarifverträgen einen eigenen "Dritten Weg" zu gehen. Der aber beruht bei Licht betrachtet lediglich auf der jedermann zustehenden "negativen Koalitionsfreiheit".
Diese "negative Koalitionsfreiheit" gibt die katholische Kirche als verbindliche Verpflichtung im Rahmen der Grundordnung an den Caritasverband weiter. Dieser wiederum geben das an Unternehmen weiter, die sich satzungsrechtlich an den kirchlichen Verband binden… aber ohne jede Vorsorge, dass es auch im Konfliktfall eine Rückbindung gibt. 
Es gibt weder ein Durchgriffsrecht noch einen Konfliktregelungs- oder Rückholmechanismus, falls die Unternehmen gegen die Interessen der Caritas (oder der katholischen Kirche) verstoßen. 
Durch Präsident Neher auf den Punkt gebracht: 
"Wir haben den Unternehmern Autonomie gegeben, jetzt wackelt der Schwanz mit dem Hund."

Es ist schon erstaunlich, dass die Bischöfe einem eingetragenen Verein "Hoheitsbefugnisse" bzw. "Rechtsetzungsbefugnisse" über Gewerkschaften und nichtkatholische Beschäftigte übertragen, die der katholischen Kirche nicht einmal selbst zustehen. Warum die Kirche keine Hoheitsbefugnisse für Nichtmitglieder hat, haben wir in unserem Blogbeitrag am 4. November 2015  dargelegt.

Und auch auf unseren Blogbeitrag vom 12. Juni 2014 und vom 27. April des Jahres dürfen wir verweisen. 

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