Sonntag, 7. März 2021

Sonntagsnotizen: Keine Macht für niemand? - Zwei Leitartikel

Die aktuelle "HERDER KORRESPONDENZ" (Ausgabe 3/2021 - S. 4 ff) widmet sich im Leitartikel dem "Synodalen Weg" und titelt dazu:
Beim Synodalen Weg dreht sich derzeit alles um die Machtfrage. ....
Weiter wird (S. 5) ausgeführt:
In der katholischen Kirche sind derzeit heftige Kämpfe um die Verteilung von Macht im Gange. Es geht dabei selbstverständlich nicht um Machtabbau, sondern um Machtzugänge. Ziel ist es, die Monopole des Klerus zu brechen .... Ein "Grundtext" des Synodalforums "Macht und Gewaltenteilung" benennt dies in erfreulicher Klarheit.
...

Viele der Vorschläge ... sind sinnvoll und lassen sich unter den geltenden lehramtlichen und kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen umsetzen. Nahezu unstrittig dürfte inzwischen die Einführung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit sein. Andere Vorschläge sind weder mit dem geltenden Recht noch dem bisherigen Amtsverständnis vereinbar, wie es etwa in der Kirchenkonstituion "Lumen Gentium" (LG) des zweiten Vatikanischen Konzils zum Ausdruck kommt. ....
Die Idee einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nicht neu. Sie wurde schon vor über 40 Jahren in der "Würzburger Synode" (1970-1975) vorgeschlagen, der Vorstoß wurde von Rom bei der Reform des kirchlichen Gesetzbuchs 1983 allerdings nicht aufgegriffen. Für die Einrichtung interdiözesaner Gerichte braucht die Bischofskonferenz ein besonderes Mandat des Apostolischen Stuhls. Derartige Gerichte existieren in Deutschland für die kirchliche Arbeits- und Datenschutzgerichtsbarkeit. Und auch das kirchliche Strafrecht wird durch kircheneigene Gerichte ausgeübt. Diese haben aber andere Bestimmungen als die Gesellschaft. So wird Mißbrauch durch einen Kleriker nicht aus Sicht des Opfers als Verstoß gegen dessen sexuelle Selbstbestimmung gesehen, sondern als Verstoß gegen die der Kirche gegenüber eingegangene Zölibatsverpflichtung des Täters, gegen die "Reinheit der Kirche, des Priestertums und der Sakramente" (wie in einem Buch der Theologin Doris Reisinger und des Filmregisseur Christoph Röhl zu lesen sein soll). Es handelt sich nach dieser Auffassung also um eine rein innerkirchliche Angelegenheit.
Die Kirche ist "weitgehend in der Monarchie verblieben"("klerikale Standeslogik"). Gesetzgeber ist der Bischof, in dessen Auftrag dann auch die Rechtsprechung und Verwaltung erfolgen. Und keines der hiesiegen kirchlichen Gerichte darf (und kann) gegen den Bischof "urteilen", in dessen Auftrag es ja tätig wird. Die kirchlichen Normen sind "sakrosankt", unantastbar. Daher konnte die Glaubenskongregation einem deutschen Bischof rechtskonformes Handeln bescheinigen, obwohl dieser einer Empfehlung aus dem Jahr 2001, Missbrauchsfälle (im konkreten Fall wohl vom Ende der 70er Jahre) in Rom zu melden, nicht nachgekommen war.
Die Erfahrungen mit kircheneigenen Gerichten sind also für die Verfechter einer unabhängigen Gerichtsbarkeit nicht zwingend positiv.
Arbeitsrecht, Datenschutz oder auch Mißbrauch sind dabei nun wirklich keine Materie, die aus Sicht der Gesellschaft nur die Kirche etwas angehen (aus kirchlicher Sicht mag das anders sein). Das sind vielmehr zumindest Bereiche, in denen sich kirchlicher und staatlicher Rechtskreis überschneiden. Und daher aus Sicht der weltlichen Gesellschaft keine eigene Angelegenheit der Kirchen. 

Es ist also nicht überraschend, dass der SPIEGEL in seinem Leitartikel vom 27.02.2021 (Seite 6) ausführt:
Täter als Richter
...
Seitdem ist die katholische Kirche ihr eigener Richter. Das kann nicht funktionieren. ...

Beiden Leitartikeln ist aber eines gemeinsam:
Im SPIEGEL wird am Ende des Artikels darauf verwiesen
Als Sozialträger ist sie (Anm.: die katholische Kirche) der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland nach dem Staat, betreibt Schulen, Krankenhäuser und Medienunternehmen. Zudem besitzt sie Land und Immobilien in großen Mengen. Geschätztes Vermögen: mehr als 200 Milliarden Euro.
Der Missbrauchsskandal wäre ein Anlass, grundsätzlich über das Verhältnis von Staat und Kirche nachzudenken. ....
Die HERDER KORRESPONDENZ weist auch auf diesen Punkt hin:
Indes beschränkt sich kirchliche Macht hierzulande bei weitem nicht auf den Bereich der Religion mit seiner Eigenlogik. Bischöfe und andere hohe Kleriker haben in Deutschland Einfluss auf Dinge, an die die Autoren von "Lumen Gentium" nicht gedacht haben: Medienunternehmen, Wohlfahrtsträger, Immobiliengesellschaften, Weingüter - und damit auf beträchtliche Mengen an Personal und Finanzen. Hier wäre eine Neuverteilung von Macht tatsächlich angezeigt - oder mit Benedikt XVI.: Entweltlichung. Sie würde der Kirche genauso guttun, wie vor 200 Jahren die Säkularisation, nach der die Bischöfe - Gott sei Dank! - keine Staaten mehr zu regieren hatten. Die Bischöfe und ihr Klerus könnten sich auf den religiösen Glutkern konzentrieren: nämlich darauf, die Liturgie und die Sakramente zu feiern, das Evangelium zu verkunden und Gutes zu tun, um in der Welt das Heilige, die Liebe Gottes, gegenwärtig werden zu lassen und so - um es altmodisch zu sagen - die Seelen zu Gott zu führen. ....
Hintergrund ist die auch im Konkordat festgelegte Regelung, dass der Staat durch das "für alle geltende Gesetz" die Regelungsbefugnis der Kirchen beschränken kann. Der Staat kann die Kirchen etwa von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes und der Personalvertretungsgesetze ausschließen - er kann diese aber auch auf die Kirchen erstrecken, wie das (bei gleicher verfassungsrechtlicher Grundlage) im "Betriebsrätegesetz" der Weimarer Republik war.

Wir möchten jetzt nicht darüber spekulieren, ob der Staat einen großen Teil seiner Bürger ohne den effektiven Schutz der staatlichen Mitbestimmungsgesetze lassen kann - ein Stichwort wäre "Justizgewährleistungspflicht".

Wir meinen: es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn die katholische Kirche in Deutschland zumindest die Vorgaben der eigenen Soziallehre und der päpstlichen Enzykliken zur Partnerschaft mit Gewerkschaften befolgen würde.

Es lohnt sich zumindest, darüber nachzudenken.

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